Das ist der entscheidende Faktor für ein glückliches Leben

Stefanie Stahl ist Psychologin und Autorin des Bestsellers

Quelle: © Susanne Wysocki

Psychisch und physisch gesund bleiben, ein erfülltes und glückliches Leben führen: Gerade in Krisenzeiten fällt das nicht immer leicht. Psychologin und Bestsellerautorin Stefanie Stahl erklärt, was entscheidend ist.

„Tiefe und erfüllte Bindungen“ sorgen dafür, „dass wir psychisch und physisch gesund bleiben. Sie sind der entscheidende Faktor für ein glückliches und erfülltes Leben“, sagt Psychologin und Bestsellerautorin Stefanie Stahl im Interview mit spot on news. Auch in diesem Jahr steht sie mit ihrem Erfolgstitel „Das Kind in dir muss Heimat finden“ wieder ganz oben auf der „Spiegel“-Jahresbestsellerliste – zum sechsten Mal in Folge. Hier erklärt die Expertin, wie man Zuversicht in sein Leben bringt und warum viele gute Neujahrsvorsätze scheitern.

Liebe Frau Stahl, Ihr Mega-Seller „Das Kind in dir muss Heimat finden“ bleibt weiterhin bei den Leserinnen und Lesern sehr gefragt. Was macht Ihrer Meinung nach den grossen Erfolg aus?

Stefanie Stahl: In dem Buch habe ich mit dem Schattenkind eine klare Struktur entworfen, wie unsere Kindheitsprägungen unser Denken, Fühlen und Verhalten stark beeinflussen. In dieser Struktur kann sich jeder wiederfinden und seine individuellen Themen bearbeiten.

Mit dem Sonnenkind liefere ich eine Struktur, um die Probleme zu lösen. Da diese Themen auf jeden Menschen zutreffen, kann jeder Erwachsene und Jugendliche gut damit arbeiten. Im Ergebnis hilft das Buch den Menschen, ihr Selbstwertgefühl zu verbessern und ihre Probleme zu lösen. Deswegen wird es sehr oft weiterempfohlen und verschenkt.

In Ihrem Buch „Wer wir sind“ schreiben Sie, dass es Sie sehr freue, dass sich „die gesellschaftliche Haltung gegenüber psychologischen Themen zusehends ändert und öffnet“. Wie macht sich diese Veränderung bemerkbar?

Stahl: Viele Menschen haben inzwischen verstanden, dass psychologische Themen uns alle angehen, weil psychische Vorgänge Wahrnehmung, Emotionen, Denken und Handeln bestimmen. Wer das ignoriert, ist durch seine unbewussten psychischen Prozesse fremdbestimmt.

Vor allem junge Leute sind für Psychologie sehr aufgeschlossen. Ihnen ist bewusst, dass die Rettung unserer Welt davon abhängt, wie reflektiert Menschen handeln. Psychologische Podcasts sind ein Medium, für das sie besonders aufgeschlossen sind. Meine Kollegen und ich merken das besonders an der steigenden Hörerschaft der Podcasts, ausverkauften Shows und höheren Absätzen von psychologischen Büchern.

Aber nicht nur an der Quantität sehen wir die Veränderung, auch die Offenheit der Menschen ist grösser geworden. Die Scham, sich mit eigenen Themen in der Öffentlichkeit zu zeigen, ist gesunken. Da sind Promis oft Vorreiter, die diesen neuen Weg ebnen. Das sehen wir in den letzten Jahren häufiger.

Der Jahreswechsel steht an. Viele Menschen machen sich gute Vorsätze. An was liegt es, dass sie häufig damit scheitern?

Stahl: Vorsätze, die zum neuen Jahr getroffen werden, sind meistens rational, nach dem Motto: Ich muss abnehmen, weniger trinken, mehr Joggen usw. Häufig steht dahinter aber kein echter emotionaler Wille. Für tiefere Einsichten, aus denen neue Verhaltensweisen resultieren, benötigt man keinen Jahreswechsel. Ich glaube, die guten Vorsätze zu Neujahr erfüllen vor allem den Zweck, dass man vorher nochmal richtig die Sau rauslassen kann.

Was ist nötig, um sich wirklich umzuprogrammieren, um dauerhaften Erfolg mit den Veränderungen zu haben?

Stahl: Wichtig ist ein klarer Wille und der lässt sich leider nicht allein rational herbeiführen. Vor allem, wenn der Leidensdruck gering ist, bleibt es beim „Du solltest…“ stecken. Gute Vorsätze gelingen besser, wenn sie von Innen kommen, weil man eine tiefe Einsicht, ein Bedürfnis hat. Ich denke, man sollte sich fragen, was man selbst wirklich will und sich weniger danach ausrichten, was von aussen gepredigt wird. Wenn die guten Vorsätze nämlich wirklich die eigenen sind und nicht nur ein „Du solltest…“, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich sie in mein Leben integriere, sehr viel höher.

In „Wer wir sind“ raten Sie den Leserinnen und Lesern, sich in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen und sich klarzumachen, dass Milliarden weitere Menschen mit oft wesentlich härteren Schicksalen existieren als dem eigenen. Kann das auch eine gute Strategie sein, um aus dem Krisenmodus zu finden, in dem sich viele Menschen nach der Corona- und mit der Energie- und Teuerkrise gefangen fühlen?

Stahl: Das ist ein kleines Plädoyer am Ende des Buches. Im Wesentlichen geht es ja darum, wie unsere Psyche funktioniert. Durch den Dienst an der Gemeinschaft kann man sein Selbstwertgefühl auf gesunde Weise stabilisieren und über die eigene Ich-Angst hinauswachsen. Höhere Werte und das Erleben von Sinnhaftigkeit verleihen Stärke.

Wenn wir von dem „Ich-Fokus“ auf den „Wir-Fokus“ schwenken, wird ein ganz wichtiges psychologisches Grundbedürfnis des Menschen erfüllt: das Bedürfnis nach Bindung. Tiefe und erfüllte Bindungen sorgen wiederum dafür, dass wir psychisch und physisch gesund bleiben. Sie sind der entscheidende Faktor für ein glückliches und erfülltes Leben. Das wonach die meisten Menschen streben.

Diese aktuellen Krisen kommen von aussen, ohne dass man als einzelner gegensteuern könnte: Wie kann ich generell das Gefühl von Hilflosigkeit überwinden?

Stahl: Indem man sich auf jene Dinge konzentriert, die innerhalb der eigenen Kontrolle liegen, sich also auf das Hier und Jetzt seines täglichen Lebens fokussiert. Dann kann man noch überlegen, was man persönlich dazu beisteuern kann, um die Welt ein bisschen besser zu machen. Geldspenden, Kleiderspenden, Ehrenämter und und und, es gibt viele Möglichkeiten etwas Konstruktives beizutragen. Dabei muss Hilfe nicht immer in der Ferne sein. Wenn man innerhalb des eigenen Dorfes, des eigenen Kiezes etwas tun kann, hilft das den Menschen um einen herum und die Helfer und Helferinnen bekommen direktes Feedback.

Wie bringt man Zuversicht zurück in sein Leben und das seiner Mitmenschen?

Stahl: Auch hier kann wieder Gemeinschaft durch Bindung ein Weg sein. Wir als Menschen streben danach, gesehen zu werden. Wenn man anderen Menschen in ihren Sorgen und Nöten ein offenes Ohr schenken kann, ist schon ganz viel getan. Es gibt Orte, wo genau das vermehrt geschieht: in Vereinen oder in der Kirche.

Aber es fängt natürlich schon früher an, bei den Begegnungen, die ich in meinem alltäglichen Leben habe. Manchmal ist es das Gespräch in der Schlange vor der Kasse, manchmal mit dem Nachbarn und manchmal sind es die fünf Minuten, die man sich länger Zeit nimmt, wenn die Freundin anruft. Einfach mal nachfragen und offene Gespräche führen. Ein mitfühlendes Nicken, ein in die Augen schauen und ein aufrichtiges Zuhören. Die Qualität kann in jeder Begegnung liegen.

Jungen Menschen hat die Corona-Krise häufig wichtige Entwicklungsjahre geraubt, nun kommen Ukraine-Krieg, steigende Lebenshaltungskosten dazu, die Folgen des Klimawandels sind stets präsent. Welche Auswirkungen hat das auf diese Generation und wie beeinflusst das die ganze Gesellschaft?

Stahl: Von der neuen Generation wird eine hohe Anpassungsleistung abverlangt. Die Zeiten ändern sich gefühlt im Minutentakt und hier ist Flexibilität gefragt. Welche Auswirkungen das auf die gesamte Gesellschaft hat, wird sich in der Zukunft in psychologischen Untersuchungen feststellen lassen.

Umso wichtiger in diesen Zeiten ist, dass Menschen Stabilität in sich finden und dabei kann Psychoedukation sehr hilfreich sein. Es gibt mittlerweile ein breites Angebot an Podcasts, Youtube-Formaten oder Büchern. Auch psychologische Unterstützung kann sehr hilfreich und befreiend wirken und muss nicht immer erst erfolgen, wenn es innerlich brennt. Wenn hier ein Gefühl der inneren Kontrolle erwachsen kann, kann besser auf den äusseren Wandel reagiert werden.

Wie gehen ältere Generationen am besten damit um? Wie können wir den jungen Menschen Mut machen und sie unterstützen?

Stahl: Auch hier ist die Gemeinschaft gefragt und es liegt am Individuum, diese herzustellen. Wo kann Begegnung und Austausch zwischen den Generationen stattfinden? Als junger Mensch bedeutet das, mal im näheren Umfeld zu schauen, wo es Menschen gibt, die sich vielleicht Kontakt wünschen, aber sich nicht trauen oder nicht in der Lage sind diesen herzustellen: die eigenen Grosseltern, die Nachbarin oder die Bewohner und Bewohnerinnen des Seniorenheims um die Ecke.

Bei der älteren Generation ist natürlich auch ein bisschen geistige und emotionale Flexibilität gefragt. Wo finde ich Anschluss oder wo habe ich den Kontakt einschlafen lassen? Sobald dieser hergestellt ist, tritt ein grösseres Gefühl der Sicherheit auf. Viele Menschen haben nicht Angst vor dem Tod, aber Angst davor, alleine zu sterben.

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