Cannes-Gewinner „Titane“: David Cronenberg trifft auf Gender Fluidity

Agathe Rousselle als Alexia in

Quelle: © Carole Bethuel/Koch Films

Ab dem 7. Oktober startet mit „Titane“ der diesjährige Gewinner der Goldenen Palme von Cannes in den deutschen Kinos. Eine Tour de Force.

Das Schaffen von Regisseurin Julia Ducournau (37) mag noch nicht umfangreich sein. Ihr unverwechselbarer Stil kristallisiert sich aber bereits nach zwei Kinofilmen heraus. Mit kräftigem Bodyhorror-Einschlag inszeniert sie aktuelle Themen, die uns als Gesellschaft umtreiben, und spinnt sie symbolträchtig weiter. In ihrem Film „Raw“ von 2016 ist es vegetarische/vegane Ernährung – die in Kannibalismus mündet. Jetzt, im Film „Titane“, der die Goldene Palme bei den Filmfestspielen von Cannes gewann, geht es um Gender Fluidity, also nichtbinäre Geschlechtsidentität. Ihre preisgekrönte Herangehensweise: eine Serienkillerin, die Sex mit Autos hat und sich im Körper eines Mannes versteckt.

Die Flucht vor sich selbst – darum geht es

Schon von frühester Kindheit an interessiert sich Alexia (Agathe Rousselle) mehr für Autos denn für Menschen. Selbst, nachdem ihr aufgrund eines Autounfalls eine Titanplatte in den Schädel eingesetzt werden muss. Als junge Erwachsene ist sie folgerichtig der Star auf Autoshows. Lasziv räkelt sie sich auf Motorhauben und wird von Autogrammjägern der skurrilen Subkultur belagert. Ihre wortwörtliche Liebe für Boliden geht so weit, dass sie Sex mit ihnen hat – und prompt schwanger wird.

Als wäre das noch nicht genug, treibt Alexia auch noch eine unbändige Mordlust an. Nach einem Blutbad in einer WG sieht sie sich dazu gezwungen, unterzutauchen. Sie tut dies, indem sie sich als der lange verschollene Sohn Adrien eines Feuerwehr-Hauptmanns ausgibt. Um dies halbwegs glaubhaft durchziehen zu können, muss sie allerdings erst gewisse Modifikationen an ihrem Körper vornehmen…

Cronenberg ist stolz

„Ich glaube, dass die Grammatik des Horror-Genres im Allgemeinen und des Bodyhorrors im Speziellen besonders interessant ist, weil es voller Symbole ist. Das bringt es so nahe an die griechische Mythologie“, sagte Ducournau im Gespräch mit „Deutschlandfunk Kultur“. Ein Statement, das so wohl auch von Horrorikone David Cronenberg (78) stammen könnte. Die Melange aus Fleisch und Metall zieht sich durch viele seiner Filme. Allen voran in „Crash“ von 1996, in dem James Spader (61) zum Unfall-Fetischisten mutiert. Dass Cronenberg der grösste Einfluss auf ihre Kunst ist, daraus macht Ducournau keinen Hehl.

Mit der angesprochenen Symbolik geizt „Titane“ wahrlich nicht. Als Erotiktänzerin wird Alexia ebenso als Objekt wahrgenommen wie die Autos, auf denen sie sich räkelt. Als solches kann sie sich gar mit einem dieser Autos paaren. Ihre Verwandlung von Alexia zu „Adrien“ und das damit verbundene Versteckspiel sowohl vor der Öffentlichkeit als auch der eigenen Familie ist ebenfalls sinnbildlich. Verwirklichen kann sich die Figur weder als Frau noch als Mann. Sie wird erst glücklich, als sie auch öffentlich von der geschlechtlichen Schwarzweiss-Malerei abrückt. Unglaublich, wie sich hierbei das nichtbinäre französische Model Agathe Rousselle (33) in der Rolle verändert. Stellenweise ist kaum zu glauben, dass es sich bei Alexia und „Adrien“ um ein und dieselbe Person handelt.

Was wie ein Slasher dargestellt wird, kann derweil als jugendliches „sich die Hörner abstossen“ verstanden werden. In Alexias sexueller Selbstfindungsphase schert sie sich nicht um die Gefühle anderer. Wer ihr im Weg steht oder emotional zu nahe kommt, wird von sich gestossen, also „ermordet“. Ihre Mordlust ist dabei gleichberechtigt, Männer wie Frauen fallen ihr zum Opfer. Ob das Gezeigte auch wirklich stattfindet oder sich vornehmlich im Kopf der Hauptfigur abspielt, darf zumindest angezweifelt werden. Das Resultat: „American Psycho“ trifft „Generation beziehungsunfähig“.

Fazit:

Cannes zeichnet gerne Filme aus, die mit den gängigen Konventionen des Kinos brechen. Selten jedoch gewann ein so abgedrehter Film wie „Titane“. Zumindest auf den ersten Blick. Was als Mischung aus Slasher und Bodyhorror der Marke Cronenberg daherkommt, ist bei genauerer Betrachtung eine interessante Sozialstudie nebst -kritik. Für die breite Masse ist „Titane“ nicht geeignet – auch das keine Seltenheit beim Gewinner der Goldenen Palme. 

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