„Besorgt zu sein, ist nicht gefährlich“: Warum Angst jetzt wichtig ist

Die mit der Coronavirus-Pandemie einhergehende Isolation macht vielen Menschen Angst. Psychologe Dan Katz erklärt im Interview, wie wir nun miteinander umgehen sollten und wieso diese Ausnahmesituation durchaus positive Folgen für das soziale Leben haben könnte.

Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote machen es aktuell unmöglich, seinem üblichen Alltag nachzugehen: Keine Spieleabende mit Freunden, keine Treffen in Restaurants und viele arbeiten im Homeoffice. Der schwedische Psychologe Dan Katz, Autor von „Angst kocht auch nur mit Wasser“, sieht in der Corona-Krise dennoch nicht nur Negatives. In Zeiten wie diesen sei es wichtig, das richtige Verhalten an den Tag zu legen und die positiven Effekte durch das zwischenmenschliche Zusammenleben zu erkennen, erklärt er im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.

Die Angst vor dem Coronavirus ist allgegenwärtig. Wie schaffen wir es, in dieser Ausnahmesituation ruhig zu bleiben?

Dan Katz: Normalerweise ist es gut, die Ruhe zu bewahren. Aber momentan leben wir in einer Ausnahmesituation, deshalb ist es nicht schlecht, wachsam zu sein. Eine Person, die sich gar nicht sorgt, könnte jetzt Sachen anstellen, die sie selbst und andere in Gefahr bringen – zum Beispiel Freunde zur Begrüssung küssen und umarmen oder trotz allem die alte und kranke Grossmutter besuchen, weil es so scheint, als hätte man keine Symptome. Andererseits: Wenn man zu verängstigt ist, macht das Gehirn keine rationalen Entscheidungen mehr.

Das Beste ist deshalb, zu akzeptieren, dass diese Situation einem Sorgen bereitet. Besorgt zu sein, ist nicht gefährlich, auch wenn es unangenehm ist. Wichtig ist, die Situation richtig einzuschätzen, die Behörden ernst zu nehmen und deren Empfehlungen nachzukommen.

Um sich nicht in die Angst hineinzusteigern, sollte man seinen Fokus auf etwas anderes setzen. Man sollte die Nachrichten mitverfolgen, aber nicht rund um die Uhr. Das Wichtigste ist, seinem Kopf Ruhe zu gönnen: einen Film schauen, trainieren, ein Instrument spielen oder mit Freunden sprechen.

Warum reagieren zahlreiche Menschen so ängstlich und fangen an, Panik zu verbreiten?

Katz: Sich in diesen Zeiten mit Lebensmitteln und Co. einzudecken, ist logisch. Schliesslich ist es sicherer, nur einmal pro Woche zum Supermarkt zu gehen anstatt täglich. Aber wenn wir dann andere Leute sehen, die sich panisch benehmen, fangen wir automatisch an, ebenfalls panisch zu werden und uns von der Situation mitreissen zu lassen. Wir sind soziale Wesen und verhalten uns wie Herdentiere: Wenn ein Zebra zu rennen beginnt, folgen die anderen, auch wenn keine direkte Gefahr droht. Und natürlich, im Falle einer Panikmache, wird das zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Das kann man bestens beim Toilettenpapier-Kauf beobachten.

Wie sollten wir reagieren, wenn wir auf panische Menschen treffen, wie etwa im Supermarkt?

Katz: Wir sollten nicht sofort reagieren, wenn die Gefahr uns nicht direkt gegenübersteht. Wir sollten darauf vorbereitet sein, dass unser Gehirn uns in den primitivsten Teil entführt: das Reptilienhirn, in dem die Angstreaktionen starten. Wenn wir merken, dass die Angst Überhand gewinnt, sollten wir einen Schritt zurückmachen und die Situation in Ruhe beurteilen. Denn: Panik bringt uns dazu, möglichst schnell zu reagieren, aber nicht unbedingt klug. Wenn man sich also eingesteht, ängstlich oder panisch zu sein, lässt sich leichter feststellen, dass man nicht überlegt handelt.

Wenn jemand anderes beginnt, panisch zu werden, sollte man ruhig bleiben. Wir sollten diesen Menschen dann auf keinen Fall sagen, sie seien dumm oder würden unlogisch handeln. Wir sollten ihnen zeigen, dass wir deren Angst nachvollziehen können.

Einige haben angefangen, Lebensmittel und andere Güter zu horten. Vor allem Pasta und Toilettenpapier sind sehr gefragt. Sollte man Menschen, die aktuell beim Einkaufen zuschlagen, auf deren Verhalten ansprechen?

Katz: Das kommt immer auf die Situation und die Person an. Ängstliche Personen neigen dazu, aggressiv zu reagieren. Deshalb sollten wir, wenn wir uns dazu entschliessen, etwas zu sagen, uns unbedingt ruhig und nett verhalten – sonst könnte die andere Person sehr schnell wütend werden. Wenn sie das dennoch wird: zurückhalten!

Ausserdem sollten wir es nicht für selbstverständlich betrachten, dass Menschen, die besonders viel kaufen, egoistisch sind. Vielleicht haben sie eine grosse Familie mit vielen Kindern, um die sie sich kümmern müssen.

Mittlerweile gelten hierzulande weitreichende Ausgangsbeschränkungen. Den ganzen Tag über zuhause zu bleiben, kann sehr frustrierend sein. Wie sollten wir damit umgehen?

Katz: Das ist sehr wichtig: Nichts zu tun, keinen geregelten Tagesablauf zu haben und keinen Sport mehr zu treiben, ist ein sicherer Weg in die Depression. Deshalb sollte man sich nach seinem gewöhnlichen Tagesablauf richten, nicht nur im Bett liegen, sondern eine Routine finde. Stehen Sie zeitig auf, ziehen Sie sich an, kümmern Sie sich um Ihre Hygiene, essen Sie regelmässig. Und: Treiben Sie Sport! Wenn Sie nicht mehr ins Fitnessstudio oder auf den Sportplatz gehen können, sollten Sie erfinderisch werden. Zuhause kann man zum Beispiel Seilspringen oder ein Home-Workout starten.

Wenn Sie Zuhause arbeiten, sollten Sie sich an den normalen Arbeitszeiten orientieren. Und wenn Sie gar nichts zu tun haben: Wie wäre es mal mit einer grossen Putzaktion? Oder sie räumen die Garage aus oder lernen eine neue Sprache. Wenn Sie sich einsam fühlen, sollten Sie Ihre Freunde anrufen.

Man muss wirklich aufpassen, denn nach einer Weile kann einen das eigene Gehirn austricksen. Man könnte so gelangweilt und frustriert werden, dass man sich plötzlich denkt, die Sicherheitsvorkehrungen könne man leicht umgehen. Unser Gehirn sucht immer nach sofortiger Erleichterung und sofortiger Befriedigung.

Durch die Isolation verlieren wir den persönlichen Kontakt zu unseren Mitmenschen. Ändert sich damit möglicherweise auch die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen?

Katz: Das kann sich sowohl ins Gute als auch ins Schlechte entwickeln. Ich kann momentan meine Frau und meinen Stiefsohn aus gesundheitlichen Gründen nicht sehen. Ich vermisse sie so sehr, dass es weh tut. Diese Situation bringt uns dazu, zu realisieren, wie wichtig unsere Liebsten für uns sind und deshalb denke ich, wenn wir uns endlich wiedersehen, werden wir die gemeinsamen Momente viel mehr zu schätzen wissen.

Aber andererseits besteht durch die Isolation ein höheres Risiko, sich misszuverstehen, wenn man etwa nur über Chats Kontakt hält. Auch für Menschen, die miteinander leben, ist die Situation eine Zerreissprobe – vor allem, wenn man nichts zu tun hat. Deshalb sollten wir auf keinen Fall anfangen, unsere Beziehungen in einer Krisensituation wie dieser zu hinterfragen und zu bewerten. Zu unseren Liebsten sollten wir momentan besonders rücksichtsvoll und tolerant sein.

Allgemein betrachtet sehe ich für unser soziales Zusammenleben sehr ermutigende Zeichen: Nachbarn helfen sich gegenseitig, Menschen halten Abstand zueinander, aber lächeln sich freundlich an. Jetzt verstehen wir vielleicht, wie sehr wir einander brauchen, um zu überleben. Ausserdem schätzen wir die Menschen viel mehr, die in der Forschung an einem Heilmittel arbeiten oder die Menschen, die noch zum Wohle anderer zur Arbeit gehen: Ärzte, Pflegepersonal oder andere, auf die wir jetzt zählen können.

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