Wie die von U2-Sänger Bono mitgegründete Organisation für das Ende extremer Armut kämpft

Wie die von U2-Sänger Bono mitgegründete Organisation für das Ende extremer Armut kämpft

Quelle: Jonx Pillemer / ONE

Jala ist zehn Jahre alt. Gemeinsam mit ihrer Mutter und zwei kleinen Schwestern lebt sie nahe dem höchsten Berg Afrikas, dem Kilimandscharo, in einem abgelegenen Dorf an der Grenze zwischen Tansania und Kenia. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt. Er hat die Familie vor langer Zeit verlassen. Jeden Morgen läuft Jala viele Kilometer, um Wasser für die ganze Familie zu holen. Der Weg ist weit, das Wasser schwer und nicht sehr sauber, aber andere Quellen gibt es nicht. Dann macht sie sich auf den Weg in die Schule. Jala geht gerne in die Schule. Später einmal möchte sie Lehrerin werden. Nach der Schule sammelt sie Feuerholz. Gemeinsam mit ihrer Mutter kocht Jala am offenen Feuer Ugali. Den festen Brei aus Maismehl mag sie sehr, doch das Feuer verursacht starken, unangenehmen Rauch. Wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwindet, läuft Jala in die Stadt. Sie sucht Licht, damit sie ihre Hausaufgaben machen kann. Zuhause in ihrem Dorf gibt es keinen Strom. Oft wird sie vertrieben, doch dann sucht sie sich einen anderen beleuchteten Hauseingang oder eine Strassenlampe. Jala beklagt sich nicht. Sie ist entschlossen, hart zu arbeiten, damit sie eine Zukunft hat.

30 Millionen Kinder in Subsahara-Afrika besuchen im Grundschulalter keine Schule, doch Jala hat Glück: Sie wird die Grundschule beenden. Diese Möglichkeit haben nur wenig mehr als 20 Prozent der Mädchen aus armen ländlichen Familien in Afrika. Jedes weitere Jahr, das Jala in der Schule verbringt, kann ihr späteres Einkommen um 10 bis 20 Prozent steigern. Aber Bildung kann auch Leben retten: Würden alle Mädchen, wie Jala, eine Grundschulausbildung erhalten, würden 15 Prozent weniger Kinder vor ihrem fünften Geburtstag sterben. Das wären jedes Jahr weltweit 900’000 gerettete Kinder. Würden alle Mädchen eine Sekundarschulbildung erhalten, könnte sich die Anzahl der Kindstode sogar halbieren und jedes Jahr könnten 2,8 Millionen Kinderleben gerettet werden. Und nicht nur das, Bildung reduziert auch ungewollte Schwangerschaften: Die Zahl der Schwangerschaften in jungen Jahren würde um 59 Prozent sinken. 64 Prozent weniger Mädchen würden früh verheiratet. Für Frauen und Mädchen in Afrika ist es besonders schwer, aus der Armut auszubrechen. Zwar schultern sie in vielen Lebensbereichen einen Grossteil der Lasten, doch werden sie durch kulturelle und rechtliche Schranken viel zu häufig benachteiligt. Nicht nur Frauen, sondern ganze Gesellschaften werden dadurch in ihrer Produktivität eingeschränkt. Das ist in etwa so, als ob jemandem ein Arm auf den Rücken gebunden wäre und diese Person auf dem Feld arbeiten, ein Auto reparieren oder eine Software programmieren müsste. Das ist die Lage, in die sich eine Gesellschaft bringt, wenn sie das Potential ihrer Frauen und Mädchen ignoriert.

Bono: „Wir müssen einsehen, dass Armut sexistisch ist.“

Die entwicklungspolitische Lobby- und Kampagnenorganisation ONE (www.one.org) weiss um das grosse Potential, das Mädchen und Frauen für die Entwicklung von armen Ländern haben. Bono, U2-Sänger und Mitgründer von ONE, hat es kürzlich bei einer Pressekonferenz in Nigeria auf den Punkt gebracht: „Wir müssen einsehen, dass Armut sexistisch ist, und wir müssen eine Politik fordern, die Gleichberechtigung schafft – sonst werden wir das Ziel, extreme Armut weltweit zu beenden, niemals erreichen.“ Extreme Armut und vermeidbare Krankheiten in Afrika südlich der Sahara zu beenden, das sind die Hauptziele von ONE. Mithilfe von Petitionen, Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen macht die Organisation weltweit Druck auf Politiker. ONE will, dass eine Politik zugunsten der Ärmsten gemacht wird, die den Menschen hilft, sich selbst aus extremer Armut zu befreien. Dazu wird ONE mit seinen sieben Millionen Unterstützern weltweit nicht müde, die Regierungen an ihre gemachten Versprechen zu erinnern. In den reichen Ländern, die traditionell als „Geberländer“ bezeichnet werden, heisst das: Entwicklungshilfe erhöhen. Denn viele Staaten haben sich verpflichtet, 0,7 Prozent ihres Wirtschaftseinkommens für Entwicklungshilfe auszugeben, sind davon aber meilenweit entfernt. Aber auch viele afrikanische Staaten halten ihre Versprechen zum Beispiel in punkto Gesundheitsvorsorge nicht. ONE legt deshalb immer wieder den Finger in die Wunde und fordert die Einhaltung dieser Versprechen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau bei der Geburt stirbt, ist in Sierra Leone 183mal höher als in der Schweiz.

Frauen und Mädchen sind einerseits am stärksten von Armut betroffen, auf der anderen Seite haben Frauen das grösste Potential, Armut zu beenden: Hätten Frauen in der Landwirtschaft den gleichen Zugang zu Land, Saatgut und Geräten wie Männer, könnten bis zu 150 Millionen Menschen aus chronischem Hunger befreit werden. Damit die Politik endlich etwas für die Stärkung von Frauen und Mädchen in armen Ländern unternimmt, hat sich ONE dieses Jahr mit der Kampagne „Poverty is sexist“ (Armut ist sexistisch) besonders für die Stärkung von Frauen und Mädchen in Entwicklungsländern eingesetzt.

Lady Gaga schreibt an Angela Merkel, damit sie sich für Frauen und Mädchen stark macht

Pünktlich zum Weltfrauentag, dem Tag, der den Beginn der organisierten Emanzipation von Arbeiterinnen vor über hundert Jahren markiert, wurde die Kampagne in Berlin von 50 ONE-Jugendbotschaftern und drei bekannten starken Frauen gestartet. Die deutsche Schauspielerin und Ärztin Maria Furtwängler, bekannt aus der Krimiserie „Tatort“, die ehemalige Kandidatin für das deutsche Bundespräsidentenamt, Gesine Schwan, und die stärkste von allen, die vierfache Boxweltmeisterin Cecilia Brækhus, wandten sich mit einem konkreten Anliegen an die deutsche Bundeskanzlerin: Sie sollte sich als Gastgeberin des G7-Gipfels, der im Juni in Bayern stattfand, stärker dafür einsetzen, dass Armut auf der Welt bekämpft wird und dass Frauen und Mädchen dabei im Mittelpunkt stehen. Prominente Unterstützung bekamen sie dabei unter anderem von Lady Gaga, Meryl Streep, Charlize Theron und Beyoncé Knowles. In einem offenen Brief an Angela Merkel und die Kommissions-Präsidentin der Afrikanischen Union, Nkosazana Dlamini-Zuma, forderten insgesamt 36 starke Frauen die Durchsetzung der Rechte von Frauen.

Zeitgleich in Afrika: Neun Künstlerinnen aus sieben afrikanischen Ländern veröffentlichen mit dem Song „Strong Girl“ eine eingängige Hymne gegen Armut und Ungleichheit. Damit wollen sie ihre Stimme den Mädchen geben, die keine Grund- oder weiterführende Schule besuchen können, den Müttern, die einem hohem Sterberisiko ausgesetzt sind, wenn sie ein Kind zur Welt bringen, und die nicht selbst entscheiden können, ob und wann sie das nächste Kind bekommen. Sie geben ihre Stimme den Frauen, die das Land, das sie bewirtschaften, nicht besitzen oder erben dürfen, die kein Bankkonto eröffnen und kein Telefon besitzen können und keinen Zugang zu elektrischem Strom oder Rechtshilfe haben. Sie geben ihre Stimme den Mädchen, die juristisch gesehen gar nicht existieren, weil ihre Geburten nicht amtlich registriert wurden und der Staat nicht über die Systeme verfügt, Daten für sie zu erfassen, und sie geben ihre Stimme allen Frauen und Mädchen, die Opfer von Gewalt sind und keine Gerechtigkeit erfahren.

Bono singt mit starken afrikanischen Frauen für starke Frauen

Die Hauptrolle in dem Musik-Video zu „Strong Girl“ spielt Omotola Jalade Ekeinde, eine der bekanntesten Schauspielerinnen Afrikas. Vom Time Magazine wurde die Nigerianerin bereits zu einer der hundert bedeutendsten Menschen der Welt gekürt. „Ich habe enormes Glück, dass ich eine junge Frau bin, die ihren Traum leben kann – als Vorreiterin meiner Generation“, sagt sie. Und sie weiss, dass Frauen in Entwicklungsländern oft weniger Glück haben als sie. Vielen Mädchen geht es wie der kleinen Jala aus Tansania. Und viele Frauen und Mädchen haben noch weniger Möglichkeiten. Sie können nicht zur Schule gehen, kein gesundes Leben führen und haben kaum Perspektiven, Armut und Hunger zu überwinden.

Aber starke Frauen können mit ihrer Stimme etwas bewirken. „Eine Band phänomenaler afrikanischer Frauen hat die Kontrolle über das Mikrophon übernommen, um der Welt mitzuteilen, dass Armut sexistisch ist“, schwärmt Bono über den Song „Strong Girl“. „Die Stimmen afrikanischer Mädchen und Frauen wurden viel zu lange zum Schweigen gebracht, aber für diesen Track gibt es keinen Gehörschutz. Ein Wandel hat begonnen und ONE will dessen Rückenwind sein.“ Deswegen müssten diese grossartigen Künstlerinnen angefeuert werden, meint Bono. Denn die Welt müsse unbedingt ihre Forderungen hören. Scherzend hatte er im Frühjahr hinzugefügt: „Ich habe ja angeboten, die Backing Vocals zu singen… Aber sie wollten nicht.“

Bono hat es sich dann doch nicht nehmen lassen. Gemeinsam mit afrikanischen Sängern hat der Rockstar im September einen Remix zu „Strong Girl“ veröffentlicht. Schliesslich machen Männer die andere Hälfte der Weltbevölkerung aus und der Kampf für Gleichstellung kann nur mit ihnen zusammen gewonnen werden. „Wir sehen, dass Männer nicht nur Teil des Problems sind, sondern auch Teil der Lösung“, so Bono. Mit dem Song, der in Nigeria mittlerweile auf den oberen Plätzen der Charts zu finden ist, mit dem offenen Brief der Promis und mit vielen anderen Aktionen hat ONE das ganze Jahr über dazu aufgerufen, die Petition der Kampagne „Armut ist sexistisch“ zu unterstützen. Mit Erfolg: Ende September hatten über eine Million Menschen den Aufruf unterzeichnet!

Ein #StrongGirl bei den Vereinten Nationen

Der 24. September 2015 war ein historischer Tag für die Welt. Auf einem Sondergipfel der Vereinten Nationen wurden die sogenannten Globalen Ziele für Nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Hinter diesem sperrigen Namen verbergen sich Ziele und Strategien, um Armut und Hunger auf der Welt zu beenden, um Gesundheitssysteme zu stärken, Geschlechtergleichstellung zu erreichen und um den Klimawandel in den Griff zu kriegen. Zu einem grossen Tag wurde der 24. September auch für die ONE-Jugendbotschafterin Kassandra Kate Ramey, denn sie durfte gemeinsam mit Bono und Malala die Petition an UN-Generalsekretär Ban Ki-moon überreichen. Zuvor stand die Glückliche sogar neben Beyoncé, Coldplay und Leonardo DiCaprio auf der Bühne des „Global Citizen Festivals“ im New Yorker Central Park, wo Prominente, Politiker und zehntausende Menschen die Verabschiedung der Globalen Ziele feierten. „Besonders beeindruckend war, als Michelle Obama auf der Bühne plötzlich die Kampagne ‚Armut ist sexistisch‘ zitierte“, erzählte die Bonner Studentin nach ihrer Rückkehr voller Stolz.

Ein Blick nach vorne: Mandelas Vision

Mit den Globalen Zielen hat sich die Weltgemeinschaft jetzt das Versprechen gegeben, extreme Armut bis 2030 zu beenden. Doch Ziele allein beenden keine Armut. Die internationale Staatengemeinschaft muss jetzt zeigen, dass sie es ernst meint und das Leben der Ärmsten auf der Welt verbessern will, vor allem das Leben von Frauen und Mädchen wie Jala und ihren Schwestern. „Wie die Sklaverei und die Apartheid“, sagte einst Nelson Mandela, „ist auch die Armut nicht naturgegeben. Sie ist von Menschen gemacht und sie kann durch das Handeln der Menschen überwunden und ausgerottet werden.“ Wenn wir die „grossartige Generation“ sein wollen, von der Mandela einst sprach, die Armut, Ungerechtigkeit und Ungleichheit ein Ende setzt, dann geht die Arbeit jetzt erst richtig los.

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