„Sicario 2“: Nach den Helden sucht man vergeblich

Wi­der Er­war­ten ist „Sicario 2“ trotz der Abgänge von Denis Villeneuve hinter und Emily Blunt vor der Kamera ein würdiger Nachfolger geworden. An einer Sache fehlt es dem Thriller aber dennoch.

Regisseur Denis Villeneuve (50) zählt nicht erst seit seiner gelungenen Sci-Fi-Fortsetzung „Blade Runner 2049“ zu den vielversprechendsten Filmemachern der Welt. Im Jahr 2015 begeisterte und schockierte der Kanadier schon mit dem knüppelharten Thriller „Sicario“. Für den zweiten Teil, der ab dem 19. Juli ins Kino kommt, zeichnet nun jedoch sein Kollege Stefano Sollima (52, „Suburra“) verantwortlich. Villeneuves Handschrift vermisst man in dem überraschend gut gelungenen „Sicario 2“ nicht, sehr wohl aber einen rechtschaffenen Charakter wie jenen von Emily Blunt (35), der die Zuschauer in Teil eins noch an die zittrige Hand nahm.

Keine Zeit für Gewissensbisse

Über die Grenze zwischen den USA und Mexiko werden schon lange nicht mehr ausschliesslich Drogen geschmuggelt. Menschenhändlerringe verdienen sich ein goldenes Näschen, indem sie verzweifelte Familien über die Grenze und ins Land der unendlichen Möglichkeiten führen. Nicht ohne ihnen zuvor das Ersparte abzuknöpfen und auf die Gefahr hin, sofort geschnappt und wieder zurückgebracht zu werden – oder gar als Leiche auf der anderen Seite anzukommen. Doch unter die illegalen Einwanderer mischen sich zunehmend auch Terroristen, die via Mexiko am leichtesten in die USA gelangen können.

Nach einem verheerenden Anschlag in einem Supermarkt schmiedet die US-Regierung samt des Präsidenten einen Plan, der im Vergleich mit dem Vorgehen der Menschenhändler keinen Deut besser zu sein scheint: Die jugendliche Tochter eines mexikanischen Kartellbosses soll entführt und die Tat einer anderen Verbrechergruppe in die Schuhe geschoben werden. Auf diese Weise hofft man, dass sich die Kartelle gegenseitig den Garaus machen. Strippenzieher der moralisch verwerflichen Aktion ist wieder einmal ein gewisser Matt Graver (Josh Brolin, 50), der dabei auch seinen gefürchteten Bluthund Alejandro (Benicio del Toro, 51) von der Leine lässt – der hat mit dem Vater des zu entführenden Mädchens ohnehin noch eine grausame Rechnung offen.

Nur die Realität ist härter

In den letzten Wochen war es schlichtweg unmöglich, den Bildern der US-Internierungslager und dem damit verbundenen Sturm der Entrüstung gegen Präsident Donald Trump (71) zu entgehen. Traurige Aktualität hat „Sicario 2“ also und spricht damit ein relevantes Thema an. Nicht nur für zarte Gemüter könnte die schonungslose Darstellung von Gewalt an und rund um die Grenze aber zu zermürbend sein, da ähnliche Bilder schon seit geraumer Zeit die Nachrichten bestimmen. Kino als Eskapismus, als Flucht aus der zuweilen so frustrierend grausamen Realität, dafür taugt „Sicario 2“ nicht.

Sehr wohl aber für die Botschaft, dass letztendlich auf beiden Seiten der Grenze das Gesetz des Stärkeren herrscht. Dass es sich keiner leisten kann, Idealist zu sein – hüben wie drüben. Die Kartelle nutzen Kinder als Schleuser, die geheime Einrichtung um Brolins Charakter Matt Graver bombardiert nach und nach die einzelnen Familienmitglieder eines Gefangenen, um an Informationen zu kommen. Im Vergleich zum bereits sehr düsteren ersten Teil scheinen die Figuren noch einmal gehörig an Skrupel verloren zu haben.

Wo sind all die Helden hin?

Schauspielerisch ist weder Brolin noch del Toro etwas vorzuwerfen. Vor allem Letzterer verleiht seiner Figur in der Interaktion mit dem gekidnappten Mädchen (grandios von der erst 17-jährigen Isabela Moner verkörpert) eine tragische Tiefe. Und dennoch mutet Alejandro über die Gesamtheit des Films wie ein Racheengel an, der selbst weiss, dass der Weg zur Läuterung für ihn nicht mehr begehbar ist. „Sicario 2“ fehlt ein Charakter wie Kate Macer, im ersten Teil von Emily Blunt dargestellt. Sie repräsentierte darin das Gewissen, die Rechtschaffenheit, den Willen, für ihre Ziele nicht über die Leichen Unschuldiger zu gehen. Ohne diesen moralischen Anker kann „Sicario 2“ für viele Zuschauer zu deprimierend und düster sein.

Auf Wiedersehen, Fingernägel!

Erneut keinerlei Mangel gibt es an nervenaufreibenden Sequenzen. Wie schon Villeneuve in Teil eins, weiss nun auch Sollima, die Kinogänger mit einer Mischung aus Action und Thriller-Suspense tief in die Sitze zu pressen. Bei einigen Szenen, etwa einem Hinterhalt mitten im Nirgendwo oder wenn Alejandro versucht, unbemerkt über die Grenze zu kommen, steigt der Puls und die Anzahl intakter Fingernägeln sinkt. Überhaupt ist die Action in „Sicario 2“ ein Sinnbild für den gesamten Film: brachial, düster und frei von jedweder Glorifizierung.

Fazit:

„Unterhaltsam“ ist das falsche Wort, „sehenswert“ trifft es bei „Sicario 2“ besser – wie schon bei seinem Vorgänger. Für die Sicherheit des eigenen Landes zu sorgen, ist hier nicht als ehrenvolle Aufgabe dargestellt, sondern als eine, die zuweilen zu nicht minder verwerflichen Methoden wie auf der Gegenseite führt. Einen strahlenden Helden sucht man dementsprechend vergebens, Antiheld Alejandro als Sympathieträger funktioniert gerade mit Hinblick auf seine Taten im ersten Teil nur bedingt. Wer bereits die beklemmende Stimmung von „Sicario“ mochte, wird den Kauf einer Kinokarte für dessen Nachfolger nicht bereuen.

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