Abschied nehmen: „Trauer ist so individuell wie der Mensch“

Jeder Mensch trauert auf seine Weise.

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Der Tod gehört zum Leben. Bestatterin Christine Kempkes klärt die wichtigsten Fragen rund um die Themen Trauern und Abschied nehmen.

Eine Krankheit, ein Autounfall oder einfach das Alter: Irgendwann wird jeder Mensch unweigerlich mit dem Tod eines geliebten Menschen konfrontiert. Auch wenn das Sterben bekanntlich zum Leben dazugehört – der Verlust ist nicht immer einfach zu verkraften. „Trauer ist ein Prozess, für den es Raum und Zeit braucht“, sagt Trauerbegleiterin und Bestatterin Christine Kempkes. Die Autorin des Buches „Mit der Trauer leben lernen – Impulse für eine neue innere Balance“ (Junfermann Verlag) erklärt im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news, warum es beim Trauern kein richtig und falsch gibt, wie man Kinder am besten an die Thematik heranführt und warum der Tod bis heute ein Tabu-Thema ist.

Gibt es eine „richtige“ und eine „falsche“ Trauer?

Christine Kempkes: Nein. Trauer ist so individuell wie der Mensch. Es gibt nur den eigenen, persönlichen Weg. Leider wissen Menschen im Umfeld häufig, was jetzt richtig oder falsch wäre. Sätze wie: „Du musst mal loslassen“ oder „Das Leben muss weitergehen“ wirken dann eher verletzend als stärkend. Besser wäre ein konstruktives und konkretes Hilfsangebot, wie beispielsweise: „Ich gehe heute einkaufen, was kann ich für deinen Kühlschrank mitbringen?“ oder ganz offen gefragt: „Was kann ich tun, was würde dir gerade am meisten helfen?“

Geht jeder durch die bekannten fünf Phasen der Trauer?

Kempkes: Ich persönlich arbeite nicht gern mit diesen Phasenmodellen, weil sie suggerieren, dass bestimmte Schritte in einer gewissen Reihenfolge ablaufen. So tickt Trauer aber nicht. Manchmal ist es notwendig, noch einmal drei Schritte rückwärtszugehen, eine Schleife zu drehen oder auch mal zwei Entwicklungsschritte gleichzeitig zu machen. Trauer ist ein Prozess, für den es Raum und Zeit braucht. Das bedeutet für Trauernde, Geduld mit sich selbst zu haben und zu lernen, ihrem eigenen Bauchgefühl zu trauen. Denn die Fähigkeit zu trauern, tragen wir alle in uns. Sie ist nur manchmal verschüttet von unserer Sozialisation und Lebenserfahrung.

Wie lange dauert es in der Regel, bis man die Trauer überwunden hat?

Kempkes: So gern Trauernde darauf eine Antwort hätten – es gibt sie leider nicht! Trauer ist die Kehrseite der Liebe und die endet nicht mit dem Tod. Also bleibt auch die Trauer bis zu unserem eigenen Ableben. Die gute Nachricht lautet: Sie ist nicht immer so stechend schmerzhaft, wie zu Beginn. Trauer verändert sich im Laufe der Zeit. Sie wird milder, je mehr wir uns bewusst mit dem Verlust und den Konsequenzen für unser Leben auseinandersetzen. Es dauert unterschiedlich lange, bis Trauernde sich wieder sicher im Leben verankert fühlen.

Kann man sich auf die Trauer vorbereiten?

Kempkes: Jein. Ich bin überzeugt, dass wir uns leichter tun, wenn wir den Themen Sterben, Tod und Trauer offen begegnen. Gerade auch in der Phase, in der es noch keinen aktuellen Verlust gibt. Mit einer inneren Haltung, dass der Tod zum Leben gehört, erleben wir ihn nicht als „unerhörten Eingriff“ in unser Leben. Wie und wo möchte ich beerdigt werden? Was wünsche ich mir für meine Trauerfeier? Das sind Fragen, die wir schon zu Lebzeiten gemeinsam mit unseren Liebsten besprechen sollten. Andererseits ist die Trauer, die sich mit dem Verlust eines geliebten Menschen einstellt, selbst bei der besten Vorbereitung nicht planbar. Wir lernen uns dann oft ganz neu kennen und zeigen ungewohnte Verhaltensweisen.

Natürlich trauern auch Kinder – gibt es etwas, was die Eltern dabei beachten sollten, wenn beispielsweise die Grosseltern sterben?

Kempkes: Das Wichtigste ist, Kinder nicht auszuschliessen. Wenn die Oma „einfach weg“ ist, weil die Enkelkinder nicht bei der Beerdigung dabei sein durften, nehmen wir ihnen die Möglichkeit das Trauern zu lernen. Wir können Kinder beteiligen, zum Beispiel indem wir mit ihnen gemeinsam die Lieblingsblumen der Oma für das Sarggesteck aussuchen. Oder typische Gegenstände des Opas, seinen Wanderstock oder Ähnliches, für die Dekoration bei der Beerdigung auswählen.

Wie sollte man mit Kindern über Trauer und den Tod sprechen?

Kempkes: Mit Kindern entwickeln sich oft wunderbar philosophische Gespräche über den Tod und die Trauer. Ängstlich sind eher die Erwachsenen, die dem Gespräch gern ausweichen möchten. Kinder suchen Antworten auf ganz praktische Fragen: „Gibt es da unten Würmer?“ oder „Warum passt die Oma in die Urne?“. Wenn Krankheit, Tod und Trauer im wahrsten Wortsinn totgeschwiegen werden, verselbständigen sich Bilder im Kopf der Kinder und Ängste verstärken sich. Daher ist es sehr wichtig, dem Alter des Kindes angemessen das Gespräch aktiv zu suchen. Nur weil ein Kind keine Fragen stellt, heisst das nicht, dass es keine hat. Üben lässt sich das bereits beim Tod des geliebten Haustiers. Das sind Chancen, den Tod, die Traurigkeit und auch das Weinen als etwas ganz Normales zu begreifen.

Und wie kann man Freunden oder Kollegen zur Seite stehen, die eine geliebte Person verloren haben?

Kempkes: Da sein, zuhören und der Trauer Raum geben – auch über die ersten Wochen hinaus. Und vor allem: Nicht bewerten, wie die trauernde Person agiert. Ein indianisches Sprichwort sagt: „Urteile niemals über jemanden, in dessen Mokassins du nicht mindestens 30 Tage gegangen bist.“ Statt über den Kopf des Trauernden hinweg Entscheidungen zu treffen, sollten Sie lieber fragen, was er oder sie benötigt. Trauernde selbst haben selten den Mut oder die Kraft, um Hilfe zu bitten. Sie sind aber meistens froh, wenn ihnen Menschen zur Seite stehen und ihre Unterstützung anbieten.

Wann würden Sie eine psychologische Betreuung empfehlen?

Kempkes: Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Die Unterstützungsmöglichkeiten für Trauernde sind vielfältig: Eine Trauergruppe kann dabei helfen, Menschen mit vergleichbaren Schicksalen zu treffen und sich nicht so allein zu fühlen. Professionelle Trauerbegleitung unterstützt dabei, sich mit der Trauer im Gepäck und dem geliebten Menschen im Herzen neu im Leben zu verankern. Psychologische oder therapeutische Hilfe ist angeraten, wenn die blockierenden Themen tiefer liegende Ursachen haben, zum Beispiel aufgrund von traumatischen Erfahrungen.

Warum ist der Tod immer noch ein Tabu-Thema?

Kempkes: Die Gründe dafür sind vielschichtig und glücklicherweise kommt gerade sehr viel in Bewegung – vielleicht eine positive Seite der Pandemie. Nach meinem Gefühl ist die Tabuisierung des Todes eine Entwicklung, deren Ursprung am Ende des Zweiten Weltkriegs liegt. Die Menschen hatten damals so viel Leid erlebt, dass sie nur weiterleben konnten, indem sie Tod und Trauer hinter sich liessen und nach vorne schauten. In diesem Sinne haben sie auch ihre Kinder erzogen: „Das Leben muss weitergehen.“ Eine ganze Generation wuchs heran, ohne Zugang zu den eigenen Gefühlen zu haben.

Ab den 80er und 90er Jahren gab es einen Trend zur Selbstoptimierung hin zu einem noch glücklicheren Leben – in diesem Szenario haben „negative“ Gefühle, wie Trauer, Angst, Schuld und Scham keinen Platz. Sterben fand zudem immer weniger Zuhause im privaten Raum und immer mehr in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Hospizen statt. So haben wir verlernt, mit dem Tod und auch der Trauer umzugehen.

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