Welche physischen und psychischen Folgen hat eine Corona-Infektion?

Nicht nur die strengen Auflagen in der Pandemie wirken sich negativ auf unseren Geist aus. Auch eine Corona-Infektion bringt psychische wie physische Folgeerscheinungen mit sich. Im Interview klärt Dr. Matthias J. Müller über das Post-Sars-CoV-2-/Covid-19-Syndrom auf.

Infektionszahlen, Massnahmen zur Vorbeugung und Symptome während einer Covid-19-Erkrankung werden derzeit tagtäglich kommuniziert. Was aber geschieht mit Geist und Körper, nachdem eine Infektion mit dem Coronavirus überstanden ist? Dr. Matthias J. Müller, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie medizinischer Geschäftsführer, ärztlicher Direktor und CEO der Oberbergkliniken GmbH, klärt im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news über die physischen und psychischen Folgen einer Corona-Infektion auf, auch Post-Sars-CoV-2-/Covid-19-Syndrom genannt.

Welche physischen Folgen kann eine Corona-Infektion mit sich bringen?

Dr. Matthias J. Müller: Zu physischen (und psychischen) Folgen nach einer vermeintlich überstandenen Covid-19-Erkrankung gibt es noch wenige belastbare Studien. Viele Betroffene leiden – auch nach weniger schweren Verläufen – unter einer langanhaltenden Einschränkung der Lungenfunktion und sind deswegen kurzatmig und kaum noch belastbar. Häufig hält der Verlust des Geruchs- und Geschmacksempfindens auch nach überstandenem Virusinfekt längere Zeit an. Viele Betroffene leiden zudem unter anhaltenden Schmerzen der Muskulatur und der Gelenke und auch unter Bewegungsstörungen. Manchmal sind Organfunktionen, wie zum Beispiel bei der Niere, über längere Zeit beeinträchtigt.

Wie wirkt sich einen Corona-Infektion auf unsere Psyche aus?

Müller: Bei Patienten, die vorher psychisch gesund waren, zeigten sich nach einer Covid-19-Infektion häufig depressive Symptome und Symptome posttraumatischer Belastung. Bei Personen mit vorbestehenden psychischen Erkrankungen (vor allem Depressionen, Angststörungen) verstärken sich die Symptome deutlich. Ausserdem kann sich – wie nach anderen Virusinfekten auch – nach Abklingen der Covid-19-Infektion ein sogenanntes Fatigue-Syndrom (Müdigkeit oder Abgeschlagenheit) entwickeln.

In einer irischen Studie an 128 Patienten nach Covid-19-Erkrankung litten noch zehn Wochen nach den ersten Covid-19-Symptomen über 50 Prozent der Patienten an einer andauernden Fatigue. Häufiger betroffen waren Frauen und Patienten, die bereits vorbestehende depressive oder Angsterkrankungen aufwiesen. Die Betroffenen leiden unter rascher Erschöpfung und Kraftlosigkeit. Das kann so weit gehen, dass selbst alltägliche Verrichtungen wie Treppensteigen oder sogar das Gehen auf der Ebene nicht möglich sind. Viele berichten, dass sich selbst nach einer leichten und alltäglichen Belastung eine Verschlechterung des Zustandes einstellt, was die Patienten oft an die Wohnung bindet.

Konzentrationsstörungen machen selbst einfachste berufliche oder schulische Aufgaben schier unüberwindbar. Viele Patienten leiden zudem unter ausgeprägten Schlafstörungen und sind neben der Erschöpfung auch noch chronisch übermüdet. In manchen Fällen kommt es auch zu diffusen im Körper wandernden Schmerzen.

Was sind die Ursachen für diese psychosomatischen Erscheinungen nach einer Infektion?

Müller: Die Ursachen des Fatigue-Syndroms und anderer psychosomatischer Beschwerden und Symptome nach Infektionen sind nicht abschliessend geklärt. Hier werden verschiedene Ursachen aus dem Bereich des Zellstoffwechsels oder der Immunologie diskutiert.

Was sollten Betroffene tun, wenn diese Symptome nach einer Corona-Infektion auftreten?

Müller: In jedem Fall ist eine ärztliche Beratung und gegebenenfalls eine Behandlung anzuraten, in erster Linie ein Gang zum Hausarzt, der weitere Untersuchungen veranlassen kann oder Spezialisten hinzuzieht. Mittlerweile bestehen ambulante, teilstationäre und stationäre Behandlungsansätze und Rehabilitationsprogramme bei anhaltenden Beschwerden und Einschränkungen, die nach zunächst überstandener Covid-19-Infektion weiterbestehen oder auftreten.

Wie lange können die Folgeerscheinungen anhalten?

Müller: Wir können hier erst die letzten Monate überblicken und es fällt noch schwer, den weiteren Verlauf einzuschätzen. Wir wissen aber zum Beispiel von anderen Virusinfekten wie dem Pfeifferschen Drüsenfieber, dass diese Folgen durchaus über viele Monate anhalten können.

Sie selbst bezeichnen die Corona-Folgeerscheinungen als Post-Sars-CoV-2-/Covid-19-Syndrom (PSCS). Können Sie das genauer erläutern?

Müller: Die körperlichen und psychischen Folgeerscheinungen nach einer durchgemachten Sars-CoV-2-Infektion/Covid-19-Erkrankung lassen sich als typisches Muster von Symptomen – ein sogenanntes Syndrom – auffassen und beschreiben. Das Syndrom wird mittlerweile auch als Long-Covid-19-Syndrom oder chronische Covid-19-Erkrankung bezeichnet. Das Auftreten oder die Verschlechterung von Symptomen im zeitlichen Abstand von der Akutsymptomatik sowie der fehlende Zusammenhang zwischen der Schwere der Akutsymptome und dem Auftreten und der Schwere der Folgeerscheinungen rechtfertigen aus unserer Sicht die Begrifflichkeit PSCS.

Die Beschränkung auf den häufigsten Symptomkomplex Fatigue im Sinne einer Post-Covid-19-Fatigue scheint nicht ausreichend, denn auch andere somatische, psychische und neuropsychologische Symptome im Sinne eines breiteren Syndroms kommen bei diesen Patienten regelmässig vor. Das PSCS ist zwar typisch für das Sars-CoV-2-Virus, postinfektiöse Syndrome können jedoch auch bei Influenza, Sars und anderen Viren auftreten.

Wie lässt sich das PSCS therapieren?

Müller: Die Behandlung von somatischen und psychischen Symptomen erfolgt am besten individuell auf die Bedürfnisse des Patienten ausgerichtet im Rahmen eines interdisziplinären ganzheitlichen psychosomatischen Ansatzes. In einigen Kliniken der Oberberg Gruppe besteht ein ganzheitlich psychosomatisches PSCS-Programm:

Im Rahmen einer internistischen Behandlung mit begleitender Physiotherapie und – bei Bedarf – Schmerzmanagement, wird die Leistungsfähigkeit wiederhergestellt oder verbessert, vorbestehende Grunderkrankungen werden ebenfalls behandelt.

Im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung werden vorliegende Angststörungen, Depressionen, Schlafstörungen und weitere psychische Begleitsymptome behandelt. Insbesondere Stressreduktionsverfahren, Achtsamkeitstherapien und kognitive Verhaltenstherapien werden in der Therapie eingesetzt. Des Weiteren kommen Verfahren der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) sowie weitere Fachtherapien (Übungs- und Sportprogramme, Kreativtherapien und Entspannungsverfahren) zum Einsatz.

Wesentlich bei der Behandlung des Fatigue-Syndroms ist zum einen ein individueller Ansatz, zum anderen eine zurückhaltende, durch Akzeptanz, Erholungsphasen und Entschleunigung geprägte, vom Patienten zunehmend selbst gesteuerte Therapiedosis (Pacing) mit dem Ziel, so aktiv wie möglich zu bleiben, dabei aber durch Überanstrengung ausgelöste Rückfälle zu vermeiden.

Was können Angehörige der Betroffenen tun, um ihnen zu helfen?

Müller: Viele Betroffene wissen selbst nicht, was in ihnen vorgeht, und stossen in ihrem Umfeld auf Unverständnis. Hier ist es wichtig, die Betroffenen ernst zu nehmen und Verständnis zu zeigen. Betroffene sollten von Angehörigen ermutigt werden, sich in professionelle Beratung und Behandlung zu begeben. Leider ist das Thema – auch in professionellen Kreisen – noch nicht weitverbreitet. Zudem bestehen noch keine weithin etablierten diagnostischen und therapeutischen Standards, so dass auch von Angehörigen zu hierfür spezialisierten Angeboten geraten werden sollte.

Diese Fachärzte der Oberberg Gruppe sind gemeinsam mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Matthias J. Müller massgeblich an der Entwicklung der Therapiemöglichkeiten beteiligt:

Dr. med. univ. Andreas Hofschneider, Facharzt für Kardiologie und Innere Medizin, Chefarzt Internistische Abteilung Privatklinik Jägerwinkel

PD Dr. med. Andreas Jähne, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Ärztlicher Direktor Oberberg Fachklinik Rhein-Jura

PD Dr. med. Andreas Wahl-Kordon, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Ärztlicher Direktor Oberberg Fachklinik Schwarzwald

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