„Osmosis“ ist kein „Black Mirror“ – obwohl es die Zutaten mitbringt

Ende März lief auf Netflix die Science-Fiction-Serie „Osmosis“ an. Seither wird sie gerne mit der britischen Serie „Black Mirror“ verglichen – ähnliches Setting, ähnliche Thematik. Dabei fehlt „Osmosis“ etwas ganz Entscheidendes, um den Vergleich zu rechtfertigen.

„Black Mirror“-Fans mussten sich zuletzt sehr in Geduld üben. Netflix veröffentliche die vierte Staffel der Tech-Kritik-Serie aus der Feder von Charlie Brooker (48) vor fast eineinhalb Jahren. Zwar gab es mit dem „Bandersnatch“-Film einen interaktiven Happen, der die Lust auf mehr Angst-Geschichten vorübergehend stillen konnte. Aber eben nur vorübergehend.

Da kam die französische Science-Fiction-Serie „Osmosis“ von Audrey Fouché (38, „Borgia“) gerade recht. Die Serie spielt in einem Paris der Zukunft, in dem die Strassen immer frei sind und Neon-Röhren mit fahl-buntem Licht an jeder Ecke anzeigen, dass sich die Handlung auch wirklich nicht in der Gegenwart abspielt.

„Osmosis“ verspricht die wahre Liebe

Vor diesem Hintergrund entspinnt „Osmosis“ seine Handlung. Die Geschwister Paul (Hugo Becker) und Esther Vanhove (Agathe Bonitzer) entwickeln in einem schicken Loft-Büro nicht weniger als eine technologische Revolution – die namensgebende Osmosis. Mittels injizierter Nanoroboter soll es möglich werden, die Hirnströme von Menschen auszulesen, diese Daten mit Social-Media-Profilen abzugleichen und anschliessend über einen Algorithmus die wahre Liebe zu dekodieren.

Zur Hand geht Esther, die sich das Osmosis-Programm ausgedacht hat, dabei die künstliche Intelligenz Martin. Das Programm steht kurz vor dem Launch, eine Betatest-Phase noch, und dann rollt der Rubel.

Wer Osmosis nutzt, findet damit seinen Seelenverwandten. Ewige wahre Liebe lautet das Versprechen der Vanhove-Geschwister entsprechend. Lästige Diskussionen über Aufräumen oder zu langes Ausgehen entfallen. Im Verlauf der acht Folgen umfassenden Handlung stellt sich dann aber heraus, dass die Technologie ihre Fallstricke mit sich bringt. So weit, so „Black Mirror“.

Tatsächlich überschlugen sich die Kritiker der Serie bisher mit den „Black Mirror“-Vergleichen. „The Verge“ stellte seine Review der Netflix-Serie etwa unter die Überschrift „‚Osmosis‘ ist wie eine Folge ‚Black Mirror‘, die Technologie nicht hasst“.

Der Vergleich drängt sich nach den ersten beiden „Osmosis“-Episoden auf – die Serie bringt, so scheint es, alle Zutaten mit, die auch die britische Science-Fiction-Anthologie für ihre Fans so unwiderstehlich machen. Zukunft? Check. Fragwürdige Technologie? Check. Mal mehr, mal weniger offensichtliche Kritik an der bedingungslosen Technologie-Gläubigkeit der westlichen Welt? Check.

Etwas fehlt

Spätestens ab Folge drei stellt man aber fest: etwas ganz Entscheidendes fehlt der Serie, um tatsächlich das neue „Black Mirror“ zu sein. Das liegt zu einem kleinen Teil auch daran, dass die Serie keine Anthologie ist, sondern seinen Handlungsbogen über mehrere Folgen hinweg entwickelt.

Der Schlag in die Magengrube aber, den „Black Mirror“-Fans bei jeder Folge verspüren, bleibt bei „Osmosis“ aus. In keiner der acht Folgen stellt sich die Erkenntnis brutal ein, dass wir Tech-Jünger vielleicht zum falschen Gott beten – und leider auch nicht nach dem Finale der ersten Staffel.

Beim Blick in den schwarzen Spiegel wird in jeder Folge klar, dass wir auf dem besten Weg sind, uns in immer besserer Technologie zu verlieren und so Monster erschaffen, die wir nicht mehr einfangen werden – Orwells Albtraum in Reinkultur. Das kann man mögen oder nicht, für Fans befriedigt „Black Mirror“ aber eine gewisse Angst-Lust, wie das sonst keine Serie kann.

„Osmosis“ hingegen nutzt die vordergründige Technologie-Kritik lediglich, um in ganz (zwischen-)menschliche Probleme abzutauchen – und lässt nebenbei kein Rom-Com-Klischee aus, das in den letzten Jahrzehnten erfunden wurde.

Ana sucht die wahre Liebe

Da wäre zum Beispiel Ana (Luna Silva), der ewige Single. Sie ist ein Bücherwurm, entspricht keinem der gängigen Showbusiness-Schönheitsideale, hat folglich keinerlei Selbstwertgefühl und findet deswegen keinen Partner. Abziehbildlicher kann man eine Figur kaum noch schreiben.

Ana ist quasi der Prototyp der Zielgruppe, an den „Osmosis“ vermarktet werden soll: sieh her, mit unserer App findest auch du den Deckel zu deinem Topf, und das schnell. Zwar stellt sich im Verlauf der Handlung heraus, dass Ana aus ganz anderen Motiven am Osmosis-Betatest teilnimmt, als zunächst angenommen. Am Ende aber siegt die Liebe, die sie mit Hilfe des Programms findet.

Lucas will herausfinden, ob sein Freund „der eine“ ist

Oder nehmen wir Lucas, den attraktiven Homosexuellen, der hin- und hergerissen ist zwischen seinem aktuellen Partner, einem etwas langweiligen Koch und seinem Draufgänger-Ex, der mit all jenen schläft, die es bei drei nicht auf den Baum geschafft haben. Lucas benutzt Osmosis, weil er sich nicht entscheiden kann, ob er lieber eine toxische Beziehung voller Selbsthass führen möchte – oder seine langweilige, weil „normale“, Beziehung aufrechterhalten soll.

Als Osmosis ihm dann aber zeigt, welcher von beiden „der eine“ für Lucas ist, will der sich mit der Antwort nicht abfinden. Wie wenn Siebtklässler „Er liebt mich, er liebt mich nicht“ spielen und am Ende einfach ein neues Gänseblümchen pflücken.

Fazit:

„Osmosis“ ist deswegen noch keine schlechte Serie geworden, die Staffel hat durchaus ihre Momente, auch wenn die Handlung und die Handlungen der Figuren vor allem gegen Ende hin teilweise logischer hätten sein können.

Technologie ist in „Osmosis“ aber lediglich ein Plot-Vehikel, dass die Erzählung der Serie anschiebt – und nicht der Plot selbst, wie in „Black Mirror“. „Osmosis“ hält seinen Zuschauern keinen schwarzen Spiegel vor, sondern einen ganz gewöhnlichen und taugt damit lediglich als Pausenfüller, bis wir uns dieses Jahr wirklich wieder vor unseren eigenen Tech-Dämonen gruseln dürfen.

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