Finger weg vom Alkohol: So funktioniert’s mit der Abstinenz

Quelle: Knesebeck Verlag

„Wieso trinkst du nichts?“ Mit dieser Frage wurde der ein oder andere, der die Finger vom Alkohol lässt, schon konfrontiert. So schafft man es, „Nein“ zum Alkohol zu sagen, auch wenn der gesellschaftliche Druck zum Trinken animiert.

Ein Gläschen Wein zum Abendessen, ein Bier nach Feierabend mit den Kollegen und natürlich einen Schluck Sekt, um bei einer Feier anzustossen. Doch oft bleibt es nicht dabei und weitere Getränke folgen. In ihrem Buch „Mindful Drinking – Mit Genuss zum gesunden Mass“ (Knesebeck) beschäftigen sich die Autorinnen Isabella Steiner und Katja Kauf unter anderem mit dieser Problematik. In Berlin-Kreuzberg betreiben sie den ersten alkoholfreien Späti Deutschlands, ausserdem verkaufen sie in ihrem Online-Shop „nüchtern.berlin“ alkoholfreie Varianten beliebter Getränke. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erklärt Isabella Steiner unter anderem, wie sich die deutsche Trinkkultur auf den Alkoholkonsum auswirkt und wie man es schafft, bewusster zu konsumieren.

Im Oktober verzichten einige im Rahmen des „Sober October“ (Deutsch: nüchterner Oktober) auf Alkohol. Ergibt es überhaupt Sinn, einen Monat die Finger vom Alkohol zu lassen?

Isabella Steiner: Jeder Tag, der ohne Alkohol verbracht wird, ist sicherlich eine gute Entscheidung. Deswegen meine ich, dass es grundsätzlich eine gute Sache ist, einen ganzen Monat Alkohol zu meiden. Man könnte auf solche Monate verzichten, wenn man sein eigenes Mass kennen und halten würde. Das ist das Ziel von „Mindful Drinking“: Zu wissen, wieviel, wann, mit wem und warum man trinkt.

Die meisten Menschen trinken im einer Art Autopilot, ohne gross darüber nachzudenken. Aus Routine oder weil es dazugehört, um abzuschalten oder aus Genuss, weil man nicht aufhören will oder kann. Wer seinen Alkoholkonsum im Griff hat, der braucht nicht radikal aufzuhören.

Was passiert in unserem Körper, wenn wir längere Zeit auf Alkohol verzichten? Machen sich Veränderungen bemerkbar?

Steiner: Definitiv. Man profitiert auf unterschiedlichen gesundheitlichen Ebenen, physisch und psychisch. Diesem Thema haben wir ein ganzes Kapitel im Buch gewidmet, weil man sich häufig nur mit den „lauten Symptomen“ eines Katers auseinandersetzt: Kopfschmerzen, Brechreiz, Verstimmung und Schwindel. Das Interessante beziehungsweise das Fatale ist jedoch, dass die wenigsten Menschen wissen, wie Organe, zum Beispiel das Gehirn, in Mitleidenschaft gezogen werden. Organe machen nicht sofort Probleme, sondern sie melden sich erst, wenn es meistens schon zu spät ist. Man merkt jedoch relativ schnell, dass der Schlaf, die Haut und auch die Stimmung besser werden, wenn man die Finger vom Alkohol lässt. Wer beispielsweise mit Übergewicht kämpft und täglich Bier trinkt, wird eine Veränderung auf der Waage feststellen. Häufig ist den Menschen nicht bewusst, wie viele Kalorien in alkoholischen Drinks, Cocktails und Bier stecken.

Ist die deutsche „Trinkkultur“ besonders? Inwiefern animiert sie zum Trinken?

Steiner: Die Deutschen trinken gerne und viel. Das ist kein Geheimnis. Party und Alkohol gehen oft Hand in Hand. Man könnte meinen, dass Trinken zur Norm geworden ist. Jeder, der mal versucht hat, einen Drink abzulehnen, weiss, wovon ich spreche. Egal, was es zu feiern gibt, meistens ist notwendigerweise die Flasche Champagner, Wein oder Bier dabei. Das fängt bereits beim Feierabend an – bei vielen schon am Montag.

Im Rahmen der „Mindful Drinking“-Bewegung setzen Sie sich für den bewussten Genuss von Alkohol ein. Sie sprechen von einem „gesunden Mass“ ohne Kater am nächsten Morgen. Wann ist der Konsum zu viel?

Steiner: Das ist sehr individuell. Häufig vergisst man, dass man selbst nicht der Spiegel der Gesellschaft ist. Nur weil mir dieser alkoholfreie Wein schmeckt, heisst es noch lange nicht, dass er allen schmeckt. Nur weil ich drei Gläser Wein trinke und danach noch gerade gehen kann, heisst es nicht, dass das auch für mein Gegenüber gilt. Menschen wünschen sich oft eine gewisse Vorgabe: Was ist richtig oder falsch, was gut oder böse. Am Ende ist es aber doch immer die Frage der Balance, und die ist bei jedem anders. Und genau das ist es, für das wir stehen: Wir möchten Leute nicht bekehren, wir wollen nicht dogmatisch sein und oder einen Aufruf starten, dass alle mit dem Trinken aufhören.

Wir wollen Bewusstsein schaffen für die eigenen Trinkgewohnheiten und wir wollen dazu animieren, die eigenen Trinkgewohnheiten auf den Prüfstand zu stellen. Wir möchten zeigen, dass es mittlerweile ziemlich gute, hoch- und gleichwertige Alternativen gibt – die teilweise wie das Original schmecken. Man sollte seine Alternativen kennen.

Wie viel Alkohol sollte es sein? Ein Gläschen Wein jeden Abend, eine Flasche Bier am Wochenende? Einmal pro Monat?

Steiner: Auf eine Empfehlung will ich mich nicht festnageln lassen. Ich weiss, wie viel ich persönlich trinken kann und wann Schluss ist. Da gilt ein anderes Mass als für meine Geschäftspartnerin, so dass ich keine Empfehlung geben möchte. Die WHO hat eine klare Stellung dazu, die oft belächelt wird. Ich finde sie mittlerweile nicht mehr ganz so unrealistisch und ich selbst pendle mich da auch ein.

Allerdings sprechen wir für ehemalige Alkoholiker und Alkoholikerinnen Empfehlungen aus. Hier raten wir, auf alkoholfreie Produkte zu verzichten, da durch das Öffnen der Flasche, das Eingiessen und durch den ähnlichen Geschmack Erinnerungen hervorrufen werden können – der Weg zur Flasche Wein „mit“ ist dann nicht mehr weit. Und wir empfehlen Frauen in der Schwangerschaft und Stillzeit auch Produkte, die ganz ohne Alkohol sind. Es gibt nämlich einen Unterschied zwischen „alkoholfrei“ und „ohne Alkohol“. Alle anderen Erwachsen müssen ihre Grenzen selbst kennen oder wieder erlernen.

Wie schafft man ein Bewusstsein für den eigenen Konsum?

Steiner: Heutzutage tracken die Menschen alles: Kalorien, Schlaf, Schritte und vieles mehr. Dann nimmt man einen weiteren Faktor hinzu: Alkoholkonsum. Man notiert einfach vier Wochen lang, wieviel man wann getrunken hat. Das ist ein erster richtiger Schritt, um zu verstehen, worüber man redet und nachdenkt. Wer den Gedanken „Ich trinke zu viel“ hat, sollte überprüfen, um welche Menge es denn konkret geht. Im zweiten Schritt sollte man sich die Eventualitäten anschauen: Zu welchen Anlässen wurden die Korken geknallt, die Flasche Wein getrunken? Allein beim Netflixen, in Gesellschaft im Club oder mit den Kollegen auf der Arbeit? Ein letzter Schritt wäre, sich zu überlegen, warum man getrunken hat. Gründe wären hier etwa: Weil es dazugehört, weil ich mir keine Kommentare anhören wollte oder weil ich es nicht ohne ausgehalten habe. Lustigerweise fällt in der Weihnachtszeit häufig der Satz „Ich halte es sonst nicht aus mit der Verwandtschaft!“. Das sagt doch schon alles.

Als ich das Buch geschrieben habe, hatte ich eine Erkenntnis, die dazu geführt hat, dass ich selbst nicht mehr zu viel trinken möchte: Wer trinkt, der macht seinen Körper freiwillig krank. Diesen Gedanken muss man einmal sacken lassen und danach ist es gar nicht mehr so schwer, nach dem ersten Cocktail oder einem Glas Wein aufzuhören und Nein zu sagen. Ich möchte nämlich gesund sein. Ich möchte keine Kopfschmerzen, Erbrechen oder Magenverstimmung. Verkatert zu sein, ist im Prinzip gleichzusetzen mit krank sein. Darüber spricht nur keiner wirklich gerne. Und dann klingt ein Saufabend auch nicht mehr so geil.

Wie schafft man es, sich selbst – etwa bei einer Party – auch mal auszuklinken und es nach einem alkoholischen Getränk gut sein zu lassen?

Steiner: Bei grossen Feiern wie Hochzeiten ist es einfach: Sich einschenken lassen, das Paar hochleben lassen ohne zu trinken und danach das Glas einfach irgendwann diskret abstellen und bye. In kleineren Gruppen oder etwa Arbeits-Team-Dynamiken ist es tatsächlich schwieriger, und vor allem auch anstrengend. Deswegen ist es so wichtig, dass wir endlich anfangen darüber zu reden. Alkohol ist an sich ein Tabu-Thema, keiner hat Lust, sich darüber Gedanken zu machen oder zu sprechen. Man wird direkt als Spassbremse, Langweiler, oder als uncool bezeichnet. Ein Date ohne Drinks ist hier in Berlin fast nicht möglich.

Was hilft, ist, dass man zur Party gleich eine alkoholfreie Alternative mitbringt. Das regt nicht nur die Stimmung an, sondern man kann auch gleich ein „Vergleichs-Tasting“ starten. Gerade in solchen Momenten merkt man dann auch schnell, wer für Alternativen eher offen ist oder eher auf Konfrontation geht. Wenn alle kategorisch alkoholfrei ablehnen, sollte man sich eh überlegen, ob dass das richtige Umfeld für einen selbst ist.
Ausserdem gibt es bereits Bars, vorwiegend in grossen Städten, die hoch- und gleichwertige Drinks auf der Karte haben, die ohne Promille auskommen. Im Zweifel: Auf die Einnahme von Medikamenten schieben, oder sagen, dass man Drogen und Alkohol nicht mischen will. Funktioniert in Berlin definitiv.

Wieso gilt es manchmal immer noch als „uncool“, keinen Alkohol zu konsumieren?

Steiner: Alkoholfrei wird meist mit Wasser, Virgin Coladas, Saftschorlen oder Softdrinks assoziiert. Alkoholfrei ist auch generell als infantil konnotiert. Erwachsene trinken Alkohol. Kinder trinken alkoholfrei. Man wird ja auch in seiner ganzen Jugend und Kindheit dahingehend erzogen, dass man mit 16 Jahren endlich sein erstes Bier oder seinen ersten Wein trinken darf. Bei fast jedem Fest ist Alkohol vollkommen selbstverständlich dabei, so dass man mit dem Verständnis aufwächst, dass Alkohol Teil des Alltags ist.

Wie sollte man auf Sprüche wie „Wieso trinkst du nichts“ reagieren?

Steiner: Frontal zurück Fragen: „Warum trinkst du?“ Und authentisch bleiben: Weil es nicht schmeckt, oder weil ich morgen eine wichtige Präsentation habe. Es gibt ziemlich viele gute Gründe, nicht zu trinken. Es gehört allerdings eine Menge Willenskraft, Geduld und Ausdauer dazu, um einen Abend zwischen betrunkenen Erwachsenen zu verbringen.

Das Gute ist aber vor allem, wenn man geht und es geschafft hat. Das ist ein ziemlich gutes Gefühl, man fühlt sich sehr stark. Dafür lohnt es sich. Witzig ist häufig die Reaktion der anderen Personen, die sagen: „Ach, ich könnte das ja gar nicht.“ Oder: „Ach, ich trinke eigentlich auch ganz selten.“ Häufig versuchen sich die Leute zu erklären und zu rechtfertigen und ich könnte mir vorstellen, dass sich viele insgeheim auch wünschten, einmal stark zu bleiben, wenn sie sich im Vorfeld vornehmen: Heute Abend trinke ich mal nicht.

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