Holt sich Netflix mit „Roma“ den wichtigsten Preis der Filmbranche?

Bei der 91. Oscar-Verleihung kann Netflix richtig absahnen. Mit der Produktion „Roma“ hat der Streamingdienst zehn Nominierungen abgestaubt. Es ist der wohl ungewöhnlichste Film des Jahres.

Es war der Überraschungsmoment des bisherigen Filmjahres: Mit gleich zehn Nominierungen geht das Drama „Roma“ des mexikanischen Regisseur Alfonso Cuarón (57, „Gravity“) als Favorit ins Rennen um die 91. Oscars. Auch in der Königskategorie „Bester Film“ ist der Streifen bedacht worden. Der Streamingdienst Netflix steht hinter „Roma“ und könnte sich somit 2019 den wichtigsten Preis der Filmbranche schnappen. Die Veröffentlichung des Dramas ist eine bisher nie da gewesene Vorgehensweise.

Ungewöhnliche Ausnahme

Netflix verfolgte bisher die Strategie, seine Filme von Anfang an für seine Abonnenten verfügbar zu machen und damit Lichtspieltheatern das gewohnte exklusive Zeitfenster zu verweigern. Laut Oscar-Regeln muss ein Film im Vorjahr der Verleihung an mindestens sieben Tagen zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember in einem Kino im Gebiet von Los Angeles County gelaufen sein. Es ist ein ungewöhnliches Zugeständnis, dass „Roma“ zunächst in ausgewählten US-Kinos zu sehen war und erst rund drei Wochen später für die Netflix-Abonnenten freigeschaltet wurde.

Der Streamingdienst kann sich 2019 über insgesamt 15 Nominierungen freuen. Neben den zehn Nennungen für „Roma“ ist der Western „The Ballad of Buster Scruggs“ von den Coen-Brüdern in den Kategorien „Bestes adaptiertes Drehbuch“, „Bestes Kostümdesign“ und „Bester Filmsong“ nominiert. Ausserdem konkurrieren als „Bester Dokumentar-Kurzfilm“ die Netflix-Produktionen „Endspiel“ und „Period. End of Sentence“ um einen Goldjungen.

Gelingt ein echter Coup?

„Roma“ teilt sich mit „The Favourite – Intrigen und Irrsinn“ den ersten Platz in der Liste der am häufigsten nominierten Filme. Dass ein Streifen zeitgleich als „Bester fremdsprachiger Film“ und „Bester Film“ nominiert ist, geschah zuvor schon viermal in der Oscar-Geschichte. Die Filme „Z“ (1969), „Das Leben ist schön“ (1998), „Tiger and Dragon“ (2000) und „Liebe“ (2012) wurden jeweils für beide Kategorien nominiert, konnten aber immer nur als „Bester fremdsprachiger Film“ triumphieren. Es wäre eine Premiere in der Oscar-Geschichte, wenn „Roma“ beide Goldjungen einheimst.

Darum geht es in „Roma“

In „Roma“ erzählt Alfonso Cuarón von einer bürgerlichen Familie in den Siebzigerjahren in Mexiko-Stadt. Der Vater verlässt die Familie, lässt seine Frau und die vier Kinder zurück, die plötzlich auf sich allein gestellt sind. Herz und Angelpunkt der ganzen Familie ist das Kindermädchen Cleo (Yalitza Aparicio), das als Ersatzmutter den ganzen Haushalt schmeisst. Ein guter Job in Mexiko, das von Unruhen und Studentenaufständen erschüttert wird, die brutal vom Regime unter Präsident Luis Echeverría Àlvarez niedergeschlagen werden.

Doch Cleo hat für alles das weder Zeit noch Sinn, sie muss einen riesigen Haushalt aufrecht erhalten mit vier Kindern, die sie lieben, aber allen auf der Nase herumtanzen. Eines Tages verliebt sich Cleo auch noch in einen jungen Guerillero und wird schwanger.

„Roma“ ist ein wahrlich ungewöhnlicher Schwarz-Weiss-Film. Ohne stringenten Handlungsfaden wird Cleos Geschichte fast wie eine Art Erinnerung, schwebend, ohne gefühlsbestimmenden Soundtrack erzählt. Das hat es so bisher – wenn überhaupt – im italienischen Neorealismus gegeben. Neben all dem ist „Roma“ aber auch ein ganz privater Film. Gewidmet ist er Libo, der Frau, die vor 50 Jahren Regisseur Alfonso Cuarón mit grosszog. Ob „Roma“ dem Hype bei den diesjährigen Academy Awards gerecht wird, wird sich am 24. Februar zeigen.

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