So stehen Benedikt XVI. und Franziskus wirklich zueinander

Benedikt XVI. feierte im April seinen 93. Geburtstag. Wie es ihm körperlich und geistig geht und wie er zu Papst Franziskus steht, erklärt Autor Peter Seewald.

Benedikt XVI. feierte im April seinen 93. Geburtstag. Wie der emeritierte Papst heute lebt, wie es ihm gesundheitlich geht und wie sein Verhältnis zu Papst Franziskus (83) wirklich ist, erklärt Peter Seewald (65) im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news. Der Autor und Journalist hat „eine Jahrhundertbiografie“, „Benedikt XVI.: Ein Leben“ (Droemer HC), verfasst, die nun erschienen ist.

Benedikt XVI. ist gerade 93 Jahre alt geworden. Wie lebt der emeritierte Papst heute?

Peter Seewald: Extrem zurückgezogen im Haus „Mater Ecclesiae“, einem winzigen Kloster in den Vatikanischen Gärten, das von Johannes Paul II. eingerichtet wurde. Zur Hausgemeinschaft gehören neben dem Emeritus sein Sekretär Erzbischof Gänswein und vier Laienschwestern. Es ist sehr ruhig, sehr romantisch da, mit einem wunderbaren Blick auf Rom. Er braucht den Rollstuhl und verlässt das Haus nur, um kurz frische Luft zu schnappen oder am Fatima-Heiligtum den Rosenkranz zu beten. Ansonsten liest er viel, und als notorischer Schriftsteller setzt er sich noch immer an den Schreibtisch, auch wenn es nur um die Predigten für den Sonntag geht, die er für seine Mitbewohner ausarbeitet.

Wie wird Benedikt XVI. vor dem Coronavirus geschützt und was ist über seinen Gesundheitszustand bekannt?

Seewald: Seit dem Ausbruch der Pandemie hält man sich in „Mater Ecclesiae“ an die Vorschriften. Das hiess für die erste Zeit: niemand geht hinaus, niemand kommt herein. Noch immer werden keine Besucher empfangen, mit Ausnahme von Papst Franziskus. Man hat den Eindruck, dass Benedikt die neue Freiheit von Besuchern, die ja für gewöhnlich noch immer sehr zahlreich anklopfen, fast ein wenig geniesst, weil er nun ganz nach Innen gehen kann. Körperlich ist er inzwischen sehr gebrechlich. Seine Stimme ist so schwach geworden, dass man ihn kaum noch versteht. Geistig ist er noch immer hellwach. Er führt nach wie vor eine gewaltige Korrespondenz, und seine Briefe sind wie eh und je geistvoll und geschliffen formuliert.

Wie ist der Rücktritt Benedikts aus heutiger Sicht zu bewerten, wie hat er das Amt damit verändert?

Seewald: Ratzinger hatte schon immer den Mut, auch Dinge zu tun, die vor ihm noch niemand getan hatte. Bereits in unserem Buch „Licht der Welt“ sagte er 2010, ein Papst, der sein Amt körperlich und seelisch nicht mehr ausfüllen kann, hat nicht nur das Recht, sondern mitunter auch die Pflicht, zurückzutreten. Er wusste, was er da lostritt und hat diesen Schritt in vielen Monaten durchdacht und durchlitten. Der Akt hat dem Amt nichts genommen, wie man heute sieht, im Gegenteil. Die katholische Kirche ist heute so gross und so verbreitet wie niemals zuvor. Die Anforderungen an den obersten Hirten haben sich extrem verändert. Ratzinger hat den Weg frei gemacht für eine frische Kraft. Und man kann ihm glauben, wenn er sagt, er befindet sich damit im Reinen, gerade auch mit seinem Herrn, dem alleine gegenüber er letztlich verantwortlich ist.

„Krieg der Päpste“ titelten Zeitungen unlängst. Sie nennen den angeblichen Streit ums Zölibat in Ihrem Buch „eine Zeitungsente“.

Seewald: Die Aufregung um das Werk von Kardinal Sarah war ein Stück wie aus dem Tollhaus. Ursprünglich sollte der Beitrag erst nach dem Tod Papst Benedikts veröffentlicht werden. Kardinal Sarah hat davon erfahren und den Emeritus gedrängt, seinen Text freizugeben. Der wusste aber weder, dass er auf dem Buchtitel genannt werden sollte, noch von dem Vor- und Nachwort, das mit seiner Unterschrift geschmückt wurde. Bevor nun die Kritiker das Buch überhaupt lesen konnten, waren sie sich darüber einig, Benedikt XVI. würde als Schattenpapst seinem Nachfolger in der Frage des Zölibats dazwischen grätschen. Dabei ging es in dem kleinen Aufsatz gar nicht um den Zölibat, sondern um das Wesen des katholischen Priestertums. Und zum Zweiten: Es gibt da überhaupt keine Unstimmigkeit zwischen Benedikt und Franziskus.

Warum kommt es immer wieder zu solchen Irritationen?

Seewald: Für viele war die verunglückte Buchveröffentlichung eine willkommene Gelegenheit, eine neue Attacke zu reiten. Noch immer wird ja auch die Mär vom „Panzerkardinal“ gepflegt, den es in Wirklichkeit nie gab. Ratzinger ist weder ein Mann von gestern, noch ist er ein Wendehals, der seine Richtung geändert hat. Seine Theologie war sehr früh fertig und zeigte eine beeindruckende Kontinuität, von gewissen Modellierungen abgesehen. Er hat mit den Modernitätsschub durch das Zweite Vatikanische Konzil bewirkt. Klar, er hat nicht alles richtig gemacht. Er hat aber auch nicht alles falsch gemacht. Man spricht von ihm als dem Kirchenlehrer der Moderne. Mit seinen Millionenauflagen ist er vermutlich der meistgelesene Theologe der Neuzeit. Als Pontifex hat er nicht nur das Papsttum revolutioniert, sondern nicht zuletzt mit seiner Jesus-Trilogie, die noch kein Papst vor ihm gewagt hatte, Grundlagen für die Revitalisierung des Glaubens gelegt.

Wie steht es um das Verhältnis zwischen Benedikt XVI. und Papst Franziskus?

Seewald: Nach Aussagen des früheren wie des amtierenden Heiligen Vaters ist die Beziehung ausgezeichnet. Und ich nehme an, das ist nicht nur eine Höflichkeitsfloskel. In seinem in meinem Buch veröffentlichten letzten Interview sagt Benedikt XVI.: „Die persönliche Freundschaft mit Papst Franziskus ist nicht nur geblieben, sondern weiter gewachsen“. Bergoglio hat ein anderes Temperament, ein anderes Charisma, eine andere Art der Amtsführung, aber er liess nie einen Zweifel an seiner Verehrung für den Vorgänger. Nach seiner Wahl betete er auf der Loggia des Petersdomes als allererstes ein Gebet für seinen Vorgänger. Er schreibt ihm Briefe, besucht ihn regelmässig, bittet hier und da auch um Rat. Er würdigt ihn als „grossen Papst“ und ist sich sicher, wie er sagt, dass „sein Geist von Generation zu Generation immer grösser und mächtiger in Erscheinung treten wird“.

Hat sich Benedikt seit seinem Rücktritt je in das Wirken des jetzigen Papstes eingemischt?

Seewald: Nein. Wer das sagt, hat entweder keine Ahnung oder ist bewusst verleumderisch. Es gibt keine einzige Aussage, die dies belegen könnte. Er war im Gegenteil immer peinlich darauf bedacht, seinem Nachfolger nirgendwo in die Quere zu kommen. Die Rede vom „Schattenpapst“ oder gar „Gegenpapst“ Ratzinger ist genauso unsinnig wie die Mär, Bergoglio würde von den „Wölfen“ im Vatikan an die Wand gedrückt. Was bei dem kräftigen und durchaus machtbewussten Franziskus ohnehin kaum vorstellbar ist.

Wird Benedikt als Person falsch eingeschätzt und dargestellt? Was ist für Sie das Bemerkenswerteste an ihm?

Seewald: Der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy merkte einmal an, sobald die Rede auf Ratzinger komme, beherrschten „Vorurteile, Unaufrichtigkeit und sogar die glatte Desinformation jede Diskussion“. Die Medienexpertin Friederike Glavanovics analysierte, im Umgang mit Ratzinger sei die Tendenz mancher Journalisten auffällig, negative Nachrichten geradezu zwanghaft in einen noch negativeren Kontext einzubetten. Es sei ein Image konstruiert worden, „das nicht auf Wirklichkeit, sondern nur auf Viabilität verpflichtet ist“, auf ein fiktives Bild also, das einem bestimmten Zweck dienen sollte. Benedikt XVI. gilt als einer der bedeutendsten Intellektuellen unserer Zeit, gleichzeitig blieb er eine Reizfigur. Ein Unbequemer, der sich geweigert hatte, sich an den jeweiligen Zeitgeist anzupassen.

In dem Netflix-Film „Die zwei Päpste“ lehnt Papst Benedikt 2012 den Rückzug von Jorge Mario Bergoglio als Kardinal ab und erklärt ihm, dass er als Papst zurücktreten werde, und in Bergoglio seinen Nachfolger sieht – obwohl dieser sein schärfster Kritiker ist. Wie viel Wahrheit steckt in dieser Geschichte?

Seewald: Der Film ist eine interessante Spekulation, aber auch nicht mehr. Teils ist das ganz amüsant. Etwa wenn der grossartige Anthony Hopkins als Benedikt XVI. auf dem Klavier ein Lied von Zarah Leander spielt und erzählt, er hätte eine CD im Studio der Beatles in der Abbey Road in London aufgenommen. Ratzinger und Bergoglio kannten sich nicht besonders gut. Sie waren sich bei den vorgeschriebenen Besuchen des Argentiniers in Rom begegnet. Im Konklave von 2005 war Bergoglio freilich der Mann mit den zweitmeisten Stimmen. In einem Interview sagte er: „In dem Moment der Geschichte war Ratzinger der einzige Mann mit der Statur, der Weisheit und der notwendigen Erfahrung, um gewählt zu werden.“

Haben Sie beim Recherchieren und Schreiben zu „Benedikt XVI.: Ein Leben“ Überraschungen erlebt?

Seewald: Ja, jede Menge. Es ist eine Jahrhundertbiografie, wie es sie kein zweites Mal gibt. Und es ist viel zu erzählen. Es beginnt schon mit der Mutter Ratzingers und den Grosseltern mütterlicherseits, die alle unehelich geboren wurden. Da waren die Erfahrungen in der Nazizeit, die prägend für seine Haltung, für sein ganzes Werk wurden. Als Student hatte er sich in ein Mädchen verliebt – eine Geschichte, die seine Entscheidung für den Priesterberuf existentiell machte. In Bonn wird er gefeiert als neuer Star am Himmel der Theologie. Auffallend ist seine Nähe zu unbequemen, eigenständig denkenden Persönlichkeiten.

Mir war auch nicht bewusst, dass Ratzingers Anteil am Konzil nicht marginal, sondern riesig ist. Er selbst hat das immer heruntergespielt. Aber an der Seite von Kardinal Frings war er im Grunde der massgebliche Spin-Doctor des Vatikanums. Man hat ihn wegen seiner progressiven Haltung sogar der Freimaurerei verdächtigt. Schon Ende der 50er-Jahre sprach er von der notwendigen „Entweltlichung“ der Kirche. Diese Brandschrift kostete ihm fast die Karriere. Später hat er sich mit Händen und Füssen gegen die Berufung zum Glaubenspräfekten gewehrt.

Eines der Buchkapitel erzählt auch von den unbekannten gesundheitlichen Handicaps Ratzingers und seiner Erschöpfung nach dem Tod seiner Schwester. Und, und, und. Es gibt auch Schattenseiten, wie etwa seine mangelnde Personalpolitik. Vor allem hat mich seine Leidensbereitschaft überrascht. Es ist nicht so, dass Ratzinger nicht auch ausgeteilt hätte. Aber er hat nie mit gleicher Münze zurückbezahlt. Selbst seine schärfsten Kritiker bezeichnet er nicht als Feinde, sondern allenfalls als „Nicht-Freunde“.

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