Wenn man Alexa nicht mehr entfliehen kann…

Digitale Assistenten wie Apples Siri oder Amazons Alexa sind schwer angesagt. Dabei birgt die Technologie auch Gefahren. Befinden wir uns vielleicht sogar auf dem Weg in die Dauerüberwachung?

Verhältnisse wie sie in Orwells Dystopie „1984“ an der Tagesordnung sind haben wir in der Realität zwar noch nicht ganz erreicht. Doch wer sagt, dass das nicht schon bald der Fall sein könnte? Auf dem besten Weg hin zur allumfassenden Überwachung befindet sich die Menschheit ja schon seit einiger Zeit – nicht zuletzt dank digitaler Assistenten wie Amazons Alexa, Apples Siri oder Microsofts Cortana.

Öffentlichkeit und Privatsphäre beissen sich

Wer etwa in München wohnt oder sich dort zu Besuch befindet, der sollte sich darüber im Klaren sein, dass seine Schritte im öffentlichen Raum genau das auch sind: öffentlich. Rund 10’000 Kameras öffentlicher Institutionen und Behörden erfassen alles und jeden in der bayerischen Metropole, wie aus einem Bericht der „SZ“ aus dem Dezember 2016 hervorgeht. Alleine in den öffentlichen Verkehrsmitteln der Deutschen Bahn und der Münchner Verkehrsgesellschaft hingen 2015 schon gut je 4’400 Stück. Auch sind immer mehr Polizisten mit sogenannten Körperkameras im Einsatz, die auf Knopfdruck Video und Audio aufnehmen können. Und im Gegensatz zu London ist das noch ein Klacks. Laut einem „Spiegel“-Bericht von 2010 geht man davon aus, dass in der englischen Hauptstadt schon damals rund eine Million Kameras hingen, 12’000 davon im Nahverkehr – also an Bahnsteigen, in U-Bahn-Waggons und so weiter…

Doch das reicht offenbar noch nicht. Nach dem U-Bahn-Treter von Berlin, dem schrecklichen Weihnachtsmarkt-Anschlag oder auch dem Amoklauf von München ist es wenig verwunderlich, dass unzählige Politiker und Bürger nach noch mehr Überwachung schreien. Viele sind eingeschüchtert und würden vermutlich nicht selten auch ihre letztes bisschen Privatsphäre hergeben, wenn das denn nur die Stimmen im Kopf beruhigen würde, die nach Sicherheit und einem Gefühl des Geborgenseins schreien. Die Regierung will Videoüberwachung zumindest deutlich ausweiten. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann erzählte dem „Focus“ kürzlich: „Wir brauchen mehr Videoüberwachung an den Orten, an denen besondere Sicherheitsgefahren für unsere Bürgerinnen und Bürger bestehen, sei es durch mögliche Terroranschläge oder Kriminelle wie beispielsweise organisierte Taschendiebbanden.“

Und wo ist Schluss?

In Münchens Fussgängerzone weit voranzukommen ohne auch nur von einer öffentlichen oder einer privaten Kamera in einem Kaufhaus aufgenommen zu werden? Praktisch unmöglich. Dass wir es noch wirklich bis zu den immer und überall präsenten Televisoren und Mikrofonen von Orwell schaffen? Das scheint zu diesem Zeitpunkt fast unvermeidbar. Vor allem, weil den Menschen nicht nur im Öffentlichen eine immerwährende Überwachung droht, sondern weil sie sich auch noch im Privaten ganz freiwillig überwachen lassen. Da, wo der Mensch komplett ungestört und für sich sein sollte, dort halten immer mehr Helferlein Einzug, die im Gegenzug für den Verlust der Privatsphäre mit Bequemlichkeit locken. Convenience heisst die Devise. Convenience über alles… Siri hört ständig mit, Cortana lauscht auch und Alexa ist sowieso bald überall.

Datenschützer warnen quasi ständig vor etwaigen Gefahren, doch es scheint kaum jemanden zu interessieren. „Als Datenschützerin sehe ich intelligente Sprachassistenten, die mit einem Mikrofon permanent ihre Umgebung ‚belauschen‘, kritisch“, erklärte Andrea Vosshoff, die Bundesbeauftragte für Datenschutz, der „Wirtschaftswoche“. Vor allem sei bedenklich, dass selten wirklich klar sei, wie erfasste Informationen gespeichert und genutzt werden.

Welche Informationen?

Aber genau das ist es doch, worüber Nutzer eigentlich informiert sein sollten, bevor sie die entsprechende Technik nutzen, oder? Was genau hört die Maschine mit? Was davon übermittelt sie? Wie lange wird das Übermittelte gespeichert? Fragen, die sich User der entsprechenden Services nur selten stellen. Zieht man sich Amazons Alexa einmal als Beispiel heran, so ist die mangelnde Information hier besonders bedenklich, wird sich so mancher User dem Dienst doch womöglich schon bald nicht mehr gross entziehen können.

Viele kennen den cloud-basierten Sprachassistenten derzeit nur von Amazons Lautsprechern Echo und Echo Dot. Wie auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas Anfang Januar klar wurde, will Amazon Alexa allerdings in allen erdenklichen Geräten zum Einsatz bringen und Hersteller wie LG, GE, Samsung und viele weitere springen natürlich gerne und schnell auf den Zug mit auf – unter anderem in Smart-TVs, in Smartphones, in Kühlschränken, selbst in Lampen und auch im Auto.

Zwar hat Amazon keine genauen Verkaufszahlen veröffentlicht, doch laut offiziellen Angaben gehörten Echo und Echo Dot zu den meistverkauften Geräten im vergangenen Weihnachtsgeschäft. Neun Mal mehr Devices der Echo-Familie seien im Vergleich zum Vorjahr verkauft worden. Laut einer Schätzung des amerikanischen Marktforschungsinstituts CIRP habe Amazon seit der US-Markteinführung Ende 2014 bis November 2016 alleine in den USA 5,1 Millionen Geräte an den Mann gebracht. Unterdessen ist noch nicht immer ganz klar, wie viele Informationen Alexa tatsächlich verarbeitet und wie.

Skeptisch sein

Sicher ist: Alexa hört – wenn die Funktion nicht extra abgeschaltet wird – immer mit, um auf Kommando Aufgaben für den Nutzer erfüllen zu können – sei es nun nur die Suche nach dem aktuellen Wetter oder das Bestellen eines bestimmten Artikels. Angeblich verarbeitet Alexa laut Amazon erst Anfragen, wenn das System auch mit dem Kennwort „Alexa“ aktiviert wird. Zwar gibt es keinen akuten Grund zu spekulieren, dass Alexa auch sonst Informationen aufzeichnen und auswerten könnte, doch gleichzeitig muss man eben einem Grossunternehmen und dessen Angaben vertrauen. Einem Unternehmen, dem viel daran gelegen ist, so viel über seine Nutzer wie nur möglich herauszufinden. Denn umso bessere und auf User zugeschnittene Angebote der Versandhändler seinen Kunden machen kann, umso positiver wirkt sich dies auch auf die Absatzzahlen aus.

Die Verbraucherzentrale weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Alexa laut Angabe von Amazon „sonstige Information“ – unter anderem Einkaufs- und Musikwiedergabelisten – speichere sowie dass diese Formulierung „schwammig“ sei und „weit ausgelegt werden“ könnte. Ausserdem merkt die Verbraucherzentrale an, dass die Sprachaufnahmen eben nicht auf dem Gerät, sondern auf Amazons Servern gespeichert werden, die sich auch in Ländern „mit einem geringeren Datenschutzstandard als Deutschland“ befinden könnten. Zudem sei ein Missbrauch durch Hacker nicht ausgeschlossen.

Vosshoff warnt jedenfalls in der „Wirtschaftswoche“. So sei natürlich jedem selbst überlassen Sprachassistenten zu nutzen. „Ich rate allerdings, eine solche Entscheidung gut zu überdenken.“ Man solle „den Komfortgewinn durch die Nutzung des Sprachassistenten gegen eine – jedenfalls theoretische – Rund-um-die-Uhr-Überwachung der Privatsphäre“ abwägen. Es ist eben nicht nur der Grosse Bruder, sondern auch sein etwas kleineres Geschwisterchen, das gerne mal reinschaut oder auch reinhört.

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