„Shape of Water“: Märchenhafte Monster-Hommage mit Mängeln

Die Herrschaften der Academy Awards hat Guillermo del Toro mit seinem Film „Shape of Water“ restlos überzeugt. Das dürfte ihm bei den Kinogängern deutlich schwerer fallen.

13 Oscar-Nominierungen sprechen eine deutliche Sprache: „Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“ geht als absoluter Favorit in die anstehenden Academy Awards am 4. März. Eine märchenhafte Liebe, vielleicht die ungewöhnlichste der Kino-Geschichte, tolle Schauspieler, ein bis zur Perfektion rekonstruiertes 60er-Jahre-Setting, Drama, Tragik, Düsternis – Guillermo del Toro (53) vereint all das in seinem neuesten Werk. So seltsam das also klingen mag: zu einem Meisterwerk macht das „Shape of Water“ jedoch nicht.

Gemeinsam einsam

Die stumme Elisa Esposito (Sally Hawkins, 41) arbeitet gemeinsam mit ihrer Freundin Zelda Fuller (Octavia Spencer, 45) als Reinigungskraft in einer strenggeheimen Einrichtung des US-Militärs. Der Kalte Krieg mit der Sowjetunion ist in vollem Gange, hinter jeder Ecke vermuten paranoide Militärobere Spione, Intrigen und Verrat. Im Kampf gegen die verfeindete Supermacht ist ihnen daher jedes Mittel recht. So hat Elisa während ihrer Tätigkeit in dem Forschungslabor schon allerhand seltsamer Dinge gesehen, noch nie aber ist ihr etwas Vergleichbares wie an jenem schicksalshaften Tag unter die Augen gekommen: In ihrem Beisein wird in einem Tank ein mysteriöses Amphibenwesen angeliefert. Handelt es sich dabei um eine Laune der Natur – oder um eine mächtige biologische Waffe?

Schnell wird ihr klar, dass sie das traurige Schicksal der bemitleidenswerten Kreatur teilt. Sie ist schier unendlich einsam, sieht sich wegen ihrer Sprachbehinderung als Aussenseiterin und fühlt sich daher umgehend zu dem eingesperrten „Monster“ hingezogen. Lange dauert es nicht, ehe sie einen folgenschweren Entschluss fasst: entgegen jeder Wahrscheinlichkeit auf Erfolg will sie ihren neugewonnenen Freund aus den Fängen der Wissenschaftler befreien. Doch der sadistische Sicherheitschef Richard Strickland (Michael Shannon, 43), der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Kreatur zu quälen, kommt ihr auf die Schliche.

Klare Vorbilder

Lange muss nicht im Filmarchiv gekramt werden, ehe del Toros Inspiration für seine ungewöhnliche Liebesgeschichte ausgemacht ist. Fast Schuppe für Schuppe hat er seine Kreatur dem „Schrecken vom Amazonas“ nachempfunden, jenem Monster aus dem Schwarzweiss-Kultfilm von 1954. In „Shape of Water“ vermischt er dies relativ unverblümt mit der märchenhaften Inszenierung von „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Und was die Liebe zwischen einem Monster und einer Frau anbelangt, nun, da darf „Die Schöne und das Biest“ nicht fehlen – wahlweise, wenn auch nicht ganz so passend – „King Kong“.

Aus diesen Versatzstücken ein harmonisches Ganzes zu machen und auch noch in die heisse Phase des Kalten Krieges zu versetzen… hier hat sich del Toro eine Mammutaufgabe gestellt, die offenbar vielen Entscheidungsträgern Oscar-reif erscheint. Mit viel Liebe zum Detail lässt er die USA der 60er Jahre auf der Leinwand wiederauferstehen, selbst dem „Kiemenmensch“ verleiht er dabei Charakter und – Achtung, Wortspiel – Tiefgang.

Aber auch sich selbst zitiert del Toro mit seinem neuesten Film. Eine märchenhafte, zuweilen ungemein düstere und auch brutale Geschichte in einer realistischen Rahmenhandlung? Mit „Pan’s Labyrinth“ setzte der mexikanische Filmemacher die Messlatte für einen derartigen Film extrem hoch, erschuf schier sagenhafte Traumwelten. Doch viele Zuschauer und wohl auch nicht wenige Fans von del Toro dürften mit der Meinung aus dem Kino kommen, dass er besagte Messlatte mit „Shape of Water“ knapp gerissen hat.

Licht und Schatten

Störfaktoren liefert „Shape of Water“ definitiv. Wohlwollend ausgedrückt wird der diabolische Gegenspieler Richard Strickland von Michael Shannon eindringlich dargestellt – bösere Zungen attestieren ihm dagegen einen recht wackligen Ritt auf der „Overacting“-Rasierklinge. Hier hätte del Toro etwas weniger deutlich seine Aussage treffen können, dass nicht das Aussehen, sondern die Taten darüber bestimmen, ob man ein Monster ist oder nicht. Und das Octavia Spencer für ihre Darbietung als Zelda Fuller für den Oscar als „Beste Nebendarstellerin“ nominiert wurde, darf zumindest hinterfragt werden – im Gegensatz zum Fall von Richard Jenkins (70), der den Part als ebenfalls einsamer, homosexueller Freund von Elisa herzzerreissend gut spielt.

Auch zu kitschig könnte „Shape of Water“ den Kinogängern sein – wohingegen einige Szenen auf der anderen Seite (Stichwort: Finger) selbst Horrorfans an den Magen gehen. Was damit gesagt sein soll: Zwangsläufig stossen den Zuschauern in einem derartig gewagten Genre-Mix einige Dinge sauer auf, auch wenn der Film grundsätzlich nie langweilig wird. Zumindest, wenn sie nicht gleichermassen Romantik-, Horror-, Politthriller- und Fantasy-Fans sind.

Im wahrsten Sinne das Herzstück von „Shape of Water“ ist natürlich Sally Hawkins, die Aussichten auf den Oscar als „Beste Hauptdarstellerin“ hat. Wie ihr nicht-menschlicher Counterpart kann sie nicht reden, verständigt sich via Zeichensprache und stummfilm-ähnlicher Mimik und Gestik mit ihm. Über weite Strecken des Films ist die Beziehung des ungleichen Paares trotz der Fantasy-Handlung glaubhaft und bittersüss. Zu einem gewissen Punkt übertreibt es del Toro dann aber mit seiner „Völkerverständigung“, raubt ihr ihre Unschuld – und damit auch den Zauber.

Fazit

Die Gefahr scheint hoch, dass sich interessierte Kinogänger von den 13 Oscar-Nominierungen blenden lassen und in „Shape of Water“ rennen, ohne einen Blick auf den Regiestuhl geworfen zu haben. Denn Guillermo del Toro ist kein Filmemacher, der für Zugänglichkeit steht. Wer die romantische Seite von „Shape of Water“ liebt, dem könnte die düstere Facette missfallen – und umgekehrt. Jedes im Film enthaltene Genre ist für sich alleine meisterlich umgesetzt – an deren Polygamie aber dürften sich die Geister scheiden. Zu Land und zu Wasser.

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