„Sexpositiv“: Das hat es mit der Bewegung auf sich

Für mehr Abwechslung im Bett können Paare gemeinsam Neues ausprobieren.

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Die sexuelle Orientierung oder Wünsche einschränken, nur weil sie nicht als Norm gelten? Davon möchte die Bewegung „Sexpositiv“ die Menschen abbringen.

Gleiche sexuelle Rechte für alle, unabhängig von Geschlecht, Beziehungskonzept und sexuellen Vorlieben. Das ist die Forderung der Bewegung „Sexpositiv“. Sie setzt sich aus heterogenen Szenen und Lebensstilen zusammen, etwa polyamor lebenden Menschen, Mitgliedern der LGBTIQ-Bewegung oder Menschen mit Beeinträchtigungen. „Die sexpositive Bewegung benennt Ungleichheiten, die Menschen in ihren sexuellen Freiheiten einschränken. Diese Ungleichheiten bestehen noch immer für Gay, Lesbian, Transgender, Intersex und Menschen mit Beeinträchtigungen“, erklären Barbara Zuschnig und Beatrix Roidinger, Autorinnen von „Sexpositiv“ (Goldegg). Die Bewegung stehe für eine „progressive sexuelle Aufklärungsarbeit und Sexualpädagogik – auch für Erwachsene“.

Wenn es um sexuelle Orientierung, Identität oder Praktiken ginge, stellen sich viele die Frage „Was ist normal?“, so die Sexualberaterinnen im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news. Typische Fragen seien etwa: „Widerspricht es nicht der menschlichen Natur, trans oder genderfluid zu sein? Können Menschen tatsächlich mehr als ein Geschlecht haben? Dürfen körperlich oder geistig beeinträchtigte Menschen ihre sexuelle Lust ausleben? Und wenn ja, mit wem? Sind sexuelle Praktiken, die mit Schmerzen und Demütigung zu tun haben, nicht gewalttätig, ungesund, gefährlich und pervers?“ Die Paar- und Sexualberaterinnen erklären, weshalb die Bewegung von klassischen Moralvorstellungen abrückt und wie jeder einzelne eine sexpositive Einstellung an den Tag legen kann.

Was zählt zu einer sexpositiven Haltung?

Barbara Zuschnig und Beatrix Roidinger: Eine sexpositive Haltung bewertet nicht, was richtig und normal ist, sondern ermutigt jeden Einzelnen, seinen authentischen Weg zu finden. Damit dies möglich wird, hat die sexpositive Bewegung Konsens als Grundlage für jede sexuelle Begegnung etabliert. Konsens herstellen ist das explizite und bewusste Aushandeln einer beidseitigen Zustimmung für alles, was Menschen miteinander tun und schafft damit Sicherheit und Vertrauen. Jedenfalls ist sexpositiv nicht nur ein neues Partyformat, wie von manchen Medien kolportiert.

Eine sexpositive Haltung ist hedonistisch. Sie sieht Sexualität als eine wesentliche Quelle für ein gesundes und erfülltes Leben. Sie fördert sichere, konsensuale und lustvolle Begegnungen und schafft damit die Möglichkeit, seine ganz persönliche Sexualität in vollen Zügen zu geniessen.

Wie findet man heraus, was man für ein erfülltes Sexleben benötigt?

Zuschnig und Roidinger: Der erste Schritt ist, sich bewusst zu werden, dass „Mann und Frau“ über Sexualität sprechen können. Das ist wirklich enorm wichtig, denn für viele Menschen ist es nicht nur aufgrund von Tabus sehr schwierig, über ihre Sexualität zu sprechen, sie denken vielmehr auch, dass es nur eine mögliche „Art“ gibt, Sex zu haben. Das heisst, die meisten Menschen wissen zu wenig über Sexualität. Also zweiter Schritt: sich erkundigen, lesen, Informationskanäle nutzen, zu Beratern oder Beraterinnen gehen und sich Wissen holen. Vielleicht hat Frau Glück und hat eine gute Freundin, mit der sie sich austauschen kann.

Dann empfehlen wir, zu experimentieren. Das heisst, etwas auszuprobieren, ohne gleich alles in Frage zu stellen. Ein wenig die Aufgeregtheit herausnehmen, aber offen und neugierig an die Sache herangehen – ganz nach dem Motto: „Ah das probieren wir mal, wenn es für uns nicht passt, dann können wir es wieder lassen.“ Zum Beispiel können das unterschiedliche Toys sein. Da muss ein Paar oft einiges ausprobieren, bis es das Richtige findet, nicht jedes Sexspielzeug passt zu jedem. Gerade in dem Bereich kommt ein Paar sehr rasch ins Reden, denn da geht es um den Körper: Was erregt mich wo? Es geht auch um Fantasien: Warum stelle ich mir vor, dass gerade dieses Toy mich anturnt?

Wie sollte man seinem Partner oder seiner Partnerin seine Wünsche und Ängste mitteilen? Wie schaffen es Partner, auch über mögliche Tabuthemen zu sprechen?

Zuschnig und Roidinger: Das ist ein grosses Thema und sozusagen einer der „crucial points“ beim Thema Paarsexualität. Uns ist wichtig, zu sagen: Es gibt immer Unterschiede im Begehren, in der Lust, in der Erregung. Wenn zwei Menschen zusammenkommen, dann gibt es sexuelle Differenzen. Das ist völlig normal. Lebendigkeit kommt dann in die Sexualität, wenn wir diese Unterschiede anerkennen. Dann fühlt sich jeder gesehen und wertgeschätzt.

Wie kann das funktionieren, dass man Unterschiede nicht abwertet? Indem man einmal die Sichtweise ändert: Ein „Nein, das gefällt mir nicht“ ist kein „Nein“ gegen mich, sondern die oder der andere sagt etwas über sich aus. Das Gegenüber weiss, was er oder sie will. Das ist doch wunderbar, wenn man Verantwortung für sich übernimmt. Eine Person beschäftigt sich mit sich und weiss, was sie will.

Ein reflektiertes Gegenüber ist eine gute Voraussetzung, sich als Paar weiterzuentwickeln. Und stellen Sie sich vor, wie langweilig es wäre, wenn alles gleich wäre. Das machen aber viele Paare: Sie nivellieren den Unterschied bis auf den kleinsten Nenner, dann bleibt fast nichts mehr übrig, dann wird es langweilig und frustrierend. Sexualität braucht aber Energie, die sucht man dann im Aussen. Warum sind Affären so prickelnd? Weil sie fremd, neu und nicht vorhersagbar sind, keine Routinen.

Wie viel Egoismus oder im Gegenzug auch Zurückstecken ist beim Sex gesund?

Zuschnig und Roidinger: Egoismus ist in unserer Gesellschaft ja negativ besetzt. Als Egoist wird jemand geschimpft, der keine Rücksicht auf andere nimmt und immer nur auf seinen Vorteil bedacht ist. Wir verwenden deswegen gerne das Wort Selbstverantwortung in dem Zusammenhang. Ich übernehme Verantwortung, dass es mir in meiner Sexualität gut geht. Ich weiss, was ich will und was mich geil macht und wie mein Körper reagiert. Wenn ich in diesem Zustand bin, kann ich auch geben und Rücksicht nehmen auf mein Gegenüber, dann bin ich eine Ressource, denn dann kann sich mein Partner darauf verlassen, dass ich auf mich selbst achte.

Dann kann ich meinen Partner oder meiner Partnerin etwas schenken. Sexualität wird zu einem Geben und Nehmen, ohne dass sich jemand zurückgesetzt fühlen muss. Zwei Menschen, die sich auf Augenhöhe begegnen.

Vorgespielte Höhepunkte bei der Frau sind keine Seltenheit. Was würden Sie Frauen raten, die Orgasmen vortäuschen?

Zuschnig und Roidinger: Das ist langfristig keine gute Idee. Wenn eine Frau nicht kommt, gibt es wirklich viele Möglichkeiten, das zu ändern. Der Mann, die Frau, beide zusammen verpassen da eine Chance. Unser Rat: Nicht vortäuschen, sondern ansprechen. Es ist sehr oft eine Frage der Technik. Wie man Sex miteinander hat, kann man verändern. Schweigen und Faken bringen hier nichts. Wenn der Sex nicht passt, flüchten viele Frauen in Lustlosigkeit, dann sagen sie: „Ich habe keine Lust“ – dabei haben sie nur keine Lust auf „diese eingespielte Art“ von Sex.

Inwiefern hat ein sexpositives Sexleben Einfluss auf das eigene Wohlbefinden?

Zuschnig und Roidinger: Wir meinen, sehr viel! Sexpositiv meint vor allem, auch bei sich selbst anzukommen. Sehr häufig entstehen Krisen, egal in welchen Bereich, wenn die Menschen das Gefühl haben, nicht authentisch leben zu können, etwas vorzuspielen, nicht gesehen zu werden, nicht beachtet zu werden.

Das hört man ja sehr oft: „Ich habe mich völlig fremd gefühlt. Das hat alles nichts mehr mit meinen Wünschen zu tun gehabt. Ich hatte das Gefühl, ich bin in einem falschen Leben.“ Egal ob in Beruf, Beziehung, Freundschaft – auch in der Sexualität: Wenn man hier nicht zu sich selbst findet, fehlt ein wichtiger Teil der Lebensenergie. Ganz, ganz wichtig: Sexualität verwenden wir nicht reduziert auf genitalen Sex. Wir meinen Hinwendung, Lachen, körperliche Berührungen, Nähe, Austausch, Verspieltheit. Sex beginnt weit vorm Bett…

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