Riccardo Simonetti: „Kenne es gar nicht, keine Reaktion auszulösen“

Riccardo Simonetti liebt es sich zu Schminken und modisch auszuleben.

Quelle: ZDF/Malorie Shmyr

Riccardo Simonetti fällt auf. Der Entertainer kleidet sich ausgefallen und setzt sich gerne mit Make-up in Szene. Im Interview spricht er über das Stigma um geschminkte Männer und die Show „Glow Up – Deutschlands nächster Make-up-Star“, die er moderiert.

Wer Make-up trägt ist eitel und Schminke ist nur für Frauen? Diese Klischees möchte Riccardo Simonetti (29) entkräften. Er ist der Moderator der Show „Glow Up – Deutschlands nächster Make-up-Star“. In der Sendung, die am 22. September um 20:15 Uhr auf ZDFNeo startet, treten zehn Make-up-Artists gegeneinander an. In verschiedenen Challenges stellen sie ihr Können unter Beweis. Bewertet werden sie anschliessend von den renommierten Make-up-Artists Armin Morbach und Loni Baur sowie Gastjuroren wie Conchita Wurst (33) oder Eva Padberg (42). Das Format stammt ursprünglich aus Grossbritannien und ist hierzulande im Original bereits auf Netflix zu finden. Nun kommt die Show auch nach Deutschland.

Entertainer und Autor Simonetti freut sich mit der Sendung „Sichtbarkeit zu schaffen“. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news hat er verraten, warum er sich manchmal dank Make-up männlicher fühlt und was ihn an einer Rolle in einem Horrorfilm reizen würde.

Haben Sie das Gefühl, dass sich heute viel mehr Männer trauen, geschminkt aus dem Haus zu gehen?

Riccardo Simonetti: In der Bubble, in der ich lebe, haben sich Männer schon immer geschminkt. Aber ich finde, man sieht immer mehr, dass sich auch ausserhalb der queeren Bubble unser Bild von Männlichkeit stetig verändert. Man sieht jetzt mehr Männer, die Nagellack verwenden, die Perlen-Halsketten tragen oder dekoratives Make-up benutzen. Ich glaube, dass das Internet dabei eine grosse Rolle spielt, weil man Identifikationsfiguren sieht, die man vielleicht in konventionellen Medien nicht sehen würde.

Es ist trotzdem ein Thema, über das man sprechen muss, weil man immer noch nicht einfach ein Mann sein kann, der sich schminkt, ohne eine politische Diskussion darüber führen zu müssen. Ich würde mir wünschen, dass wir an den Punkt kommen, an dem beides völlig in Ordnung ist – Make-up zu benutzen oder keines zu benutzen.

Erleben Sie häufig Anfeindungen aufgrund Ihres Aussehens? Hat sich das mit Ihrer wachsenden medialen Präsenz verändert?

Simonetti: Ich kenne es gar nicht, keine Reaktion auszulösen. Als ich vor zehn Jahren in Bad Reichenhall gelebt habe, kannte ich das Gefühl schon nicht, durch die Strassen zu gehen und keine Reaktion von den Menschen darauf zu bekommen, wie ich aussehe, wie ich gekleidet bin, wie ich mich bewege, ob ich geschminkt bin oder nicht…

Jahre später, mit der medialen Aufmerksamkeit, die ich nun habe, führe ich teilweise immer noch die gleichen Kämpfe wie damals. Die Kommentare, die mir Leute unter meine Bilder schreiben, sind dieselben Sachen, die mir früher hinterhergerufen wurden. Ich möchte Menschen deswegen durch meine Arbeit zu einem netteren Umgang miteinander inspirieren und sensibilisieren. 

Mittlerweile wird Ihnen für Ihr Aussehen auch applaudiert. Sie haben erst einen Preis als „Fashion Icon of the Year“ erhalten und waren das Gesicht einiger Kampagnen.

Simonetti: Aber dabei habe ich denselben Appell: Dass man nett zu Menschen sein soll, die merkwürdig aussehen. Früher hat man zu mir gesagt, ich sei ein Sonderling. Heute bin ich die Person, die für die Dinge ausgezeichnet wird, für die ich früher verspottet wurde. Ich hoffe, dass durch die Dinge, die ich tue, die Menschen, die so sind wie ich oder wie der Junge, der ich vor zehn Jahren war, es ein bisschen leichter haben.

Dank einiger Kampagnen hingen in letzter Zeit Fotos von mir an Bushaltestellen, auf denen ich geschminkt war. Die Menschen sollten darauf nicht nur mein Gesicht sehen, sondern sich daran gewöhnen, einen geschminkten Mann zu jeder Tageszeit zu sehen. Sodass sie den geschminkten Männern, die dann im Bus neben ihnen sitzen und nicht nur an der Bushaltestelle hängen, toleranter gegenüber werden. Ich hoffe, dass ich so eine Brücke zwischen den Menschen bauen kann.

Damit haben Sie sich keine einfache Aufgabe ausgesucht.

Simonetti: Das stimmt. Ich habe erst gestern Abend bei einem Dinner darüber gesprochen, dass es ein harter Kampf ist. Ich will überhaupt niemandem etwas Böses. Im Gegenteil. Ich muss mir dafür aber so viel Mist anhören. Mir wird vorgeworfen, dass ich Kinder beeinflussen will, Menschen bewusst homosexuell machen möchte und konventionelle Männlichkeit verteufeln würde. Das stimmt alles gar nicht. Nur weil ich versuche, mehr Rechte und Freundlichkeit für Menschen rauszuschlagen, die permanent auf den Deckel bekommen. Ich kann nicht nachvollziehen, wie mir da so viele Steine in den Weg gelegt werden können.

Haben Sie einen Weg gefunden, damit leichter umzugehen?

Simonetti: Wenn mich jemand dafür kritisiert, dass ich geschminkt bin oder wie ich aussehe, dann prallt das oft an mir ab. Menschen unterschätzen, wie alltäglich das ist. Anders ist das, wenn ich dafür kritisiert werde, dass ich versuche, andere zu inspirieren. Das ist schwierig. Es wäre gelogen, zu sagen, dass es nicht unglaublich belastend ist, diesen Kampf permanent führen zu müssen.

Aber wenn man dann hört, dass zum Beispiel junge Menschen durch meine Arbeit ein selbstbestimmtes Leben führen können oder dazu ermutigt werden, ihr wahres Ich der Welt zu zeigen – das ist eine grosse Motivation. Wenn ich sehe, dass die Dinge, die ich tue, auch wirklich Einfluss auf das Leben von Menschen haben.

Haben Sie einen Rat für Menschen, die Angst vor Kritik von anderen haben?

Simonetti: Wenn du einmal das Gefühl hattest, dass du du selbst warst und der Gesellschaft gezeigt hast, wer du bist – dann ist das wie eine Droge. Das macht süchtig. Dann möchte man in jedem Bereich diese Person sein und fängt an, sich ein Leben zu bauen, in dem das möglich ist. Man zieht Menschen an, die einen mögen für die Dinge, die man ist. Man sieht aber auch Menschen aus seinem Leben gehen, die damit nicht klarkommen, dass man sich selbst mehr liebt als die Meinung anderer. Das ist nichts Negatives, sondern der Beginn des Rests deines Lebens.

Warum ist es Ihnen wichtig, dass es „Glow Up“ als Make-up-Show in die Primetime geschafft hat?

Simonetti: Ich hatte als Jugendlicher keine Repräsentationsfiguren. Wenn ich den Fernseher eingeschaltet habe, habe ich hier und da natürlich schwule Personen gesehen. Aber die haben nicht über das Schwulsein oder komplexe Themen sprechen dürfen. Ich bin mir sicher, dass die Schwulen dieser Generation bestimmt viele politische Dinge gemacht haben. Aber damals konnten sie die vielleicht nicht in der Form zur Primetime im Fernsehen machen.

Deshalb ist es mir so wichtig, dass ich mit diesen Plattformen Sichtbarkeit schaffe. Deswegen ist es so toll, was wir mit „Glow Up“ geschafft haben. Es ist eine „20:15-Uhr-Sendung“, in der es um Make-up geht, aber auch um mehr. Es geht darum, die Beweggründe zu zeigen, warum Menschen mit Make-up angefangen haben und was deren teils sehr persönliche Inspirationen sind. Das empfinde ich als das Privileg der heutigen Zeit und das möchte ich auf jeden Fall nutzen. 

Welches Gefühl verbinden Sie mit Make-up? 

Simonetti: Make-up ist für mich Sprache, die für mich spricht, bevor ich selbst den Mund aufmachen kann. Es gibt ein Stigma rund um das Thema. Menschen, die sich zu viel schminken oder zu viel Zeit damit verbringen, seien oberflächlich und eitel, heisst es. Ich glaube, unsere Sendung verdeutlicht, dass Make-up nicht nur dazu da ist, um jemand schöner aussehen zu lassen. Es kann Menschen interessanter wirken lassen. Es kann aber auch eine Botschaft transportieren oder Menschen in ein Kunstwerk verwandeln. 

Ich finde, gerade ein Make-up-Look, der über das Alltags-Make-up hinausgeht, kann wundervolle künstlerische Dinge kreieren. Ich sehe das als eine Möglichkeit, um Facetten meiner Persönlichkeit zu betonen. Wenn ich zum Beispiel ein krasses Smokey Eye trage und meine Haare zurücknehme, ist das etwas sehr Hartes, was ich als besonders maskulin empfinde. Ich empfinde reduziertes Make-up hingegen, bei dem ich eher neutrale Töne trage, als einen feminineren Look. Meine Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit sind mittlerweile losgekoppelt vom Thema Make-up. 

Hat sich Ihr Umgang oder Gefühl für Make-up mit der Show verändert?

Simonetti: Die Arbeit an der Sendung war für mich ein toller Prozess, weil ich mir einen Monat am Stück jeden Tag einen neuen Make-up-Look ausdenken konnte, der einer solchen Show auch würdig ist. Ich habe dadurch sehr viel Zeit in der Maske verbracht und das war inspirierend. Ich habe jeden Tag am Set angeguckt, was die Kandidatinnen und Kandidaten kreiert haben und das hat mich auch ermutigt, etwas Ausgefallenes zu probieren. Ich habe mir gedacht: ‚Mein Gott, ich sehe so schrecklich langweilig aus! Ich muss mir jetzt auch ein Stück Moos ins Gesicht kleben!‘ (lacht) Man sieht da erst, was alles möglich ist und mit wie viel Kreativität man sein Gesicht in ein Kunstwerk verwandeln kann. 

Sie haben in letzter Zeit Moderationsjobs an Land gezogen und ins Schauspiel geschnuppert. Gibt es etwas, was Sie noch reizen würde?

Simonetti: Ich habe gehofft, dass diese Frage kommt (lacht). Ich habe ein neues Ziel. Ich habe den Traum, in einem Horrorfilm mitzuspielen. Das war für mich lange ein sensibles Thema. Ich konnte sie mir nicht angucken, weil ich zu empfindlich war und davon geträumt habe. Seitdem ich mit meinem Freund zusammengezogen bin, habe ich eine andere Beziehung zu Horrorfilmen aufgebaut. Ich liebe sie nun und will unbedingt in einem mitspielen- auch um meine Angst endgültig zu überwinden. Wenn ich dann das nächste Mal einen Horrorfilm konsumiere, vielleicht sogar alleine, bin ich emotional vorbereitet, weil ich weiss, wie die Szenen zustande kommen. Ausserdem bin ich das perfekte Horrorfilm-Opfer! (lacht)

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