Mirihi Island: Rendezvous mit Mantas

Mirihi Island im südlichen Ari-Atoll war eine der ersten Taucherinseln der Malediven und gehört immer noch zu den schönsten. Wer hier tauchen lernt, hat das grosse Los gezogen.

In kurze Neoprenanzüge gezwängt und mit schwerer Tauchausrüstung bepackt waten die beiden Tauchschüler vom Strand in das türkisfarbene, kristallklare Meer. Ein Baby-Weissspitzen-Riffhai schwimmt an ihnen vorbei. Mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Vorfreude sehen die Tauchanfänger Stephan und Sandra dem anstehenden Ereignis entgegen. Es ist das erste Mal, dass sie die üblichen Schnorcheltiefen verlassen und sich an den Grund des Indischen Ozeans hinabtrauen. Das leicht zugängliche Hausriff der kleinen Malediveninsel Mirihi eignet sich dazu besonders gut.

Als Tauchlehrer Philipp das Startkommando gibt, wird die Luft aus den Jackets gelassen und gemeinsam geht es Meter für Meter in die dunkelblaue Tiefe. Zum ersten Mal in ihrem Leben sehen die beiden ein mit Weichkorallen bewachsenes Riff, welches Meeresbewohnern in jeder erdenklichen Farbe und Form Unterschlupf bietet. Bunte Papageienfische, die an Korallen knabbern, grimmig dreinschauende Drückerfische, Oktopusse und Riesenmuränen, die in den Riffspalten schlafen. Grazile Hornhechte und Barrakudas jagen unbeeindruckt an dem farbenfrohen Schauspiel vorbei, während die Hausriff-Schildkröte gemütlich am Meeresgrund schlummert.

Das südliche Ari-Atoll gehört zu den beliebtesten und besten Tauchregionen der Malediven. Über 1.500 Arten tummeln sich in den Tiefen des Ozeans.

Bleich, bleicher, Korallenriffe

Doch selbst in einem Paradies wie den Malediven ist nicht alles Gold, was glänzt. Egal ob natürlich bedingt oder anthropogen, die stetige Erwärmung der Ozeane und klimatische Anomalien wie El Nino setzen auch den Riffen im Indischen Ozean stark zu: Korallenriffe sterben grossflächig ab und verändern die Unterwasserwelt vor den Küsten der Inselrepublik.

„Riffe werden durch Steinkorallen aufgebaut, die nur überleben, solange sie von Algen mit Zucker versorgt werden“, erklärt Mirihi-Stammgast Matthias in gemütlicher Taucher-Runde. Die Algen seien über das ganze Kalkskelett der Korallen verteilt und lassen die Riffe in ihren leuchtenden Farben erstrahlen. Wird es in den Ozeanen zu warm, stossen die Korallen die symbiontischen Algen aus ihrem Korallengewebe ab und bleichen aus.

Neben der Umweltbelastung haben die veränderten Meeresströmungen aber auch Gutes bewirkt: Sie brachten planktonreicheres Wasser ins Atoll und damit vermehrt Planktonfresser wie Mantas und Walhaie. Um die südlichen Aussenriffe des Ari-Atolls herum soll es rund 200 Walhaie geben. „Früher war im April Ende der Manta- und Walhai-Saison. Jetzt sichten wir sie fast ganzjährig“, berichtet Divemaster Hassan, „vor allem am Walhai-Spot Maamigili Beru“.

Natürlich gehört dazu eine Portion Glück, denn über Sozialverhalten, Lebensgewohnheiten oder Migrationsrouten der grössten Fische der Welt weiss man bis heute so gut wie nichts. Selbst der Meeresforscher und Tiefseetaucher Jacques-Yves Cousteau brauchte angeblich 20 Jahre, um gerade einmal zwei Exemplare dieser unerforschten Giganten zu Gesicht zu bekommen.

Der Tanz der Mantas

Da Mantas dem Plankton folgen, sind ihre Aufenthaltsorte leichter zu bestimmten, als die aller anderen Meeresbewohner. Auch sind sie immer wieder an sogenannten Putzerstationen in den Riffen anzutreffen, um sich durch Putzerlippfische von Parasiten und abgestorbener Haut befreien zu lassen. Am berühmt-berüchtigten Hukurudhoo Faru, einem der besten Manta-Spots ganz unten im Südwesten des Ari-Atolls, stehen die Chancen immer gut.

Für Sandra und Stephan bedeutet es, dass sie schon bei ihrem dritten Tauchgang der grössten Rochenart der Welt begegnen könnten. „Einmal bin ich dort mit circa 30 Mantas im Fressrausch getaucht“, erzählt Divemaster Philipp während der Fahrt zum Tauchspot. „Wenn sie fressen, fangen sie an, Saltos und Purzelbäume zu schlagen. Es wirkt dann so, als würden sie durchs Wasser tanzen.“ Dieses einzigartige Erlebnis lasse sich so schnell nicht toppen. „Ich war mittendrin und wusste gar nicht, wohin ich zuerst schauen soll.“

Am Manta-Point angekommen, springen die erfahrenen Taucher voller Vorfreude schnell ins Wasser. Einige von ihnen sind mit professionellen Unterwasserkameras ausgestattet, um die potenzielle Manta-Begegnung für die Ewigkeit festzuhalten. „Planktonreiches Wasser heisst aber auch, dass die Sicht nicht die beste sein könnte“, warnt Tauchlehrerin Eva. Neben ihr sind Philipps Schützlinge immer noch mit ihrer Ausrüstung beschäftigt: Sauerstoffflasche, Schläuche und Mundstücke checken, Gewichte anlegen, in die Brille spucken, Flossen anziehen.

Die Silhouette des Teufelsrochens

Unter Wasser bestätigt sich Evas Vermutung: Die Sicht ist getrübt, die Strömung recht stark. Sandra und Stephan versuchen, ihre Position durch den Luftausgleich im Jacket zu halten und möglichst ruhig zu bleiben, um wenig Auftrieb zu haben. Manchmal muss Philipp sie festhalten, damit sie nicht davontreiben.

Plötzlich klopft einer der Tauchguides mit einem Metallhaken an seinen Tank: das Signal! Im fernen Blau zeichnet sich eine dunkle Silhouette ab. Alle Augenpaare sind auf das heranschwimmende Geschöpf gerichtet. Mit ruhigen, fast zeitlupenartigen Flügelschlägen nähert sich der Riesenrochen. Ein zweiter, etwas kleinerer folgt ihm unauffällig. Dicht begleitet von zwei Schiffshalterfischen gleiten sie wie Fledermäuse lautlos durchs Meer.

Die imposante Erscheinung der Teufelsrochen hat bereits im 18. und 19. Jahrhundert immer wieder die menschliche Fantasie beflügelt. Damals erzählten sich Seeleute haarsträubende Geschichten von Seeungeheuern, die ganze Schiffe mitsamt ihrer Mannschaft auf den Meeresgrund gerissen haben sollen. Die Bezeichnung Teufelsrochen stammt aber lediglich von den Kopfflossen – „Teufelshörner“ genannt -, die sich seitlich am Kopf der Tiere befinden und dazu dienen, nährstoffreiches Wasser in Richtung des Mauls zu leiten. Mehr als ein „teuflisches“ Aussehen steckt also nicht hinter den harmlosen Giganten.

Kurz bevor die beiden Riesenmantas wieder im tiefen Blau verschwinden, drehen sie um und kreisen nun direkt über den Tauchern, um sich von den aufsteigenden Luftblasen ihre weissen Bäuche kitzeln zu lassen. Elegant segeln sie in Achterschleifen über ihren Köpfen hinweg. Kein Flügelschlag bleibt unbeobachtet, keine Wendung unfotografiert.

Beim Blick durch die Taucherbrille erscheinen die Tiere noch viel imposanter und näher, als sie es in Wirklichkeit sind. Man glaubt sogar, ihnen so nah zu sein, dass man sie berühren könnte. Doch bevor das geschieht, segeln sie geheimnisvoll zurück in die Dunkelheit – spurlos, als wären sie nie da gewesen.

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