Ausgebrannt und überfordert: Warum so viele Mütter an Burnout leiden

Der Spagat zwischen Karriere und Kinder belastet viele Mütter.

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Zwischen Karriere, Haushalt und Kinderbetreuung sehen sich immer mehr Mütter hoher psychischer Belastung ausgesetzt. Warum das sogar zum Burnout führen kann und was sich gesellschaftlich ändern muss, erklärt Psychologin Dr. Hanne Horvath im Interview.

Am Muttertag werden Mütter überall von ihren Kindern wieder mit Blumen, Karten und Bastelarbeiten beschenkt – dieses Jahr am 14. Mai. Doch hinter all den lieben Gesten steckt ein Job, der kein Zuckerschlecken ist. Es gibt kaum genug Stunden am Tag, um all die Dinge unter einen Hut zu bringen, die von Frauen in der Rolle der Mutter heute erwartet werden. Dennoch fühlen sich viele Mütter dem Idealbild der „perfekten Mutter“ verpflichtet und geraten dadurch schnell in eine psychische Belastungsfalle.

„Müttern, die unter Burnout-Symptomen leiden, fällt es oft schwer, sich ihre Erschöpfung einzugestehen. Sie plagt ein schlechtes Gewissen und häufig das Gefühl, eh nichts an ihrer Situation ändern zu können“, sagt Psychologin Dr. Hanne Horvath der Nachrichtenagentur spot on news. Wo sich betroffene Mütter Hilfe suchen können und wie die Gesellschaft dazu beitragen kann, den Stress von Müttern zu mindern, erklärt Horvath im Interview.

Die Burnout-Rate bei Müttern ist in den letzten Jahren gestiegen. Woran liegt das?

Dr. Hanne Horvath: Da gibt es natürlich verschiedene Faktoren. Entscheidend finde ich das Mehr an Care-Arbeit, das die meisten Frauen mit Kind im Vergleich zu den Vätern in Deutschland übernehmen. Durchschnittlich sind das sechs bis sieben Stunden, während der Pandemie kamen noch drei Stunden obendrauf. Da kann man sich leicht ausrechnen, dass sehr vieles zu kurz gekommen ist. Vor allem Momente der Ruhe und Entspannung, mal Zeit für sich zu haben, das war lange nicht drin und hat viele Mütter extrem belastet.

Aber auch vor der Pandemie fühlten sich viele Frauen schon angespannt, was meistens an der Doppelbelastung durch Kind und Karriere liegt. Laut dem statistischen Bundesamt arbeiten 65,5 Prozent der Mütter in Teilzeit, während Väter diese Möglichkeit nur zu 7,1 Prozent in Anspruch nehmen. Diese Werte sind seit 2010 fast unverändert. Wir haben also in Familien immer noch eine eher klassisch geprägte Rollenverteilung. Väter fokussieren sich voll auf die Karriere und lassen die Familie eher nebenherlaufen, Mütter teilen sich zwischen Job und Kinderbetreuung stärker auf.

Genau dieses Modell scheint aber schon lange nicht mehr zum Wohlbefinden der Frauen beizutragen. Der Druck wird grösser, in allen Bereichen des Lebens zu brillieren. Im Job messen sich viele Mütter mit Kollegen und Kolleginnen, die Vollzeit arbeiten, auf keinen Fall möchten sie beruflich weniger engagiert wirken. Privat ist es aber genauso kompliziert. Hier setzen Frauen, die sich Vollzeit um ihre Kinder kümmern, ganz andere Massstäbe. Angetrieben durch die Idee, dass aber doch beides ganz entspannt drin sein muss, gehen viele Mütter bis an ihre Grenze und darüber hinaus. Irgendwann kann das zur totalen Erschöpfung führen, Diagnose Burnout.

Welche Rolle spielen gesellschaftliche Erwartungen, besonders das Idealbild der „perfekten Mutter“?

Dr. Horvath: Meiner Meinung nach kommt dieses Ideal noch aus einer Zeit, als die meisten Frauen gar nicht berufstätig waren, also aus den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Aber dieses Bild wird noch heute reproduziert, wenn auch in Kinderbüchern von heute zum Beispiel der Vater Zeitung liest und die Mutter den Abwasch macht. Obwohl es schon lange nicht mehr passt, halten diese Rollenbilder und Idealvorstellungen sich hartnäckig und setzen viele Frauen unter Druck. Denn wie soll denn eine berufstätige Mutter, Teilzeit oder Vollzeit, das alles schaffen, was da vorgeschlagen wird?

Selbst Mütter, die sich entschieden haben, beruflich zu pausieren, geraten immer häufiger in Not und leiden unter Burnout. Das zeigt, dass insgesamt etwas mit dieser gesellschaftlichen Erwartung nicht stimmt. Hinzu kommt, dass sich Frauen heutzutage noch an vielen anderen gleichzeitig existierenden Idealbildern abarbeiten.

Die Mischung macht es so anstrengend und die klingt ungefähr so: Fürsorgliche und entspannte Mutter, auf keinen Fall Helikopter, beruflich erfolgreich, aber nicht zu verbissen, schlank, alterslos schön, in einer harmonischen Beziehung lebend, mit interessanten Freunden gut vernetzt, einem politischen Bewusstsein und am besten noch einem Ehrenamt, das locker nebenher gewuppt wird. Ich komme ja selbst schon ausser Atem, wenn ich das alles so aufzähle. Nicht erwünscht hingegen sind: Stress mit den Kindern, Streit mit dem Partner, Unsicherheit im Beruf, Falten, Speckrollen sowie insgesamt ein Gefühl von Überforderung und Erschöpfung. Und vor allem bitte kein Gejammer. So einem Ideal nachzueifern, erzeugt viel Stress und macht auf Dauer krank.

Was sind erste Anzeichen für ein Burn-out bei Müttern?

Dr. Horvath: Typische körperliche Anzeichen sind: chronische Müdigkeit, Schlaf- und Konzentrationsprobleme, starke Verspannungen, Kopfschmerzen und Magenbeschwerden. Psychisch ist vor allem eine hohe Gereiztheit und eine zunehmend negative Haltung bezüglich der eigenen Person und Aufgaben typisch. Die betroffenen Personen nehmen auch vermeintliche Kleinigkeiten als sehr anstrengend und nur schwer zu bewältigen wahr. Viele ziehen sich ausserdem sozial zurück, da Kontakt zu anderen Menschen als kräftezehrend empfunden wird. Die vorherrschende Gefühlslage kann variieren. Manche fühlen sich sehr erschöpft und traurig, manche werden sehr bitter und zynisch, andere fühlen nur noch ganz wenig, sie werden emotional taub. Es ist jedoch ganz deutlich eine negative Veränderung des Wohlbefindens spürbar. Diese Anzeichen gelten übrigens für alle Menschen, einen speziellen Mutter-Burnout gibt es in diesem Sinne nicht.

Was ist dann zu tun? Wo können sich Frauen Hilfe suchen?

Dr. Horvath: Ich empfehle dringend, das ernst zu nehmen und zunächst mit dem Hausarzt oder der Hausärztin zu sprechen. Das ist die erste medizinische Anlaufstelle, die weiterhelfen kann. Zusätzlich gibt es noch Selbsthilfegruppen oder Beratungsstellen, die gerne unterstützen. Mir ist klar, dass dieser erste Schritt sehr viel Überwindung kostet, und ich bin da voller Mitgefühl für jede betroffene Person.

Vor allem Müttern, die unter Burnout-Symptomen leiden, fällt es oft schwer, sich ihre Erschöpfung einzugestehen. Sie plagt ein schlechtes Gewissen und häufig das Gefühl, eh nichts an ihrer Situation ändern zu können. Obwohl nachvollziehbar, verschlimmert diese Einstellung die Symptome, bis irgendwann gar nichts mehr geht. Aber genau das gilt es zu vermeiden. Hilfreich kann da eine Therapie sein und die ist inzwischen auch online, kostenfrei auf Rezept und ohne Wartezeit verfügbar. Von HelloBetter gibt es beispielsweise den wissenschaftlich geprüften Online-Therapiekurs „Stress und Burnout“. Innerhalb von zwölf Wochen kann man hier lernen, seine persönlichen Stressfaktoren wahrzunehmen und zu senken sowie besser mit Problemen umzugehen, die unlösbar scheinen. Das finde ich auch einen ganz wichtigen Punkt, denn gerade Mütter haben ja meistens nicht die Chance ihr ganzes Leben umzuschmeissen. Sie müssen wieder behutsam lernen, in sich selbst mehr Weite zu finden. Das ist keine einfache Aufgabe und oft frustrierend. Aber es lohnt sich sehr dranzubleiben und eine Stunde in der Woche in sich selbst zu investieren. Nach sechs Monaten hat sich laut Studien das Stresslevel bei vielen Teilnehmenden fast halbiert.

Wie kann sich ein Burn-out langfristig auf Frauen und ihre Familienmitglieder auswirken?

Dr. Horvath: Ohne geeignete Therapiemassnahmen verschlimmern sich die oben beschriebenen Symptome im Laufe der Zeit. Ausserdem wird das Immunsystem durch den chronischen Stress stark belastet, was das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bestimmte Autoimmunerkrankungen und Depressionen erhöht. Hinzu kommt, dass die ständige grosse Gereiztheit der betroffenen Frauen die Beziehungen verschlechtert, was natürlich zusätzlich belastet. Mit der Partnerin oder dem Partner gibt es ständig Knatsch und auch die Kinder bekommen ja mit, dass sich die Mama verändert hat und es ihr nicht gut geht.

Das ist meiner Meinung auch das Tragische am Burnout bei Frauen mit Kindern. Ihren Kindern zuliebe strengen sie sich noch mehr an und versuchen durchzuhalten, aber genau das verschlimmert alles. Vor allem kleine Kinder können ja nicht verstehen, was vor sich geht, beziehen den Stress der Mutter auf sich und entwickeln häufig Angst oder Schuldgefühle. Das ganze Familiensystem ist somit betroffen und extrem belastet. Der Weg daraus: Mütter müssen lernen, sich und ihre Bedürfnisse wieder zu priorisieren und ihr Leben entsprechend anders ausrichten. Das ist ein neues Bild. Die Idee von der sich aufopfernden Mutter wird ersetzt durch eine, die sich selbst wertschätzt und wichtig nimmt.

Wie kann die Gesellschaft auf lange Sicht dazu beitragen, dass Mütter weniger Care-Arbeit leisten müssen?

Dr. Horvath: Genau hier liegt einer der Knackpunkte. Mit dem ersten Kind verändern sich oft vorher gleichberechtigte Beziehungen und das liegt auch an der Nutzung des in Deutschland seit 2007 eingeführten Elterngeldes. Um diese finanzielle Unterstützung für Familien in vollem Umfang zu beziehen, müssen beide Elternteile mindestens zwei Monate in Elternzeit gehen. Wie genau das aufgeteilt wird, bleibt jedem selbst überlassen. Zwar nutzen vierzig Prozent der Väter inzwischen das Elterngeld, aber drei von vier beschränken sich dabei auf die Mindestdauer von zwei Monaten. Die längere Auszeit, maximal ein volles Jahr, wird von der Mutter genutzt und damit sind die Rollen schon ziemlich festgeschrieben. Es kostet sehr viel Anstrengung und eine fortwährende gute Kommunikation, um dieses Ungleichgewicht nach dem Ende der Elternzeit wieder zu nivellieren.

Anders ist das beispielsweise in Island. Dort ist das Elterngeld weniger flexibel für Familien nutzbar, aber dafür geschlechtergerecht geregelt. Beide Elternteile haben jeweils Anspruch auf sechs Monate Bezugsdauer. Entscheidet sich ein Elternteil dagegen, halbiert sich auch die finanzielle Unterstützung. In der Folge nehmen fast alle Väter eine halbjährige Auszeit vom Beruf und kümmern sich um ihr Kind. Beide Elternteile machen in dieser Zeit eine ähnliche Erfahrung, entwickeln eine Nähe zum Kind und bekommen ein Gefühl für das hohe Stresslevel bei der Betreuung. Entsprechend liegen die Startvoraussetzungen und das Verständnis für die neue Rolle als Mutter und Vater viel näher beieinander. Das verpassen deutsche Familien oft. Im Gegenteil: In der Zeit, in der die Väter in Elternzeit sind, bleiben viele Frauen ebenfalls zu Hause. Das ist verständlich, aber leider für die folgenden Jahre nicht hilfreich. Ob es dafür eine Reform des Elterngeldes braucht, kann ich nicht sagen. Aber es wäre begrüssenswert, wenn sich Paare intensiver mit diesen Themen auseinandersetzen. Dazu braucht es mutige Männer, die für das Recht auf Care-Arbeit kämpfen und ihre Karriere entsprechend niedriger priorisieren und mutige Frauen, die das zulassen. Abgesehen davon ist es Zeit, dass die Forderungen nach Kinderbetreuung und familienfreundlichen Arbeitsplätzen endlich erfüllt werden.

Um Rollenbilder in unserer Gesellschaft zu verändern, müssen wir aber auch schon bei den Kleinsten anfangen und dafür mehr Unterstützung von der Politik erhalten. Es ist wichtig, schon in Kinderbüchern und Kinderfilmen starke Rollenvorbilder zu zeigen und zu verdeutlichen, dass Väter, die den Müll rausbringen, Babys wickeln und ihren Kindern vorlesen, genauso normal sind, wie Mütter, die Zeitung lesen und arbeiten.

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