Rolando Villazón: „Wir sind alle auf Live-Entzug“

Star-Tenor Rolando Villazón kann es kaum erwarten, wieder auf der Bühne zu stehen. „Wir Künstler aber auch das Publikum sind alle auf Live-Entzug“, erklärt er im Interview.

Star-Tenor, Roman-Autor, Intendant, Moderator – Rolando Villazón (48) ist ein echtes Multitalent. Aktuell erobert er mit seinem dritten Roman „Amadeus auf dem Fahrrad“ die Bestseller-Listen. Im Oktober erscheint seine neue CD „Serenata Latina“. Im Herbst, sollte es die Situation zulassen, ist eine Tournee geplant. Anders als viele seiner Kollegen trifft Villazón die Corona-Krise nicht mit voller Härte. „Ich habe das grosse Glück, dass ich mehrere Standbeine habe“, erklärt er im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news. Doch natürlich vermisse auch er es, auf der Bühne zu stehen. „Wir Künstler, aber auch das Publikum sind alle auf Live-Entzug, und natürlich ist die Gesamtsituation einfach sehr schwierig für jeden.“

Ihr erstes Konzert anlässlich Ihres neuen Albums „Serenata Latina“ fand Mitte Juli online statt. Wie haben Sie es erlebt und wie haben die Fans reagiert?

Rolando Villazón: Es war eine ganz andere Atmosphäre als bei einem Konzert, aber es war trotzdem toll, wieder zu singen. Die künstlerische Verbundenheit und musikalische Intimität mit dem grossartigen Harfenisten Xavier de Maistre auf der Bühne habe ich sehr geschätzt. Es ist fantastisch, dass wir heutzutage diese Möglichkeiten haben und es ist sehr beeindruckend, dass Xavier und ich ein Konzert in Paris geben können und Leute aus Australien, aus Mexiko, aus Finnland oder Kenia dabei sein können. Aber natürlich freue ich mich riesig auf unsere Tournee und alle Konzerte mit Publikum.

Sind noch weitere Live-Streams geplant?

Villazón: Live-Streams können nur eine Übergangslösung sein. Wir hatten ja bereits vor der Krise Live-Übertragungen von Konzerten mit Publikum, also eigentlich ist das Konzept nicht neu. Es wird das „normale“ Konzert allerdings nie ganz ersetzen können. Die Live-Branche ist so wichtig.

Wie sehr vermissen Sie es, selbst auf der Bühne zu stehen?

Villazón: Natürlich sehr. Als Sänger lebt man für die Bühne, es ist ein phänomenales Gefühl, wenn man bei einem Konzert in diesen Flow kommt, wo sich alles zusammenfügt. Es ist, als würde man fliegen. Die Energie, die in einem Saal entsteht zwischen Performer und Publikum, ist jedes Mal anders und unbeschreiblich. Wir Künstler aber auch das Publikum sind alle auf Live-Entzug, und natürlich ist die Gesamtsituation einfach sehr schwierig für jeden.

Welche Folgen hat die Corona-Krise für Sie persönlich?

Villazón: Wie für viele hat sich alles komplett geändert. Ich habe das grosse Glück, dass ich mehrere Standbeine als Sänger, Intendant der Mozartwoche, Regisseur, Autor und Moderator habe. Der Erfolg meines neuen Romans „Amadeus auf dem Fahrrad“ freut mich sehr und ich arbeite bereits an meinem vierten Roman. Auch die CD-Aufnahme mit Xavier de Maistre in Paris war eine wunderbare Möglichkeit trotz Corona meine Leidenschaft fortzuführen. Ich habe 62 Tage mein Haus in Paris nicht verlassen und viel Zeit mit meiner Familie verbracht und das Programm für weitere Mozartwochen vorbereitet.

Für Musiker, die ausschliesslich von Konzerten leben, ist es derzeit sehr schwer. Es ist so wichtig, die Künstler zu unterstützen, die das Grundgerüst unserer Kultur bilden. Ohne sie wäre unsere Welt unvorstellbar trist, grau und traurig. Ich glaube, die Leute denken bei Kultur immer an etwas, was weit weg in einem Elfenbeinturm ist, aber tatsächlich ist jedes Bild, das wir sehen, jeder Film, jede Serie, jedes Lied, jedes Buch, aber auch Werbungen, Plakate, Mode, Design, Architektur – überall stecken Künstler dahinter. Ich möchte in keiner Welt ohne Kunst leben – Sie etwa?

Wie schwer trifft die Corona-Krise die Klassikbranche?

Villazón: Wie den gesamten Live-Sektor sehr schwer. Die Klassikbranche hat zwar den Vorteil, dass viele Häuser und Orchester von öffentlicher Seite finanziert werden, aber das ist nur ein kleiner Teil. Die meisten Solisten sind freiberuflich tätig, man muss auch an das gesamte Rückgrat denken: Techniker, Bühnenbauer, Maskenbildner und und und. Alle Agenturen nehmen aktuell kaum etwas ein, und besonders um die Nachwuchskünstler mache ich mir grosse Sorgen. Seit Jahren unterstütze ich tolle Newcomer mit meiner Show „Stars von morgen“, und will das auch weiterhin tun, die finanzielle Notlage könnte aber dazu führen, dass weniger in den Nachwuchs investiert wird. Das wäre katastrophal!

Mit Ihrem neuen Erfolgsbuch haben Sie schon Lesungen unter anderem auch in München gegeben. Hatten Sie Bedenken, wieder öffentliche Termine wahrzunehmen?

Villazón: Nein, weil die Sicherheitsvorkehrungen gross waren und super umgesetzt wurden. Die Auflagen sind sehr streng, und ehrlich gesagt ist es aktuell 100 Mal gefährlicher U-Bahn zu fahren als in eine Lesung oder ein Konzert zu gehen.

Wie gross ist Ihre Angst vor einer Ansteckung?

Villazón: Ich gehöre nicht zur Hochrisikogruppe, aber ich bin sehr vorsichtig, das sollten wir alle sein. Auch aus Rücksicht auf unsere Mitmenschen.

Sie sind Intendant der immer Ende Januar stattfindenden Mozartwoche in Salzburg. Kann diese überhaupt stattfinden?

Villazón: Ja, auf jeden Fall – wir werden uns an sämtliche Auflagen und Regelungen, die zu diesem Zeitpunkt gelten, halten. Ich freue mich schon sehr auf unser wunderbares Programm „musico drammatico“, mit dem wir Mozart den Musikdramatiker präsentieren. Es wird „dramatisch“, denn wir werden fast alle Werke Mozarts in Moll aufführen, so auch die „Oper aller Opern“ „Don Giovanni“, aber auch tolle Konzertabende und auch Marionettentheater und Pantomime. Ich kann es kaum erwarten!

Vorheriger Artikel„Höhepunkt meiner Karriere“: Roland Kaisers erste eigene TV-Show
Nächster ArtikelKultserie „Knight Rider“ bekommt neuen Film