Interview mit Gustav: «Die Kirche ist ein zwiespältiger Ort»

Gustav

Quelle: Sebastian Magnani

Für sein aktuelles Album „neuf – neun – nün“ hat sich Gustav von Orten, Plätzen und Räumen inspirieren lassen, die für ihn von besonderer Bedeutung sind. Er hat ihre Klänge aufgenommen und seine Gedanken und Gefühle niedergeschrieben. Wir trafen den Freiburger, der sich vor allem durch seine wilden Liveshows schweizweit einen Namen gemacht hat, zum Interview.

Auf der Suche nach neuen Ideen und inspirierenden Orten, hat Gustav kurz nach den Terroranschlägen in Paris die Kathedrale St. Nikolaus in Freiburg betreten. Der daraus entstandene Song „La prière“ ist eine kritische Auseinandersetzung mit Gott und wurde später wegweisend für das gesamte Album. Alle Songs weisen eine musikalische und textliche Tiefe auf und reflektieren Teile seines Lebens. Sei es in der Stille der Nacht auf dem Galgenhügel hinter seiner Wohnung, in der Enge des Kellers seiner verstorbenen Grosseltern, im elektrisierenden Freudentaumel des Sportstadions oder in der aufkeimenden Angst beim Rennen durch den Moncor-Wald: Durch die Auseinandersetzung mit seiner persönlichen Umgebung sind so zehn Songs entstanden, wobei in jedem das Leben in seiner Vielfalt und seiner Herausforderung zu spüren ist. Als Referenz an seine Zweisprachigkeit und an die multikulturelle Schweiz, singt Gustav auf Französisch, Hochdeutsch und in Schweizer Mundart. Alle Songs wurden von Clint Murphy in den britischen Modern World Studios in Tetbury/Bristol gemischt und im New Yorker Sterling Sound Studio von Ryan Smith gemastert.

Dein Album „neuf – neun – nün“ ist wirklich sehr gelungen – gefällt uns gut. Erzähl uns doch ein bisschen mehr über den doch eher aussergewöhnlichen Entstehungsprozess.
Danke, das freut mich, dass es euch gefällt. Um Ideen für die Songs zu sammeln, habe ich mich an Orte begeben, die für mich wichtig oder spannend sind. Dort verweilte ich jeweils 30 Minuten und liess mich von den Klängen inspirieren, ohne dabei auf dem Handy „herumzufingern“ oder mich sonst irgendwie ablenken zu lassen. Ich war im Stadion, im Wald, am Fluss, im Keller, auf einem Galgenhügel, mitten in der Stadt, in einer Kirche, in meiner Wohnung und sogar in mir drin.

Der offizielle SRF-Song „Tous Ensemble“ zur UEFA EURO 2016 stammte ebenfalls von dir. Wie kam es dazu?
Noch vor der Anfrage von SRF war ich während meiner Inspirationstour in einem Stadion. Es war ein unglaublicher Ort, der über die Kultur- und Sprachgrenze hinweg Menschen euphorisiert und zusammen bringt. Dieses elektrisierende Gefühl wollte ich auf einem Song verpacken und habe eine erste Idee aufgenommen ohne Text. Dann kam überraschend SRF auf mich zu und fragte, ob ich ihnen eine Songidee für die Europameisterschaft hätte. Ein schöner Zufall also. Und so habe ich, auf Basis meiner ersten Idee, den EM-Song geschrieben.

Und wie interpretierst du dein neues Album?
Die ersten Orte, die ich unfreiwillig besucht habe, waren der Keller meines Grossvaters, den wir nach seinem Tod ausräumen mussten, und die Kirche. Diese beiden Orte haben mich total berührt und es entstanden zwei sehr emotionale Songs. Das Stück „Dans la cave de mon grand-père“ ist eine Danksagung an alle Grossväter und Grossmütter, die vor dem zweiten Weltkrieg ihre Jugend in Armut verbracht haben. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass wir heute so im Wohlstand leben dürfen. Die Kirche wiederum ist ein sehr zwiespältiger Ort. Das Innere übt eine unglaubliche Kraft aus und man wird automatisch still, ruhig und reflektierend, ohne dass man gläubig oder religiös ist. Auf der anderen Seite haben Religionen so viel Blut an ihren Händen kleben, dass es für mich an der Zeit war, diese Zweifel und diese vielen Fragen mit einem Song zu verbinden. Diese beiden Themen haben am Schluss mehrheitlich den Inhalt des Albums vorgegeben. Ich wollte bewusst keine „Happy-Songs“ ohne Aussage produzieren und habe bei allen Songs die musikalische und textliche Tiefe gesucht. Am Schluss ist es ein sehr persönliches Album geworden, denn die Songs widerspiegeln sehr stark meine heutige Haltung, Gedanken und Sichtweise.

In welche „Genre-Schublade“ würdest du dein Werk ablegen?
Diese Frage stellen mir die Journalisten bei neuen Alben immer wieder (lacht). Am Anfang war es schwierig, den Leuten begreiflich zu machen, dass ich aus allen Schubladen das Genre herauspicke, das mir gerade gefällt. Bei diesem Album habe ich aber in meine ganz eigene „Genre-Schublade“ gegriffen, die ich mir über die Jahre hinweg selber zimmerte. Ich mache Pop-Songs auf Französisch, Deutsch und Schweizer Mundart. Manchmal folkiger, manchmal rockiger.

Wie lange dauerte die Entstehung des Albums?
Die ersten Orte habe ich schon vor Jahren besucht und die Emotionen in mir drin gespeichert. Grundsätzlich sammle ich die Ideen stets über mehrere Jahre hinweg und am Schluss bleiben die besten hängen. Danach sperre ich mich dann jeweils für ungefähr drei Monate in ein Studio ein, schreibe die Songs zu Ende, nehme meist alles selber auf, hole mir für einzelne Parts einige Musiker zu Hilfe, schreibe Texte, lasse Fotos machen, bastle das Artwork, fliege nach England für den Mix und bei Terminabgabe liefere ich völlig ausgepowert das fixfertige Album bei der Plattenfirma ab. So ungefähr ist es bei den letzten neun Alben jeweils abgelaufen.

Was bevorzugst du privat für Musik?
Ich bin ehrlich gesagt ein unglaublich miserabler Musikhörer. Ich beschäftige mich derart viel mit meiner eigenen Musik, dass ich in meiner Freizeit am liebsten die Stille bevorzuge. Wenn ich aber Musik höre, dann sind das je nach Stimmung von Folksongs à la Bon Iver bis Voll-in-die-Fresse-Rock à la Danko Jones. Ich habe da eigentlich keine fixen Präferenzen. Es gibt ja so viel Musik zu entdecken. Oft lasse ich mich auch über das Spotify-Radio von Bands berieseln, die ich gar nicht kenne und von denen ich mir auch nie den Namen merken kann.

Hast du bereits eine Tour geplant?
Wir haben im Sommer ein paar der neuen Songs auf ungefähr zehn kleinen Festivals und Openairs getestet und gehen dann ab Oktober auf grosse Schweizer Tour. Alle Daten werden fortlaufend auf meiner Webseite unter gustav.ch publiziert.

Was bedeutet die Musik für dich persönlich?
Es ist mein Hobby, mein Beruf und meine ganz grosse Leidenschaft zugleich. Ich kann mir ein Leben ohne Musik nicht vorstellen.

Mit welchem Künstler würdest du gerne ein Projekt machen?
Mit allen, die auch mit mir zusammenarbeiten möchten.

Gustav
Welche Frage wird dir in Interviews am meisten gestellt?

Warum ich mich „Gustav“ nenne. Ich sage dann immer: Siehe Wikipedia unter Gustav/Musiker (lacht).

Und welche Frage wurde noch nie gestellt, die du aber gerne beantworten würdest?
Wie machst du es, dass du immer so toll aussiehst (lacht)?

Wie gestaltest du deine Freizeit?
Ich verbringe viel Zeit mit meinen kleinen Kids oder gehe auch ab und zu – mehr schlecht als recht – zum Tennisspielen. Obwohl dabei das Tennisspielen eher Nebensache ist, das Bier danach ist viel wichtiger.

Welche der beiden Künstlerinnen bevorzugst du: Lady Gaga oder Madonna?
Wohl eher Madonna, aber man müsste mich bei beiden zwingen.

U2 oder Goldplay?
U2

Jay Z oder Kanye West?
Hmmmmmm, lass mich überlegen. Wohl eher Jay Z, aber noch lieber die Beastie Boys.

AC/DC oder Metallica?
Früher war ich ein grosser Metallica-Fan. Aber das Verhalten der Band hat sich in meinen Augen über die letzten Jahre hinweg sehr negativ verändert. Deshalb entscheide ich mich jetzt klar für AC/DC.

Was würdest du jungen Musikern für einen Rat geben?
Macht geilen Sound und lasst euch nichts sagen. Freut euch auf einen Gig und nicht vergessen: immer schön am Ball bleiben. Es ist wichtig, dass man weiss, dass sich Erfolg nicht erzwingen lässt. Wenn jemand gut ist, wird der Erfolg automatisch kommen – irgendwann.

Wie findest du, hat sich die Musikindustrie in den letzten Jahren verändert?
Heute ist alles dauernd in Bewegung. Stillstand gibt es nicht mehr und man kann auch die Technologien nicht mehr aufhalten. Ich war wohl der erste Spotify-Abonnent in der Schweiz. Für einen Musikkonsumenten ist dieser Dienst der absolute Wahnsinn. Für die Künstler leider eher weniger, obwohl es aus marktwirtschaftlicher Sicht doch schon Sinn macht. Für den Musiker sind heute Songs und Alben vor allem wichtig, damit man Konzerte geben kann. Es ist wie eine Visitenkarte, um zu zeigen, wie man klingt und wie man aussieht. Das Wichtigste ist einfach, dass man sich immer wieder auf Neues einlässt und nicht daran verzweifelt.

Welches Konzert hast du als letztes besucht?
An meinen Konzerten sehe ich lustigerweise immer sehr viele andere Künstler. Bewusst selber ein Konzert besucht, habe ich das letzte Mal an der Bad Bonn Kilbi in Düdingen. Ich glaube, das war Ty Segall & The Muggers. Die Band kannte ich zwar bis dahin noch nicht, aber es war grossartig.

Und wie siehts aus beim Kino?
Ich bin eher ein Serienjunkie. Das letzte Mal im Kino war ich an der Vorpremiere von Star Wars. Neben mir sass Chewbacca mit einer Tüte Popcorn (lacht).

Die letzten Worte für deine TREND MAGAZIN Leser?
Freunde, schnauft mindestens einmal pro Tag durch und lasst euch nicht zu sehr durch den Alltag peitschen.

Konzerte
Freitag, 07. Oktober:
Restaurant Senslerhof, St. Antoni
Samstag, 22. Oktober: Mühle Hunziken, Rubigen
Freitag, 11. November: Schüür, Luzern
Freitag, 02. Dezember: Gare De Lion, Wil
Samstag, 10. Dezember: Mokka, Thun
Mittwoch, 28. Dezember: La Cappella, Bern
Freitag, 13. Januar: Kofmehl, Solothurn
Freitag, 20. Januar: Bierhübeli, Bern
Samstag, 28. Januar: Marabu, Gelterkinden
Samstag, 04. Februar: Kupferschmiede, Langnau

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