Wie kann mehr Gleichberechtigung im Berufsleben gelingen?

Mirijam Trunk gibt in

Quelle: Penguin Random House Verlagsgruppe

Weniger Gehalt, kaum weibliche Führungskräfte: Noch immer sind Frauen im Berufsleben benachteiligt. Wie können Berufseinsteigerinnen mit Stereotypen aufbrechen und sich auch gegenseitig unterstützen? Mirijam Trunk gibt im Interview Antworten.

Frauen haben 2022 durchschnittlich 18 Prozent weniger verdient als Männer, nur fünf Prozent der deutschen Aufsichtsratsvorsitzenden waren weiblich. Nach wie vor sind vor allem Frauen von Benachteiligungen im Arbeitsmarkt betroffen. Mirijam Trunk schreibt in ihrem Buch „Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte“ (Penguin Random House) darüber, wie Frauen die männlich geprägten Strukturen durchschauen und den Weg an die Spitze meistern können. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erklärt sie, wie die Arbeitswelt frauenfreundlicher werden kann und wie sich Frauen gegenseitig unterstützen können.

Ihr Buch trägt den Titel „Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte“. Was war für Sie der wichtigste Punkt?

Mirijam Trunk: Dass es strukturelle Hürden gibt, die die Weichen für berufliche Lebensläufe schon vor der Geburt stellen: Wo kommt jemand her, wie schaut er oder sie aus, mit welchem Geschlecht identifiziert man sich – aber auch welches Netzwerk haben die Eltern, welche finanzielle Sicherheit gibt es und welche Rolle spielt Bildung. Der Spielraum, in dem das Leistungsprinzip gelten kann, ist dadurch sehr begrenzt. Aber es hilft, sich dieser Hürden bewusst zu werden – nur so kann man etwas verändern, für sich selbst und andere.

Wie können Frauen Vorurteilen und Stereotypen effektiv entgegentreten?

Trunk: Jede Frau ist anders und je nach Tagesform ist man mal mehr, mal weniger schlagfertig. Mir hilft es, Stereotype aktiv auszusprechen oder zu wiederholen. In meinem Buch erzähle ich von einer Situation, in der ich auf einer Veranstaltung für die Assistentin eines männlichen Teilnehmers gehalten wurde. Die Frage zu wiederholen oder auch zu sagen: Das ist wohl das Erste, woran man bei einer jungen Frau denkt, oder? Kann auch dem Gegenüber helfen, die eigenen Denkmuster zu erkennen. Ein probates Mittel ist aber auch immer Humor. Die Stimmung muss nicht komplett kippen, um einen Punkt zu machen – eine witzige Ebene zu finden, sei es durch Übertreibung oder eine freche Gegenfrage, kann dasselbe Ziel erreichen, ohne eine Konfrontation aufzumachen.

Führungsprototypen sind meist mit angeblich „männlichen“ Qualitäten wie „Durchsetzungsfähigkeit“ oder „Standhaftigkeit“ behaftet. Setzt sich eine Frau durch, wird sie als „aggressiv“ oder „dominant“ wahrgenommen …

Trunk: Genau das ist das Erste, was eine Frau akzeptieren muss: Du wirst nicht von allen gemocht werden und das ist okay. Es eckt an, wenn wir uns anders verhalten, als es das Stereotyp im Kopf des Gegenübers – und oft auch im eigenen Kopf! – erwarten lässt. Es hilft, Begriffe neu zu definieren: Wenn jemand sagt, „die ist aber schwierig“, dann kann das auch heissen: Die setzt eine klare Linie. „Die ist Pushy“ kann man verstehen als: Das ist eine Macherin. Zentral ist auch immer der Wechsel auf die Sachebene. Auch wenn Frauen sehr persönlich und leider oft auch sexualisiert bewertet werden: Im Job geht es darum, seine Sache voranzubringen. Und wenn die stimmt, werden die anderen Stimmen leiser.

Welche Eigenschaften müssen Frauen entwickeln, um in von Männern dominierten Branchen erfolgreich zu sein? Oder muss sich die Arbeitswelt langfristig den Frauen anpassen?

Trunk: Die aktuelle Arbeitswelt ist eine, die von Männern für Männer gebaut wurde. Immerhin sind Frauen erst einen Wimpernschlag lang ein Teil davon: Erst seit 1962 dürfen Frauen eigene Bankkonten eröffnen, seit 1977 ohne Erlaubnis des Mannes erwerbsarbeiten – begonnen hat das System, das wir heute Arbeitswelt nennen, vor 5 bis 10.000 Jahren mit dem Beginn von Landwirtschaft und Besitz. Natürlich ist das Ziel, dass sich die Arbeitswelt und auch Rollenbilder mittelfristig verändern, sodass männliches Verhalten nicht der Standard ist, an dem alles gemessen wird. Wandel kommt aber meist von oben: Erst wenn die Machtzentren wirklich vielfältig besetzt sind, kann sich etwas ändern. Bis dahin werden Frauen und Minderheiten notgedrungen aktuell als „normal“ angesehene Verhaltensweisen und Muster annehmen müssen.

Wie könnte das konkret aussehen? Welche Schritte und Massnahmen können Unternehmen treffen, um eine inklusivere Arbeitskultur zu schaffen?

Trunk: Es beginnt damit, dass diverse Teams in allen Unternehmenshierarchien zum Standard werden – bis ganz nach oben. Nicht mit dem oder der „einen“ nicht weissen, nicht männlichen Person, sondern mit echter Vielfalt. Manche Unternehmen schaffen das aus sich heraus, anderen hilft die Quote. Ein nächster Schritt ist Transparenz, auch über Gehälter und Prozesse – wie werden Posten besetzt, nach welchen Regeln wird honoriert. Auch der Führungsstil ist ein ganz zentraler Punkt. Authentizität und Empathie sind Voraussetzung dafür, dass Vertrauen entstehen kann. Und nicht zuletzt braucht jede und jeder Mitarbeitende einen Wirkungsraum und das Gefühl, mitgestalten zu können – das setzt voraus, dass Entscheidungen nicht pauschal top down und nicht nur von einer Person getroffen werden. Das Ziel ist, dass am Ende nicht nur unterschiedliche Menschen zur Party eingeladen sind, sondern dort auch tanzen wollen.

Bestimmte Geschlechterrollen sind in unserer Gesellschaft tief verankert – selbst bei Frauen. Zum Beispiel stellt der Konflikt zwischen Familie und Karriere für viele Frauen heute noch eine Hürde in der Berufswelt dar. Wie kann man sie aufbrechen?

Trunk: Die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit, sei es für Kinder oder auch für ältere Familienangehörige, ist der Punkt, an dem die Karriere- und Gehalts-Scheren noch weiter auseinandergehen. In einer perfekten Welt ständen auch Männer in diesem Konflikt, denn entgegen dem, was vor allem in Deutschland behauptet wird, sind sie nicht zwangsläufig der Elternteil, der weniger Bezugsperson sein kann. Der Satz „Ein Kind gehört zur Mutter“ ist ein kulturelles Konstrukt, kein biologisch notwendiges – auch Väter können die erste Bezugsperson sein. Auch wenn der Staat und Unternehmen deutlich bei der Entlastung junger Familien unterstützen könnten – sei es durch Betreuungsangebote oder durch eine Vergütung von Care-Arbeit – liegt die Entscheidung, wer welche Rolle annimmt, doch immer in der Familie selbst. Und Chancengleichheit heisst Wahlfreiheit: Alle können, keiner muss.

Denken Sie, dass es bestimmte Branchen oder Karrierewege gibt, die frauenfreundlicher sind als andere?

Trunk: Auf jeden Fall – auch was Themen wie New Work oder eine Reflexion über die Strukturen der Arbeitswelt angeht, gibt es Unterschiede zwischen Unternehmen, auch wenn ich mich hier mit Pauschalaussagen zurückhalten würde. Grundsätzlich gilt: Alle Bereiche, in denen Frauen keine Minderheit darstellen, sind per se frauenfreundlicher. Die EU Führungspositionen Richtlinie, die im Februar auch von der Bundesregierung beschlossen wurde, wird hier eine enormen Boost geben: 40 Prozent der Mitglieder in Aufsichtsräten oder 33 Prozent in Aufsichtsräten und Vorständen börsennotierter Unternehmen in der EU müssen bis 2026 weiblich sein. Damit verschwindet das Problem „der einen“ Frau in der Gruppe, die kulturell immer in der Unterzahl ist.

Wie können Frauen einander unterstützen und sich nicht gegenseitig „ausbremsen“?

Trunk: Frauen neigen immer noch dazu, seltener andere Frauen vorzuschlagen – während Männer weniger Probleme damit haben, jemand zu empfehlen, den sie nicht in- und auswendig kennen. Frauen sind viel vorsichtiger. Das ist ein Punkt: Anderen Frauen Sichtbarkeit geben, ihren Namen in den Raum werfen, wenn es um Jobs geht. Aber auch Wissen teilen, das eigene Netzwerk öffnen, solidarisch sein. Die Angst, dass es nur Platz für „die Eine“ gibt, ist begründet, denn sie wird uns von klein an vorgelebt: eine Gabi bei TKKG, eine Schlumpfine bei den Schlümpfen. Aber inzwischen wissen wir: Es kann nicht nur mehr als eine geben, es muss. Dazu zählt auch, dem Drang zu widerstehen, das „Jungs-Mädchen“ zu sein, das sich auf Kosten anderer Frauen mit Männern verbrüdert. So ein Verhalten geht am Ende meist nach hinten los, denn es macht inauthentisch.

Welche Rolle spielen Männer bei der Förderung von Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsplatz? Weshalb sollten sie zu Verbündeten werden?

Trunk: Eine ganz zentrale! Zum Glück gibt es immer mehr Männer, die Vielfalt als ihr eigenes Thema begreifen und sich als Allys verstehen. Weisse Männer sind, rein statistisch gesehen, immer noch die mächtigen in diesem Land und werden es auch noch lange bleiben. Da Wandel von oben kommt, sind sie also ganz zentral. Die Motivation ist ganz unterschiedlich: Manche Männer haben Töchter und spüren dadurch die Ungerechtigkeit, die mit Chancenungleichheit und den damit verzerrten Wahrscheinlichkeiten einhergeht. Andere Männer sehen den rein wirtschaftlichen Vorteil, nämlich dass diverse Teams bessere Ergebnisse bringen. Wieder andere fühlen sich selbst in toxischen Rollenbildern verankert und wünschen sich zum Beispiel eine gleichberechtigte Elternbeziehung. Was auch immer die Motive sind: Männer sind das Zünglein an der Waage, sie entscheiden, ob wir noch 132 Jahre bis zur Chancengleichheit brauchen – wie aktuell angenommen – oder ob es schneller geht.

Vorheriger ArtikelAntonio Banderas, Nicole Kidman und mehr verleihen die Oscars
Nächster ArtikelDrew Barrymore kämpfte nach der Scheidung mit Alkohol-Problemen