Ian Gillan von Deep Purple hat „keine Zeit für Sentimentalitäten“

Mit Deep Purple definierte Ian Gillan die Rockmusik der Siebzigerjahre. Jetzt erscheint ihr neues Album „Whoosh!“. Darüber spricht der Sänger im Interview und verrät, warum ihn ausgerechnet Tenor-Legende Luciano Pavarotti beneidete.

„Highway Star“, „Child In Time“ und natürlich „Smoke On The Water“ – mit Klassikern wie diesen prägte Ian Gillan (74) mit Deep Purple in den Siebzigern den Hard Rock. Auch 2020 ist für Gillan alles andere als ereignislos – Corona-Krise hin oder her. Zum einen feiert der Meilenstein „Deep Purple In Rock“ sein 50-jähriges Jubiläum, zum anderen wird der britische Musiker selbst am 19. August 75 Jahre alt.

Doch das alles kümmert den lakonischen Sänger mit der Power-Stimme herzlich wenig – Gillan redet lieber über die neue Deep-Purple-Platte „Whoosh!“, während er in Portugal die Sonne geniesst. Über das mittlerweile 21. Studioalbum der Band, die Musik von Little Richard und warum er vor Geburtstagen davon läuft, spricht Ian Gillan im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.

Ian Gillan, wie bewahren Sie die Ruhe in diesen Tagen?

Ian Gillan: Ich geniesse es sogar. Ich geniesse kein arbeitsfreies Jahr, aber ich mache das Beste daraus. Ich habe meine Schreibsitzungen früh am Morgen, ich entspanne und lese am Nachmittag. Man entdeckt einige Dinge, wenn man in Quarantäne ist. Mein ganzes Leben lang war ich ein grosser Fussballfan und plötzlich denke ich: „Ich werde mir das nicht mehr ansehen, das ist Quatsch, absoluter Quatsch.“ Alle fünf Minuten betrügen sie, jemand versucht zu schummeln, um ein Foul oder einen Elfmeter zu bekommen. Das ist total verrückt! Ich habe seit dem Wiederanpfiff eigentlich kein einziges Spiel mehr gesehen.

Gibt es stattdessen Aktivitäten, die Sie in der Pandemie für sich entdeckt haben?

Gillan: Ich schreibe und ich lese – das sind die beiden Hauptaktivitäten. Normalerweise stehe ich gegen vier Uhr morgens auf, wenn es ruhig und friedlich ist. Manchmal gehe ich dann nach draussen und setze mich vor meine Hütte, beobachte das Wasser, lausche dem Gesang der Vögel und trinke eine Tasse Tee. Einmal in der Woche gehe ich einkaufen und ins Restaurant oder so etwas in der Art. Aber im Grunde bin ich einfach nur ein faules Schwein.

Und gibt es bestimmte Musik, die Sie während der Isolation geschrieben haben?

Gillan: Mein Schreiben hängt nicht von spezifischen Ereignissen ab. Ich liebe es einfach zu schreiben und so bleibe ich in Übung. Ich mache auch kleine Kreuzworträtsel. Steve (Morse), unser Gitarrist – denn diese Jungs üben sechs Stunden am Tag – fragte mich eines Tages im Tourbus: „Was ist das mit den Kreuzworträtseln, worum geht es da eigentlich?“ Und ich sagte: „Nun, ich mache das Gleiche wie ihr, ich übe.“

Was ist die Quintessenz des neuen Deep-Purple-Albums „Whoosh!“?

Gillan: Ich glaube, die Hauptbeobachtung liegt im Albumtitel und ist meiner Meinung nach repräsentativ für die vergängliche Natur der Menschheit auf diesem Planeten. Wir sind gekommen und gegangen – oder so gut wie. Und mit dem etwas humorvolleren, augenzwinkernden Hinweis denke ich, dass es auch für die Karriere von Deep Purple steht. Es kommt mir vor, als sei es gestern gewesen und dabei war es 1969. Und dann sind wir plötzlich hier: „Whoosh!“ – es ist fast vorbei.

Welche Konsequenzen erwarten Sie aufgrund der Corona-Krise für die Musikindustrie in der Zukunft?

Gillan: Sie wird wahrscheinlich schrumpfen, das Business sich allgemein wandeln. Wir müssen einfach realistisch sein. Es ist ein fieses Ungeheuer, und doch ist die Zahl der Todesopfer im Moment wirklich sehr gering im Vergleich zu beispielsweise der Spanischen Grippe. Beim ersten Mal waren es 50.000 Tote und dann beim Wiederanstieg 50 Millionen, und das ist die niedrigste Schätzung. Wir müssen also tief durchatmen, standhalten und sehr vorsichtig sein, denn es könnte noch schrecklich werden. Und der einzige Ausweg aus dieser Situation ist, sich richtig zu verhalten.

Gibt es alte Stücke, die Sie auf Tour nicht mehr gerne spielen?

Gillan: Nein, wir haben ein schön ausgewogenes Set, wir spielen eine Mischung aus alten Songs, die jeder kennt, aus selteneren Stücken und natürlich einigen neuen. Aber das, was es jeden Abend spannend macht, ist die Improvisation. Als ich ein paar Mal mit Pavarotti sang, sagte er: „Ich beneide dich so sehr: Ich habe dich sechs Mal ‚Smoke on the Water‘ singen sehen, und jedes Mal war es anders. Wenn ich eines meiner berühmten Lieder singe und dabei eine Sache ändern würde, würden mich Kritiker und Fans ans Kreuz nageln, weil von mir erwartet wird, dass ich genau die gleiche Version bringe wie meine ursprüngliche Interpretation. Ich kann nichts verändern und es wird wirklich sehr langweilig.“

Haben Sie irgendwelche Ratschläge für junge Musiker?

Gillan: Nun, der Rat, den ich jungen Bands immer gebe, lautet: Probt so viele Stunden am Tag, wie ihr könnt. Unsere Jungs üben immer noch sechs Stunden täglich. Das ist es, was man braucht, um einen guten Standard zu erreichen. Und sich nicht entmutigen lassen. Ausserdem habe ich von einigen Rockmusikern gehört, die gesagt haben: „Oh, wir hören Deep Purple und Led Zeppelin und Black Sabbath“ und dann denke ich: „Ist das alles? Hört ihr euch nicht die Dinge an, die uns beeinflusst haben?“ Zum Beispiel Chopin oder Mahler oder Beethoven oder Buddy Rich oder Folk-Sänger oder Motown oder Dusty Springfield. All diese Dinge sind eine reiche Quelle an Musik, die man sich in seinen prägenden Jahren aneignen und adaptieren kann – das ist das Wichtigste.

Auch Little Richard war ein grosses Idol für Sie. Was bedeutet Ihnen seine Musik?

Gillan: Er war eine treibende Kraft, und ich denke, seine Energie und Schlichtheit, das war eine Lektion zu Beginn. Und es war eine Zutat für meine Musik, und es spielt keine Rolle, wie sanft, musikalisch, melodisch – es war immer ein ganzes Bündel im Kopf von Little Richard. Und der ungehemmte Gesang aus seinem Herzen und seiner Seele. Man muss dazu nicht schreien, denn dieses Gefühl der Unmittelbarkeit und Direktheit kann auch auf sanfte Weise ausgedrückt werden. So ist es auch bei Elvis Presley. Er hatte eine Stimme, die einen tief im Inneren berühren kann.

Für Sie gibt es 2020 gleich zwei Jahrestage: Zum einen das 50-jährige Jubiläum des Meilensteins „Deep Purple In Rock“. Bedeutet das Album für Sie heute etwas anderes?

Gillan: Natürlich hat es sich verändert, aber das, was sich nicht geändert hat, wo wir gerade von Little Richard gesprochen haben, ist die Intensität und die organische Verknüpfung der Musik. Sie ist gereift, hat sich entwickelt – und wir singen mittlerweile eben über andere Dinge.

Aber nicht auf sentimentale Art und Weise?

Gillan: Ich bin wahrscheinlich der unsentimentalste Mensch, mit dem Sie je gesprochen haben. Ich habe keine Zeit für Sentimentalitäten!

Ausserdem steht am 19. August Ihr 75. Geburtstag an. Feiern Sie trotz Corona ein bisschen?

Gillan: Ich werde davonlaufen, wie ich es immer tue. Das mache ich, seit ich fünf Jahre alt bin: Als meine Tanten und Grossmütter zu Besuch kamen, um mich mit Küssen zu ersticken, zwischen ihrem Busen zu zerquetschen und mit ihrem Parfüm zu übermannen, bin ich schreiend weggerannt, habe mich im Garten versteckt und bin erst spät wieder zurückgekommen, weil ich es so abstossend fand. Von daher sind Geburtstage und Weihnachten für mich keine Sache, die ich feiere, sondern eine, vor der ich weglaufe. Aber ich bin inzwischen ein bisschen älter geworden, also gehen wir mit meiner Familie in ein lokales Restaurant oder so.

Wenn Sie auf all die Jahre zurückblicken: Gibt es eine Sache, die Sie bisher nicht geschafft haben, aber noch erledigen wollen?

Gillan: Ich bin nicht nur der am wenigsten sentimentale, sondern auch der am wenigsten ehrgeizige Mensch. Ich nehme mein Glück, wie es kommt. Ich bin sehr hartnäckig, ich bleibe dabei und entwickle gerne Dinge weiter, aber ich strebe nicht nach dem Rock ’n‘ Roll Highway, sondern nehme gerne die landschaftlich schöne Strecke, atme die frische Luft und geniesse einfach neue Dinge. Und ich ergreife meine Chancen. Einiges war fantastisch, die Pavarotti-Sache zum Beispiel, das mit „Jesus Christ Superstar“ war unglaublich oder auch die Zeit bei Black Sabbath war wahnsinnig komisch. Wie so viele andere Dinge, die ich in meinem Leben tun durfte.

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