Culcha Candela: Die Event-Branche ist „der Politik ziemlich egal“

Culcha Candela feiern 2022 ihr 20-jähriges Bandjubiläum.

Quelle: Leon Hahn

„Musik ist für uns immer auch ein Spiegelbild der Gesellschaft“, erklären Culcha Candela im Interview. Die Berliner Band scheut sich nicht davor, öffentlich zu kontroversen Themen Stellung zu beziehen.

Culcha Candela („Hope“) sind seit fast 20 Jahren im Musikgeschäft aktiv und gehören zu den Bands, die sich nicht davor scheuen, öffentlich zu kontroversen Themen Stellung zu beziehen. Am Freitag (28. Mai) veröffentlichen die Berliner ihren insgesamt zehnten Longplayer mit dem passenden Titel „Top Ten“. Ob die darauf enthaltenen zehn Songs politische Botschaften vermitteln, wie sie selbst auf Kritik reagieren und wie man der Veranstaltungsbranche ihrer Meinung nach in Corona-Zeiten helfen kann, verraten Mateo Jasik (42), Chino con Estilo und Johnny Strange (38) im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.

Sie veröffentlichen diese Woche Ihr neues Album „Top Ten“. Beinhaltet es politische oder sozialkritische Botschaften?

Chino con Estilo: Es gibt keine klassischen Politiktexte. Natürlich schwingt unsere Haltung in jedem Song mit. Unsere aktuelle Single „Hope“ beinhaltet beispielsweise auch eine politische Botschaft. Betroffene Musik mit einem erhobenen Zeigefinger war allerdings noch nie unser Ding. Das haben wir immer versucht, zu vermeiden. Dennoch ist es schön, zu sehen, dass auch politische Songs wieder Gehör finden und den Zeitgeist treffen.

Johnny Strange: Bei der Produktion des Albums haben wir ein paar Songs gemacht, die politische Themen ansprechen. Später sind sie nicht auf dem Album gelandet, weil gerade diese Titel die Menschen oftmals eher runterziehen als motivieren. Uns ist jedoch wichtig, dass die Songs positiv sind. Das ist es, was wir den Menschen geben wollen – die Motivation, da wieder herauszukommen. Die grösste Herausforderung bei unserer Musik ist es, Botschaften richtig zu verpacken. Beim Thema Corona ist uns das im Song „Hope“ gut gelungen. Er transportiert zunächst eine positive Emotion, der Inhalt wird unterschwellig vermittelt.

Mateo Jasik: Allein als Band sind wir ja schon politisch. Wenn wir mit unserer Zusammensetzung sagen „Wir sind Deutsch“, dann stösst das einem bestimmten Teil der Bevölkerung bitter auf. Allein deshalb können wir schon nicht behaupten, unpolitisch zu sein. Gewissen Dingen kann man sich schlicht nicht entziehen.

Wie gehen Sie selbst mit Kritik um, die Sie erreicht, weil auch Sie sich als Musiker öffentlich äussern?

Estilo: Der Gefahr der Kritik setzt man sich nun mal aus, wenn man sich äussert. Meinungsfreiheit ist gut und sie geht in alle Richtungen. Man kann diskutieren und sich kritisch mit Dingen auseinandersetzen – was wir auch tun, solange keine Geschmacks- oder kriminelle Grenzen übertreten werden. Wir versuchen stets, Austausch zu ermöglichen. Als Band empfinden wir es als sehr wichtig, unsere Haltung deutlich zu machen, auch wenn wir keine vorrangig politische Formation sind. Und wir wünschen uns, dass es uns mehr Leute gleichtun und sie sich nicht wegducken.

Insbesondere da man als Band eine Plattform besitzt.

Jasik: Ja. Musik ist für uns immer auch ein Spiegelbild der Gesellschaft. Wir versuchen stets, Strömungen wie ein Schwamm aufzusaugen, wie ein Katalysator zu verarbeiten und auf ihre Essenz herunterzubrechen. Heute kann man nicht mehr unpolitisch sein, auch wenn man Gute-Laune-Popmusik macht wie wir. Gewisse Dinge sind keine Meinung, zum Beispiel ein Nazi, homophob oder sexistisch zu sein. Wir lassen bezüglich der Säulen unseres moralischen Kompasses keine Diskussion zu. Über andere Dinge wie die Corona-Massnahmen wollen wir aber durchaus diskutieren.

Kürzlich haben Sie in den sozialen Medien die Tatsache kritisiert, dass die Fussball-EM mit Zuschauern stattfinden soll, Konzerte aber trotz Hygienekonzepten weiterhin verboten sind. Wie erklären Sie sich das?

Jasik: Die Musikbranche ist im Hinblick auf den Umsatz die sechststärkste Industrie hierzulande, noch vor der Auto- und Reiseindustrie. Trotzdem wird vorwiegend diesen Branchen unter die Arme gegriffen, weil sie viele Menschen beschäftigen. Im Musiksektor arbeiten hauptsächlich Selbstständige. Hinzu kommt, dass wir keine Lobby haben. Keine Gewerkschaft und keine Interessenverbände, die einen Fuss in der Politik haben.

Und der Fussball schon.

Jasik: Ja. Der Fussball generiert weltweit gesehen zwar viel Geld, ist als Branche aber weit hinter uns angesiedelt. Trotzdem ist gefühlt jeder Politiker involviert und man merkt, welche Macht der Fussball hat. Wir Musiker verdienen mit einem Auftritt circa so viel wie mit einem halben Jahr Streaming. Jeder in der Branche hat allerdings ein anderes Interesse. Es liegt also an unterschiedlichen Faktoren, warum wir keinen Einfluss auf die Politik haben.

Was wünschen Sie sich von Musikliebhabern – beispielsweise eine bessere Organisation oder öffentliche Protestaktionen?

Estilo: Als Erstes muss das Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass viele Menschen derzeit in prekäre Verhältnisse abrutschen. Damit meinen wir nicht uns als Band, sondern die vielen Zulieferer, die nicht sichtbar sind: Bühnenarbeiter, Tontechniker, Beleuchter und viele mehr. Auch sie sind betroffen und haben keinen Ausweg. Man muss das Problem benennen und erkennen. Helfe würde schon, wenn die zugesicherten Hilfen fliessen würden, aber das ist häufig nicht der Fall.

Strange: Es ist sehr schwierig, alle Selbstständigen organisatorisch unter einen Hut zu bekommen. Es gibt die Demos von „Alarmstufe Rot“, an denen wir teilgenommen haben, aber es folgte keine Reaktion. Ich habe nicht das Gefühl, dass sie auf grosses Interesse gestossen sind. Ob Gastronomie oder Veranstaltungsbranche, sie beide sind der Politik zum Teil ziemlich egal. Der Fussball ist öffentlichkeitswirksamer. Jeder, der zu Hause vor dem Fernseher sitzt, fühlt sich betroffen, weil er Fussball schauen möchte. Das motiviert die Politik.

Jasik: Der fehlende Lobbyismus ist ein Problem. Kaum jemand weiss, wie im Musikgeschäft Geld verdient wird. Deshalb teilen wir unseren Fans mit, was man zum Beispiel mit Streaming verdient und was man als Fan beitragen kann. 270 Premium-Streams entsprechen ungefähr einem Euro Umsatz, von dem wir als gestandene Grösse im Musikgeschäft 85 Prozent bekommen. Bei einer Newcomer-Band beläuft sich das auch mal auf 15 Prozent.

Gerade sorgte „#allesdichtmachen“ für Wirbel. Hat die mit Ironie gespickte Kunstaktion, bei der zahlreiche bekannte Schauspieler mitmachten, trotz der Kritik etwas bewirkt?

Strange: Ohne den Skandal hätten nicht so viele Menschen davon erfahren. Es ist ein Fluch und Segen zugleich und einige Menschen mussten dafür ihren Kopf hinhalten. Das ist nicht fair. Ich habe Respekt vor Leuten, die sich trotzdem so etwas trauen, denn es muss etwas passieren.

Jasik: Wir kennen beispielsweise Jan Josef Liefers durch gemeinsames Engagement in sozialen Projekten. Er ist ein netter Typ. Es gibt heutzutage viele Themen, die einfach angesprochen werden müssen: Polizeigewalt, institutionalisierter Rassismus, Sexismus, Homophobie. Gleichzeitig schiessen viele Menschen gerade über das Ziel hinaus.

Es ist ein sehr schmaler Grat, auf dem man sich bewegt.

Jasik: Ja. Die Menschen sind sehr empfindlich, was man ihnen nicht absprechen darf. Aber es muss nicht alles in Lager aufgespalten werden.

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