„Vice“: Der Teufel aus der zweiten Reihe

In „Vice“ mimt Christian Bale den mächtigsten Vize der US-Geschichte, der im wahrsten Sinne schon sein zweites Herz hat – ohne je eines besessen zu haben.

Gerade noch rechtzeitig vor der Verleihung am 24. Februar bekommen Kinofans einen der grossen Favoriten der 91. Oscars zu sehen. Denn am Donnerstag läuft mit „Vice – Der zweite Mann“ wieder einmal eine unglaubliche Verwandlung von Christian Bale (45) an, dieses Mal in den ehemaligen US-Vize-Präsidenten Dick Cheney (78). Und die hat sich ihre acht Oscar-Nominierungen fast alle verdient.

Vom Hallodri zum Machtmenschen

In seinen jungen und noch nicht ganz so korpulenten Tagen nimmt es Richard Bruce „Dick“ Cheney (Bale) nicht so genau mit dem Gesetz – speziell in Hinsicht auf Alkohol am Steuer. Erst als ihm seine Frau Lynne (Amy Adams) ein Ultimatum stellt, gelobt er Besserung und landet schon bald im Kompetenzteam eines gewissen Donald Rumsfeld (Steve Carell). Dort findet sich Cheney schnell zurecht und lernt noch schneller, die Menschen um sich herum zu manipulieren.

Am einfachsten fällt ihm das bei einem besonders einfältigen Exemplar, das gerne in die Präsidenten-Fussstapfen seines Vaters schlüpfen wurde: George W. Bush (Sam Rockwell). „Widerwillig“ erklärt sich Cheney dazu bereit, als Vize für ihn in den Wahlkampf zu gehen. Aber nur, wenn er Bush die banalsten Aufgaben abnehmen dürfe, die damit einhergehen: etwa Bürokratie, Militär, Energie – und die Aussenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika.

Kein Funken Gutes in sich?

Vom Trinkgelage ins Auto und anschliessend ins Kittchen – so lernt der Zuschauer den jungen, streitsüchtigen Dick Cheney kennen. Sympathischer wird er einem im Verlauf der rund zwei Stunden Film nicht mehr. Er ist der Inbegriff eines Opportunisten, der mehr als einmal über Leichen geht, um seine Ziele zu erreichen und letztendlich sogar eine seiner eigenen Töchter fallen lässt – nicht die heterosexuelle Liz, sondern die homosexuelle Mary, versteht sich. Schwer fällt es nicht nachzuvollziehen, warum Christian Bale beim Gewinn eines Golden Globes Satan als grösste Inspirationsquelle für die Rolle nannte.

Dass „Vice“ vom selben Regisseur wie „The Big Short“ ist, in dem die Bankenkrise von 2008 satirisch aufgearbeitet wurde, fällt quasi ab der ersten Sekunde auf. So wie den Bankern damals dürfte der Film von Adam McKay nun vor allem den Republikanern ein Dorn im Auge sein, an denen kaum ein gutes Haar gelassen wird. Als differenziert kann „Vice“ jedenfalls nicht tituliert werden, was die sehr geteilte Meinung erklären würde, die dem Streifen in der US-Heimat entgegenschlägt. Denn obwohl er acht Oscar-Nominierungen vorweisen kann, bei der Bewertungsseite „Rotten Tomatoes“ hat er lediglich eine positive Zuschauerbewertung von 56 Prozent – wohl sehr demokratischen 56 Prozent.

One-Man-Show?

Trotz des ungemein starken Ensembles verkommt „Vice“ zur One-Man-Show. Denn entgegen der Trailer-Eindrücke kommt Sam Rockwell im Film selbst nur sehr sporadisch in einigen wenigen Szenen als Bush Jr. vor. In denen aber so blendend, dass er für seinen Kurzeinsatz zum zweiten Mal in Folge für den „Nebendarsteller“-Oscar nominiert wurde.

Und auch Amy Adams („Beste Nebendarstellerin“) ist in „Vice“ bestenfalls nur Vize vom Vize. Sagen wir es so: Bei all ihren bisherigen Oscar-Nominierungen gab es schon Rollen, für die sie den Goldjungen eher verdient hätte. Aber davon kann auch ein gewisser Leonardo DiCaprio ein Lied singen. Wer im Oscar-Buzz dagegen ziemlich unter dem Radar spielt, ist Steve Carell. Der liefert als phrasen-dreschender, selbstherrlicher Donald Rumsfeld eine ebenfalls grossartige Leistung ab.

Sinn für Galgenhumor ist Pflicht

Den besonderen Stil von Adam McKay muss man schon mögen. Zumal im Gegensatz zu „The Big Short“ dieses Mal leider keine nackte Margot Robbie aus der Badewanne heraus die undurchsichtigen Machenschaften erklärt. Wer sich mit den Mühlen der US-Politik nicht überdurchschnittlich gut auskennt, wird wohl nicht jeden von Cheneys Plänen durchschauen können. Aber das tat ohnehin so gut wie niemand.

„Vice“ mag ein lustiger Film sein, in all seinem Galgenhumor nimmt er seinen Protagonisten aber ausgesprochen ernst. Aus Cheney wird keine Witzfigur gemacht, im Gegenteil. Er ist der Strippenzieher, der nach den Attentaten des 11. September als einziger einen kühlen Kopf bewahrt. Und diesen wohl nutzte, um sich Massenvernichtungswaffen im Irak zu ersinnen. Da passt es auch ins Bild, dass er, aufgrund eines Herzinfarkts im Sterben liegend, am Ende des Films noch einmal beteuert, absolut nichts zu bereuen. Das Spenderherz kommt dann aber doch noch rechtzeitig. Glück muss man haben.

Fazit:

Dick Cheney wird in „Vice“ als Mann dargestellt, der zwar schon zwei Herzen in seiner Brust schlagen hatte – und dennoch nie eines besass. Das wirkt in manchen Bereichen recht einseitig erzählt, vielleicht gibt es über den Politiker aber auch wirklich nichts Gutes zu sagen. Jede der acht Oscar-Nominierungen hätte es zwar nicht gebraucht, ein sehenswerter Film mit herausragender Leistung von Christian Bale ist es aber allemal.

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