„Stronger“: Es braucht nicht immer einen Helden

Mit „Stronger“ wird der Anschlag auf den Boston-Marathon von 2013 aufgearbeitet. Nicht immer leicht zu verkraften und gerade deshalb sehenswert.

Was dich nicht umbringt, macht dich stärker, weiss der Volksmund. Aber stimmt das auch, wenn einem jungen Menschen durch einen Bombenanschlag beide Beine weggesprengt werden? „Stronger“ befasst sich mit der wahren Geschichte von Jeff Bauman (Jake Gyllenhaal, 37), der sich als Zuschauer beim Boston Marathon 2013 mitten in der Detonation einer der beiden Sprengsätze befand, die dort im Abstand von 13 Sekunden explodierten, drei Menschen in den Tod rissen und 264 teils schwer verwundeten. Mehr noch als mit den körperlichen Wunden von Bauman beschäftigt sich „Stronger“ von Regisseur David Gordon Green aber mit den seelischen Narben, welche die Tragödie hinterlassen hat.

Aus dem alten Leben gerissen

Jeff Bauman ist ein lebensfroher, mitunter etwas verplanter und nicht sonderlich zuverlässiger junger Mann. Doch zu einem Termin hat er sich fest vorgenommen, wider seines Naturells, pünktlich zu erscheinen: seine On-Off-Freundin Erin Hurley (Tatiana Maslany, 32) ist als Teilnehmerin beim Boston Marathon angetreten und Jeff will sie vom Seitenrand aus anfeuern. Doch dann zündet ein Sprengsatz unmittelbar neben ihm und verändert nicht nur sein Leben von einer schrecklichen Sekunde auf die andere.

Die Verletzungen sind so schwer, dass ihm unterhalb der Knie beide Beine abgenommen werden müssen. Zwar gibt sich Jeff im Krankenhaus noch tapfer und findet sogar die Kraft, Scherze zu reissen. Doch lange nachdem die Wunden an seinem Körper verheilt sind, klaffen sie in seiner Seele umso grösser auseinander und drohen, sich niemals wieder zu schliessen. Da hilft es auch nicht, dass ihn das ganze Land auf Teufel komm raus als Held deklarieren will.

Terror essen Seele auf

Statt das eigentliche Attentat plakativ in den Vordergrund zu stellen und so den Tätern unnötig viel Aufmerksamkeit zu schenken, wählt Green mit seinem Film „Stronger“ einen anderen Weg. Der Anschlag trägt sich bereits in den ersten fünf Minuten zu, dessen Folgen sind der Kern des Streifens. Und die haben es wahrlich in sich.

„Ich bin ein Held, weil mir beide Beine weggesprengt wurden?“, wundert sich Jeff kurz nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Noch bevor er die nötige Zeit erhalten hat, die Geschehnisse zu verarbeiten, wird er durch die Medien ins Scheinwerferlicht gezogen und zum Star hochstilisiert. Immerhin hatte er der Polizei entscheidende Informationen gegeben, die zur Festnahme beziehungsweise Erschiessung der zwei mutmasslichen Täter führten.

Schonungslos zeigt der Film anhand seiner Hauptfigur, mit welchen massiven psychischen Problemen Opfer von Anschlägen zu kämpfen haben. „Stronger“ basiert dabei auf dem gleichnamigen Buch von Bauman, in dem er bereits einen ausführlichen Einblick in seine inneren Konflikte gegeben hat. Nach der Terror-Attacke trinkt er zu viel, wird jähzornig, droht sich von seinen Liebsten abzukapseln. Nach seinem Leben muss nun seine Psyche gerettet werden.

Was sind Helden?

Und dabei kommt vor allem seine Freundin Erin Hurley (Maslany) ins Spiel. Gyllenhaals Performance ist eindringlich und stark, doch die schwerere Aufgabe hat Maslany zu meistern. Ihre Liebe ist es letztendlich, die Jeff aus seinem seelischen Loch holt. Wie sie fast ebenso sehr unter seinen Verletzungen leidet, wie Bauman selbst, ist von der 32-jährigen Kanadierin („Orphan Black“) meisterlich gespielt. Der ansonsten im Film inflationär verwendete Begriff „Held“ wäre zumindest bei ihr vertretbar.

Den Fehler der Glorifizierung begeht „Stronger“ aber nicht, was vor allem an der Familie der Hauptfigur zu erkennen ist. Die ist insgesamt als liebender, aber durchaus auch als prolliger Anhang dargestellt, der Witze über Jeffs homosexuellen Chef reisst und frohlockt, als der erste mutmassliche Täter von der Polizei erschossen wird. Vielleicht nicht die hehrste Reaktion – aber eine glaubhafte.

Fazit:

„Stronger“ ist, wen kann es verwundern, gerade zu Beginn schwere Kost. Die Hauptfigur durchlebt eine immens schwere und nachvollziehbare Leidenszeit. Doch – und darauf deutet der Titel des Films hin – es ist auch eine Geschichte darüber, wie man gestärkt aus Tragödien hervorgehen kann. Interessierte Zuschauer brauchen den Magen für so einen Film, die lebensbejahende Aussage am Ende ist es aber wert, auch wenn sie mit etwas viel Zuckerguss angerichtet wird. So bitter Baumans Schicksal zu Beginn dargestellt wird, ist es aber ein erlaubter Ausgleich.

Vorheriger Artikel„Roman J. Israel, Esq“: Idealismus muss man sich leisten können
Nächster Artikel„Kompletter Beschiss“: Donald Trump teilt gegen Stormy Daniels aus