Tori Amos: Aus diesem Grund spricht die Sängerin mit Bäumen

Tori Amos veröffentlicht am 29. Oktober ihr neues Album

Quelle: Desmond Murray

Die US-Sängerin Tori Amos ist mit ihrem neuen Album „Ocean to Ocean“ zurück. Im Interview verrät die 58-Jährige, warum sie mit Bäumen spricht und wie sie als Musikerin durch die Zeit der Lockdowns gekommen ist.

Seit Tori Amos (58, „Cornflake Girl“) 13 Jahre alt ist, steht die Vollblutmusikerin auf der Bühne. Die Lockdowns ohne Konzerte und Live-Musik beschreibt die US-Sängerin deshalb als ihre „eigene private Hölle“. Ihr im Lockdown entstandenes Album „Ocean to Ocean“, das am 29. Oktober erscheint, handelt von Verlusten. 2019 starb Amos‘ Mutter. Ihre Asche verstreute die Sängerin unter einem Baumhaus in Florida. Während der Corona-Pandemie konnte sie nicht dorthin reisen. Warum Tori Amos deshalb mit Bäumen spricht, verrät sie im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news. Ausserdem gibt die Sängerin, die als junge Frau ein Opfer sexueller Gewalt wurde, Ratschläge an Betroffene.

Das Album „Ocean to Ocean“ entstand während des dritten Lockdowns in Grossbritannien. Wie ging es Ihnen zu dieser Zeit?

Tori Amos: Zu der Zeit gab es mehrere Faktoren, die auf mich einwirkten: Die Tatsache, dass es der dritte Lockdown war, nicht der erste oder zweite, sondern der dritte. Es war das erste Mal, dass ich eine Tournee absagen musste. Live-Musik war also vom Tisch. Ich habe noch nie so lange in meinem Leben keine Live-Musik spielen können. Und dann der Wahnsinn, der in den USA nach den Präsidentschaftswahlen stattfand, die Reaktion darauf und die Spaltung. Dann kam der Aufstand und die verräterische Reaktion einiger unserer gewählten Machthaber, die bereit waren, die Demokratie bis auf den Grund niederzubrennen. Ich glaube, ich bin gegen eine Wand gefahren. Das war mein Gemütszustand.

Im Lockdown in Cornwall waren Sie von Ihrem Mann Mark und Ihrer Tochter Tash und deren Freund umgeben. Welche Rolle spielt Ihre Familie in Ihrem Leben?

Amos: Meine Familie ist alles für mich. Wir sind ein Team. Wir haben im ersten Lockdown an einem Strang gezogen. Ich würde sagen, wir haben uns alle zusammengerauft. Wir haben miteinander gesprochen und uns ausgetauscht, wir haben zusammen gegessen, wir haben wirklich zusammengehalten. Oliver, Tashs Freund, hat Tracks gespielt und uns Musik gezeigt, die Mark und ich vorher noch nicht gehört hatten. Das war eine tolle Erfahrung.

In „Speaking with Trees“ singen Sie davon, dass Sie die Asche Ihrer Mutter unter einem Baumhaus in Florida versteckt haben. Finden Sie Trost, wenn Sie diesen Ort besuchen?

Amos: Das tue ich, aber ich war seit 18 Monaten nicht mehr dort. Also musste ich einen Weg finden, diesen Ort heraufzubeschwören, ohne dorthin gehen zu können. So zog es mich nach draussen zu den Bäumen. Ich vertraute darauf, dass es eine Art uraltes Wissen gibt, dass die Bäume Weisheit besitzen. Ich interessierte mich dafür, wie sie miteinander kommunizieren. Ich fand das, ob Sie es glauben oder nicht, wirklich beruhigend. Indem ich den Bäumen zuhörte, begann ich die Gegenwart meiner Mutter zu spüren.

Sie sind seit mehr als 25 Jahren Sprecherin für RAINN, der US-weiten kostenlosen Hotline für Opfer von sexueller Gewalt. Was hat sich über die Jahre verändert? Hat sich die Situation für Frauen und Kinder verbessert?

Amos: Es gibt jetzt Netzwerke und Stellen, an die man sich in den USA und in England wenden kann. Ich bin sicher, dass es sie auch in Deutschland gibt. Was sich verbessert hat, ist die Tatsache, dass man anrufen, eine E-Mail schreiben oder über soziale Medien Kontakt aufnehmen kann. Man kann dort mit jemandem sprechen, der auf dem Gebiet der sexuellen Übergriffe geschult ist und in der Lage ist, Ratschläge zu geben. Vor allem für Minderjährige ist das schwierig. Während des Lockdowns waren manche in einer Wohnung mit dem Täter gefangen und hatten das Gefühl, niemanden erreichen zu können. Nach den Lockdowns ist es also zu einer Flut von Anrufen gekommen. Es ist einfach herzzerreissend zu sehen, dass es in den letzten 18 Monaten so viel Missbrauch, auch häusliche Gewalt, gegeben hat.

Sie waren vor vielen Jahren selbst eine Überlebende sexueller Gewalt. Was ist Ihr wichtigster Rat an Betroffene?

Amos: Sich professionelle Hilfe zu holen, wenn man dazu bereit und in der Lage ist. Das war für mich ein Wendepunkt. Wenn man dazu nicht in der Lage ist, dann finde ich es sehr wichtig, mit Menschen zu sprechen, die selbst Erfahrung mit Übergriffen haben. Diese können dann zu einer Art Mentor werden. Denn wenn man mit Menschen spricht, die diesen Weg noch nicht gegangen sind, dann geben sie einem vielleicht nicht den Rat, der einen wirklich zum nächsten Schritt im Heilungsprozess bringt.

Sie sind bereits mit 13 Jahren in einem Club aufgetreten. Wie blicken Sie auf Ihre Anfänge zurück? Was hätten Sie Ihrem jüngeren Ich gerne gesagt?

Amos: Ich würde gerne sagen: Du bist wirklich gesegnet, dass du die Möglichkeit hast, in einem so jungen Alter vor Leuten Musik zu machen. Indem du die Songs anderer Leute lernst und sie performst, lernst du etwas, das Teil deines ganzen Lebens sein wird, Teil deines gesamten künstlerischen Prozesses. Es wird dich auch zu einer besseren Songwriterin machen. Du musst offen sein für verschiedene Arten von Musik, verschiedene Strukturen und Genres. Und selbst wenn du nicht gut darin bist, nimm es an. Probiere es aus. Schau, was passiert. Das ist es, was ich meinem jüngeren Ich sagen würde.

Nächstes Jahr werden Sie auf Europatournee gehen. Wie sehr freuen Sie sich darauf, nach all der Zeit wieder Konzerte vor Publikum geben zu können?

Amos: Ich freue mich sehr. Ich vermisse die Interaktion. Von Leuten zu hören, welche Beziehung sie zu meinen Songs haben, was sie gelernt haben, was sie entdeckt haben. Es ist so ein Abenteuer für mich zu hören, wie die Leute mit den Liedern umgehen und was die Lieder für sie bedeuten.

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