Sully: So heldenhaft kann abstürzen sein – Eastwoods Wunder vom Hudson

Clint Eastwood widmet sich in „Sully“ einer zentralen Frage: War die Landung auf dem Hudson River heldenhaft oder überhastet? Die Antwort darauf ist nicht zuletzt dank Tom Hanks ausgesprochen sehenswert.

Geld fällt nicht vom Himmel? Das sah die einstige Fluggesellschaft US Airways im Jahr 2009 ganz anders. Immerhin hatte einer ihrer Piloten gerade einen zig Millionen Dollar teuren Airbus A320 im Hudson River versenkt. Für die Medien war Chesley „Sully“ Sullenbergers Notlandung eine Heldentat, für die Nationale Behörde für Transportsicherheit (NTSB) eine streitbare Entscheidung, die es zu ergründen galt. Dieser Geschichte, von der breiten Teilen der Öffentlichkeit bislang wohl nur die heroische Tat bekannt war, nahm sich nun Regisseur Clint Eastwood an – und das gewohnt oscarverdächtig.

Held oder Helden-Mär?

Ganz klar: Chesley „Sully“ Sullenberger (Tom Hanks) und sein Copilot Jeff Skiles (Aaron Eckhart) sind Helden. Immerhin haben sie es geschafft, eine gut besetzte Passagiermaschine (155 Personen) trotz des Ausfalls beider Triebwerke sicher zu landen – auf dem Hudson River in New York! Wer kann sich nicht an die unglaublichen Bilder von 2009 erinnern? Und trotzdem muss ausgerechnet der Meisterpilot nach der Aktion um seine Pension bangen. Doch was könnte es an dem Wunder ohne Todesopfer zu mäkeln geben?

Nun, die Fluggesellschaft nebst zuständiger Behörde will herausgefunden haben, dass das Flugzeug durch den Vogelschlag gar nicht derart stark beschädigt wurde, wie es Sully so vehement behauptet. So sollen Daten der sichergestellten Blackbox darauf hindeuten, dass nur eines der beiden Triebwerke tatsächlich funktionsunfähig war. Simulationen belegen zudem, dass die spektakuläre Notlandung auf dem Hudson River unnötig gewesen sei. Hätte Sully die Maschine ganz einfach zurück zum Flughafen manövrieren können? Der vermeintliche Held zweifelt zunehmend an seiner Entscheidung.

Vom Scharfschützen zum Piloten

Zum zweiten Mal in Folge widmet sich Eastwood mit „Sully“ also einer realen Person – und einem realen Helden? Im Fall seines 2014 erschienen Films „American Sniper“ wurde diese Frage in den Medien heftig debattiert. Immerhin basierte der Film auf der Autobiografie des Scharfschützen Chris Kyle, „American Sniper: The Autobiography of the Most Lethal Sniper in U.S. Military History“, in der er recht unverhohlen auch über die Freude am Töten berichtete und feindliche Kämpfer als „Barbaren“ bezeichnete. Und dennoch stellt Eastwood in „Sully“ höchstpersönlich die Helden-Frage ungleich vehementer als in „American Sniper“, zu einer weit weniger streitbaren Persönlichkeit. Doch ebenso eindeutiger beantwortet er selbst diese Frage am Ende des Films.

Erfrischend schnörkellos

Eine unglaubliche Landung, deren Ausführung Zweifel am zuständigen Piloten hervorrufen – „Sully“ hat die Tatsache auf seiner Seite, dass sich die gezeigte Geschichte 2009 wirklich zutrug. Doch in den knapp sieben Jahren zwischen der Hudson-Landung und dem gegenwärtigen Kinostart gab es mit „Flight“ von 2013 bereits einen ganz ähnlichen Film. Auch darin, wenn auch wesentlich überspitzter als in „Sully“, gerät ein Pilot nach einer Notlandung ins Kreuzfeuer der Behörden.

Mit den Schauwerten des stimmungsvollen „Flight“ kann und will „Sully“ nicht mithalten. Schliesslich drehte Denzel Washington darin den Jumbojet mal eben auf den Kopf, um ihn mehr oder minder heil runterzubringen. Eastwood inszeniert den Absturz hingegen erfrischend unprätentiös, ähnlich wie es zur sachlichen Art von Sullenberger passt. Keine überstilisierten Zeitlupen oder dramatische Musik übertünchen den Horror des Absturzes und das Wunder der heilen Landung.

Alle Blicke auf Sully

Drama hat „Sully“ aber nichtsdestotrotz reichlich zu bieten. Die Posttraumatische Belastungsstörung, unter der Sullenberger laut eigenen Angaben direkt nach dem Absturz litt, bekommt der Zuschauer anhand von Alpträumen hautnah aufgezeigt. Diese Sequenzen zeigen gekonnt, wie sehr es damals hinter der Fassade des Piloten brodelte – und wie gross seine Angst war, aus der regelrechten Heiligsprechung durch die Medien am Ende doch als Verlierer hervorzugehen. Denn so schnell sie einen zum Helden ernennen, so schnell kann bekanntlich auch das Gegenteil der Fall sein. Wundern würde es bei all dem nicht, sollte Hanks für die gelungene Darstellung dieses Gefühlschaos auf der einen, und der stoischen Ruhe im Angesicht des Todes auf der anderen Seite, eine Oscar-Nominierung einfahren.

Schwer fällt es „Sully“ aufgrund des starken Augenmerks auf die Hauptfigur allerdings, den anderen Charakteren Tiefgang zu verleihen. Mit Ausnahme seines Copiloten Jeff Skiles (Eckhart) bleiben alle anderen Protagonisten blass, beziehungsweise werden in Form der Ermittlungsbehörde als recht eindimensionale Antagonisten dargestellt. Für Freunde kurzweiliger Unterhaltung kann das aber auch ein Pluspunkt sein. Mit dieser Entscheidung schaffte es Eastwood schliesslich, den Film mit gerade einmal 96 Minuten Laufzeit ohne Längen zu inszenieren.

Fazit:

Mit „Sully“ bringt Clint Eastwood – ähnlich „American Sniper“ – eine fesselnde Charakterstudie ins Kino, jedoch gänzlich ohne des teils faden Beigeschmacks des Films mit Bradley Cooper von 2014. „Es ist lange her, seit New York gute Nachrichten hatte – vor allem mit einem Flugzeug“, sagt eine der Figuren kurz nach dem Absturz zu Sully. Und genau als solche deklariert Eastwood die Notlandung auch klipp und klar: Als eine so selten gewordene gute Nachricht für eine ganze Nation, an der absolut keinerlei Zweifel gehegt werden sollte – am allerwenigsten an dem Mann, der für das Wunder sorgte.

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