„Tote Mädchen lügen nicht“: Waren vier Staffeln zu viel?

Der umstrittene Netflix-Hit „Tote Mädchen lügen nicht“ verabschiedet sich mit der vierten Staffel. Hat die Serie ihren Zenit schon längst überschritten?

Die Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“, im Original „13 Reasons Why“, sorgt seit ihrer ersten Staffel im Jahr 2017 für jede Menge Wirbel. Warum nimmt sich ein Teenager das Leben? Mit dieser Frage beschäftigen sich die ersten 13 Episoden, die auf dem gleichnamigen Bestseller von Jay Asher (44) basieren. Teenagerin Hannah Baker (Katherine Langford, 24) begeht Selbstmord und nennt in Form von Kassetten 13 Gründe dafür. Obwohl es kein weiteres Buch gibt, wurde die Serie verlängert, um Staffel zwei, drei und vier. Doch an den Auftakt kommen die Nachfolger nicht heran.

Achtung, die folgenden Passagen enthalten massive Spoiler aus allen Staffeln der Serie!

Das steht im Fokus der „Tote Mädchen lügen nicht“-Staffeln

Das Tabu-Thema Suizid wird in der Serie weder verherrlicht noch heruntergespielt, auch wenn kritische Stimmen das immer wieder behaupten. Der Selbstmord war detailliert zu sehen, bis Netflix die entsprechende Szene im Sommer 2019 herausnahm. Nach ihrem Tod taucht Hannah Baker (Katherine Langford, 24) auch in Staffel zwei auf, in den Erinnerungen ihrer Mitschüler sowie als eine Art Geisterscheinung für Clay Jensen (Dylan Minnette, 23).

In der zweiten Staffel steht der Gerichtsprozess im Fokus, den Hannas Mutter gegen die Schule führt. Der Zuschauer erfährt durch mehrere Perspektivenwechsel neue Details zu den Ereignissen aus Staffel eins. Zudem spitzt sich die Lage für andere Protagonisten zu, etwa die Drogensucht von Justin (Brandon Flynn, 26). Die Staffel gipfelt in einen versuchten Amoklauf von Tyler Down (Devin Druid, 22), nachdem er von einigen Mitgliedern des Football-Teams, federführend darunter Montgomery „Monty“ de la Cruz (Timothy Granaderos, 33), grausam misshandelt worden ist.

Staffel drei dreht sich um die Aufklärung des Mordes an Bryce Walker (Justin Prentice, 26). Er kommt trotz mehr als einer Vergewaltigung zuvor in einem Gerichtsprozess im Grunde ungeschoren davon. Motive für die Tat hätten viele, am Ende stellt sich heraus, dass Alex Standall (Miles Heizer, 26) der Täter ist. Allerdings schafft es die Clique, den wahren Schuldigen zu decken und den Mord Monty anzulasten. Auch Alex‘ Vater, Bill Standall (Mark Pellegrino, 55), seines Zeichens Sheriff, vertuscht mit. Monty kann sich gegen den Vorwurf nicht mehr wehren, da er im Knast getötet wird.

In der vierten und letzten Staffel geht es darum, dass Winston Williams (Deaken Bluman), der in Staffel drei mit Monty angebandelt hat, den wahren Mörder entlarven will. Trailer zu den finalen Folgen deuten an, dass die Clique womöglich nicht ungeschoren davonkommt. Vor allem Clay scheint zunehmend unter der Last all der Geheimnisse und Vertuschungen zu zerbrechen – und das kurz vor dem Schulabschluss. Schauspielveteran Gary Sinise (66, „Forrest Gump“, „CSI: NY“) hat im Finale die Rolle von Dr. Robert Ellman übernommen, ein Familientherapeut, der Clay bei seinen Traumata helfen soll.

Sind vier Staffeln drei zu viel?

„Tote Mädchen lügen nicht“ hat in der Auftaktstaffel das Tabu-Thema Selbstmord respektvoll von allen Seiten beleuchtet. Zudem greift die Serie auch tief verwurzelte gesellschaftliche Probleme unter Jugendlichen auf. Nicht nur Mobbing ist ein Thema, sondern auch Sexismus bzw. sexuelle Belästigung. Staffel zwei zeigt schliesslich, ebenfalls nah an der Realität, dass nicht jede Vergewaltigung zu einer Verurteilung führt und dass auch Männer Opfer von Missbrauch werden können. Allerdings ist es nicht der klügste Schachzug gewesen, Hannah als Fantasiegebilde von Clay in der Gegenwart Teil der Geschichte sein zu lassen.

In der dritten Staffel wirken gleich mehrere Sachen unstimmig. Grösster Kritikpunkt: Die neue Figur, Ani Achola, die Grace Saif (24) spielt. Sie kam zuvor nicht vor, scheint aber über die Geheimnisse aller bestens im Bilde zu sein und fungiert auch als Erzählerin. Wie hat sie das Vertrauen aller so schnell für sich gewinnen können? Sie vermittelt den Eindruck, alle Beteiligten seit Jahren zu kennen, wo es tatsächlich aber erst wenige Monate sind. Sie wirkt besserwisserisch und unsympathisch, wirklich warm wird man nicht mit ihr. Ein Erzähler-Wechsel unter den alten Figuren wäre wohl sinnvoller gewesen.

Doch nicht nur Ani hinterlässt in Staffel drei einen faden Beigeschmack. Der permanente Zeitenwechsel in den Folgen kann leicht verwirren. Befinden wir uns in der Gegenwart oder in der Vergangenheit? Auch die plötzlich menschelnde Seite von Bryce sowie sein Ausbruch, dass er sich ändern wolle, ihn aber keiner lasse, ist irgendwie zu viel des Guten. Bryces Tod hat zudem zur Folge, dass die dritte Staffel mehr zur Krimiserie wird. Clay und Ani jagen einen Killer – dabei scheint Mord ein etwas zu heikles Thema für Teenager zu sein.

„Tote Mädchen lügen nicht“ verliert sich nach der starken ersten Staffel darin, die Probleme und Geschehnisse maximieren zu wollen. Von einem Selbstmord wandert der Plot zu Mord und nimmt alle nur erdenklichen Nebenhandlungen von Crime-Serien mit – inklusive einem gefährlichen Drogendealer. Der Serie hätte es gut getan, sich auf ihren Kern zu besinnen: Teenager-Probleme, mit denen sich die jungen Zuschauer identifizieren können.

Hilfe bei Depressionen bietet die Telefonseelsorge unter der kostenlosen Rufnummer: 0800/111 0 111

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