„Loving“: Die Liebe ist farbenblind

Eine grosse Entscheidung, zwei grandiose Schauspieler und wenig Tamtam: Auf die Tränendrüse will Jeff Nichols mit seinem Film „Loving“ nicht drücken.

Wem Regisseur und Drehbuchautor Jeff Nichols (38) ein Begriff ist, der weiss, auf zwei Dinge in seinen Filmen bauen zu können. Zum einen wird die männliche Hauptrolle mit grosser Wahrscheinlichkeit entweder von Michael Shannon („Nocturnal Animals“, 42) oder Joel Edgerton (42) gespielt. Zum anderen darf man sich auf kein dramatisiertes, übersentimentales Effektkino einstellen. „Loving“ erzählt erfrischend bodenständig, für viele aber wohl zu gemächlich die wahre Geschichte über den bahnbrechenden Gerichtsprozess von „Loving gegen Virgina“ – und hält dabei ein Plädoyer für die Liebe.

Vor Gott sind alle gleich?

Zwischen Richard (Joel Edgerton) und Mildred (Ruth Negga, 35) geschieht das Natürlichste der Welt: Sie verlieben sich. Doch in den 1950er Jahren und vor allem im Süden der USA wird ihre Zuneigung als Abart verteufelt – denn Richard ist weiss und Mildred schwarz. Entgegen der Warnungen ihrer Freunde machen sie sich ins liberale Washington auf, um dort zu heiraten. Doch zurück in Virginia müssen sie mit Schrecken feststellen, dass der Hass ihrer Mitmenschen keine Grenzen kennt.

Die beiden werden vom ansässigen Gericht für schuldig befunden, eine „gemischtrassige Ehe“ eingegangen zu sein und zu einer Haftstrafe verurteilt, sollten sie den Bundesstaat nicht verlassen. 25 Jahre müssen sie ihrer Heimat fern bleiben, wenn sie ihr Kind nicht aus dem Knast heraus aufwachsen sehen wollen – denn Mildred ist schwanger. Doch in ihrem Exil reift vor allem bei Mildred zunehmend der Wille, diese himmelschreiende Ungerechtigkeit anzufechten. Doch was können zwei Liebende gegen jahrhundertelangen Rassismus schon ausrichten?

Gegen alle Widerstände

„Ich bin schwanger.“ Mit diesen Worten von Hauptfigur Mildred beginnt Jeff Nichols neuer Film „Loving“. Was vielen Männern unter normalen Umständen schon tiefe Sorgenfalten in die Stirn gegraben hat, müsste Richard eigentlich aus den grossen Schuhen hauen. Doch der bullige Maurer, der die mangelnde Schulbildung mit seinem grossen Herzen mehr als ausgleicht, weigert sich, an das drohende Unheil zu denken. Voller Freude nimmt er die werdende Mutter seines Kindes in den Arm.

Es sind solch kleine, ruhige Momente, die den Hauptdarstellern von „Loving“ alles abverlangen. Edgerton brilliert als einfacher Mann, der Probleme dabei hat, Menschen in die Augen zu schauen, während er mit leiser, aber bestimmter Stimme spricht. Ein Mann, der ähnlich wie „Forrest Gump“ zu einfach gestrickt ist, um berechnend oder hinterlistig zu sein. Die Gutmütigkeit in Person kann nicht verstehen, warum er seine Frau nicht einfach nur lieben, ihr ein Heim bauen, mit ihr glücklich sein darf. Und wer will es ihm verdenken?

Der perfekte Cast

Als einerseits zerbrechliche Frau, andererseits unnachgiebige Verfechterin des „Civil Rights Movements“ steht Ruth Negga der vielschichtigen Darbietung ihres männlichen Co-Star in nichts nach. Sie ist die treibende Kraft dahinter, dass der Fall eines einzigen Paares in Virginia schliesslich vor dem obersten Gerichtshof landet – und als Folge von „Loving gegen Virginia“ das Gesetz endlich abgeschafft wird, dass in besagtem Bundesstaat Ehen zwischen Weissen und Afro-Amerikanern unter Strafe verboten sind.

Blickt man auf Fotografien der echten Richard und Mildred Loving, die im Film teils eins zu eins nachgestellt werden, wird die Leistung der beiden Schauspieler nur noch deutlicher. Eine passendere Besetzung scheint jedenfalls gar nicht möglich gewesen zu sein.

Nicht typisch Hollywood

Wo nun die meisten Filme den spektakulären Gerichtsprozess in den Vordergrund stellen würden, behält es sich Nichols vor, auf der kleinstmöglichen Ebene zu bleiben – auf jener der beiden Liebenden. Über das bahnbrechende Urteil erfährt Mildred in einem kurzen Telefonat, ihre Reaktion ist nicht überschwänglich. Das schlägt so sehr gegen die gängigen Hollywood-Konventionen, dass sich die Zuschauer wohl verwundert die Augen reiben werden – die, das darf zumindest gemutmasst werden, bei den meisten von ihnen trocken bleiben werden. „Loving“ drückt zu keiner Zeit auf die Tränendrüse, ist deswegen etwas Besonderes, wird aber ebenfalls deswegen wohl wenigen Menschen lange in Erinnerung bleiben.

Fazit:

Wer eine wohlverdiente Pause vom Hollywood-Bombast einlegen will und auf extrem gut dargebotene, aber eben sehr ruhige Drama-Kost zurückgreifen will, für den bietet sich „Loving“ an. Die beiden Hauptdarsteller sind über jeden Zweifel erhaben, nur gezielt tragisches Taschentuchkino sollte trotz der Thematik niemand von „Loving“ erwarten. Was eigentlich recht erfrischend ist.

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