Claire: «Auf die Fresse fliegen und wieder aufstehen»

Claire, eine der aufregendsten deutschen Synthie-Pop-Bands, melden sich mit ihrem zweitem Album „Tides“ zurück. Welche Hürden sie dafür überwinden mussten, erklären Sängerin Josie-Claire Bürkle und Keyboarder Matthias Hauck im Interview.

Mit ihrem Debüt „The Great Escape“ hat sich die Synthie-Pop-Band Claire als eine der aufregendsten Newcomerformationen in der deutschen Musiklandschaft etabliert. Jetzt legen die Münchner ihr mit Spannung erwartetes zweites Album „Tides“ nach. Doch der Weg dorthin war nicht gerade einfach. So wurde der Band in England der Tour-Van mit ihrem kompletten Equipment gestohlen. Warum diese Erfahrung schmerzhaft, gleichzeitig aber auch ein Neuanfang war und warum sich die Band erstmals dazu entschieden hat, einen externen Produzenten mit ins Boot zu holen, verraten Sängerin Josie-Claire Bürkle und Keyboarder Matthias Hauck im Interview.

Was hat es mit dem nautischen Titel auf sich?

Josie-Claire Bürkle: Wir haben viele Metaphern auf dem Album, die etwas mit Wasser zu tun haben. Zudem passt der Titel zu der Geschichte, die wir auf „Tides“ erzählen. Es geht um einen Beziehungszyklus. Über dieses Zyklus-Bild sind wir dann schnell auf Ebbe und Flut gekommen.

Matthias Hauck: Ich denke, es hat sich auch unterbewusst auf unserer England-Tour entwickelt. Denn dort haben wir sehr viel Zeit auf Fähren verbracht und viele existenzielle Band-Momente erlebt.

Wie war es, in England zu touren?

Bürkle: England ist immer gut, wenn einem nichts gestohlen wird. Uns wurde dort der Tour-Van mit unserem gesamten Equipment geklaut. Das war ein harter Rückschlag. Vieles von dem Geld, das wir verdient haben, haben wir in neue Instrumente investiert – die sowohl live, als auch im Studio zum Einsatz kamen. Das hat den ganzen Prozess des Musikmachens und des Tourens sehr erschwert. Aber wir haben versucht, etwas Positives daraus zu machen. Haben einen Film dazu gedreht und eine EP geschrieben, die quasi die Filmmusik dazu ist. Dennoch hat es Wunden hinterlassen, weil es uns zu der Zeit den Wind aus den Segeln genommen hat.

Konnten Sie etwas von dem Equipment wieder bekommen?

Bürkle: Tatsächlich ja. Einige Monate später haben wir einen anonymen Hinweis bekommen, dass unsere Instrumente in Litauen sein. Nachdem wir die dortige Polizei eingeschaltet haben, wurde dort ein Club hochgenommen, indem der Grossteil unserer Instrumente gefunden wurde. Das war dann auch die Grundlage für die EP und den Film. Man fragt sich ja schon, was die Beweggründe des Tipp-Gebers waren.

Hauck: Wir sind dann selbst nach Litauen gefahren und haben unser Equipment eingesammelt. Ohne dort zu übernachten. Wir wollten einfach wieder weg.

Bürkle: Seit dem sind wir leicht paranoid und lassen nichts mehr im Bus. Wir tragen meisten nachts alles in das Hotelzimmer, was sicher ein verrückter Anblick ist.

Nachdem das ganze digitale Equipment weg war, sind Sie auf analog umgestiegen, richtig?

Hauck: Das war nicht der einzige Grund, aber das kann man so sagen. Wir sammeln seit einiger Zeit schon alte Synthesizer und Drum-Computer. Also lag es irgendwann nahe. Insgesamt ist es gut für uns, weil wir uns mehr beschränken müssen, wenn man nicht mehr 3 Millionen Sounds mit einem Klick abspeichern kann. Das war, nachdem wir mit der EP das Thema Equipment-Verlust abgeschlossen hatten, wie ein kleiner Neuanfang für uns.

Sie haben auf „Tides“ erstmals mit einem externen Produzenten gearbeitet – Dave McCracken, der unter anderem auch schon mit Depeche Mode und Florence & The Machine gearbeitet hat. Bis dahin haben Sie alles selbst produziert. Wie schwer war es, die Kontrolle abzugeben?

Hauck: Wir haben die Kontrolle ja nur zu einem gewissen Teil abgegeben. Auf dieses Experiment, jemanden von „aussen“ in den Produktionsprozess miteinzubeziehen, haben wir uns ein wenig aus Selbstschutz eingelassen. Wir sind dickköpfige Charaktere und es kann im Studio auch mal richtig krachen. Oft streiten wir aber über Kleinigkeiten, die den Song im Endeffekt nicht besser machen. Eine äussere Instanz hilft dabei, alles etwas zu entspannen.

Bürkle: Mit Dave hat es aber auch einfach gepasst. Wir haben zusammen an Texten geschrieben und da ist das Zwischenmenschliche noch wichtiger. Ich glaube, dass wir uns beim ersten Album selbst noch viel zu unsicher waren und uns nicht getraut haben, jemand von aussen mit ins Boot zu holen. Ausserdem hatten wir vielleicht ein wenig Angst, dass unsere Vision, von dem, wie wir klingen wollen, verfälscht worden wäre.

Hauck: Zudem hat er eine neue Euphorie für die eigenen Songs in uns entfacht. Wir feiern wieder unsere eigenen Sachen richtig ab. Vorher waren wir da deutlich distanzierter. Es war auch schön zu erfahren, dass wir diese Euphorie noch in uns haben.

Würden Sie sagen, Sie haben Ihren Sound jetzt gefunden?

Bürkle: Bei „The Great Escape“ waren wir sehr euphorisiert, dass wir ein Album produzieren konnten. Jetzt sind fünf Jahre ins Land gezogen und es hat sich sehr viel getan. Als wir das erste Album geschrieben haben, war ich 19, jetzt bin ich 25 Jahre alt. Man wird nachdenklicher, vielleicht auch ein wenig vorsichtiger. Man ist bedachter und beschäftigt sich mit anderen Themen. Ich glaube, das hört man „Tides“ an. Man könnte fast sagen es klingt reifer – auch wenn das sehr kitschig klingt, trifft es das in gewisser Weise. Man wird älter, man wird selbstbewusster und traut sich mehr.

Josie, Sie waren in jungen Jahren bei „The Voice of Germany“ dabei. Was haben Sie dort über das Business gelernt?

Bürkle: Auf die Fresse fliegen und wieder aufstehen. Allerdings ging alles sehr schnell, sodass ich nicht wirklich festmachen könnte, was ich für mich aus der Zeit mitgenommen habe. Ich war neugierig aufs Feedback. Weil Eltern und Freunde sind einfach nie ganz ehrlich. Das war mein eigentlicher Beweggrund dort teilzunehmen – auch wenn ich wusste, dass ich dort sonst nichts verloren habe. Aber es war eine spannende Erfahrung.

Das Einzige was mich ab und zu etwas nervt ist, dass manche Leute das in den falschen Hals bekommen und denken, die Jungs haben mich dort gesehen und sich gedacht: „die kleine Trulla schnappen wir uns und machen fette Beats“. Aber als wir uns kennengelernt haben, war die Folge noch gar nicht ausgestrahlt und ich habe es den Jungs auch gar nicht erzählt. Erst später. Am Anfang habe ich es gehasst, wenn diese Frage kam. Mittlerweile kann ich viel offener darüber reden. Mir tuen teilweise nur die anderen Leid, die mitgemacht haben. Weil alles super Musiker waren und diesen Castingshow-Stempel bekommen haben.

Denn man auch nicht mehr so leicht los wird. Warum machen so viele Musiker bei Castingshows mit, obwohl sie das wissen?

Bürkle: Sehr schwer zumindest. Die meisten machen wohl mit, um Feedback zu bekommen, die Erfahrung zu machen und weil viele oft nicht die Chance bekommen, mit guten Musikern und Produzenten Musik zu machen. Als Sänger wirklich gute Leute kennenzulernen, ist gar nicht so einfach. Leute, mit den es klickt, mit denen man sich versteht und die Musik machen können, die man möchte.

Hauck: Das ist wirklich schwer zu beantworten. Ich glaube, das ist eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung. Viele nutzen die Chance, um einen Fuss in die Tür zu bekommen – was auch völlig okay ist.

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