Lars Eidinger: «Ich möchte auf keinen Fall verbrannt werden!»

Zum Kinostart seines neuen Films „All my Loving“ spricht Lars Eidinger im Interview über den Tod – und was er über ein erfülltes Leben von Modeikone Karl Lagerfeld gelernt hat.

Stefan (Lars Eidinger) ist Pilot, hat eine grosse Wohnung, ein schnelles Auto und viele Geliebte. Als er sein Gehör verliert und nicht mehr arbeiten kann, klammert er sich an sein altes Leben: Also zieht sich Stefan die Pilotenuniform an und reisst in Hotelbars Frauen auf. Auch bei seinen beiden Geschwistern Julia (Nele Mueller-Stöfen) und Tobias (Hans Löw) stehen gerade grosse Lebensveränderungen an. Der neue Film „All my Loving“ von Regisseur Edward Berger beinhaltet die Höhen und Tiefen des Lebens und stellt grosse Fragen.

Warum sich Lars Eidinger (43, „Babylon Berlin“) entschieden hat, in dem Drama mitzuwirken und wann er sich zum ersten Mal mit dem Tod auseinandergesetzt hat, hat der Schauspieler im Interview.

Was hat Sie am Filmprojekt „All my Loving“ gereizt?

Lars Eidinger: Zuerst der Regisseur Edward Berger, von dem ich seinen Film „Jack“ gesehen habe. Und als ich das Drehbuch gelesen habe, waren es die einzelnen Situationen, in denen sich die Figur Stefan befindet, die ich reizvoll fand. Er steckt offensichtlich in einer Lebenskrise und beschäftigt sich mit Themen, mit denen ich mich auch auseinandersetze.

Wie würden Sie damit umgehen, wenn Ihnen Ihr Gehör oder Ihr Augenlicht abhanden kommen würde?

Eidinger: Es gibt Leute, die sagen: Lieber blind als taub. Das kann ich nicht nachvollziehen, wenn ich ehrlich bin. Das Visuelle hat in unserer Gesellschaft die absolute Priorität. Nicht zu sehen, wäre für mich das Schlimmste. Ich höre sowieso nicht mehr ganz so gut durch meine DJ-Tätigkeit. Ich glaube, auf Hören könnte ich eher verzichten. Obwohl Schauspielern ohne Gehör wahrscheinlich nicht ganz so einfach ist.

Wie würden Sie damit umgehen, wenn Ihr Körper Ihnen ein derart deutliches Warnsignal senden würde?

Eidinger: Ich würde es als Herausforderung sehen. Manchmal ist es ja auch hilfreich oder reizvoll, etwas ganz anderes machen zu müssen. Und ich habe genügend andere Talente, die ich genauso gut ausüben könnte und genauso erfüllt wäre.

Das Hamlet-Zitat „Es gibt nichts Gutes oder Schlechtes, es sei denn das Denken macht es dazu“ lässt sich auf solche Situationen eigentlich gut anwenden… Hilft Ihnen die Schauspielerei dabei, offener zu denken?

Eidinger: Früher dachte ich, ich müsste das, was ich in der Fiktion darstelle, anreichern mit dem, was ich privat erlebt habe. Und müsste das benutzen, um mein Spiel tiefgründiger und interessanter zu machen. Mittlerweile habe ich die Erfahrung gemacht, dass es eigentlich genau umgekehrt ist. Dass mich das, was ich im Spiel erlebe und erfahre, zu einer komplexeren und reicheren Persönlichkeit macht. Ich stehe auf der Bühne und durchlebe das. Das prallt nicht an mir ab, ich bin ja kein Avatar. Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut und alles, was ich im Spiel erlebe, darauf reagieren mein Körper und mein Gehirn.

Das ist ja interessant. Als Laie, der keine Ahnung von Schauspielerei hat, denkt man, dass der Schauspieler Erfahrungen aus seinem Leben miteinfliessen lässt.

Eidinger: Aber gewisse Sachen habe ich ja nicht erfahren. Ich spiele jeden Abend als Hamlet, dass ich am Ende sterbe. Ich bin aber noch nie gestorben.

„All my Loving“ ist ein Geschwister-Film. Da kommt man vermutlich nicht drum herum persönliche Erfahrungen miteinfliessen zu lassen?

Eidinger: Natürlich befruchtet sich das gegenseitig. Es ist nicht so, dass ich überhaupt nicht darauf zurückgreife, was ich im Privaten erlebe.

Welche Erfahrungen konnten Sie denn miteinfliessen lassen?

Eidinger: Dass sich Geschwister überhaupt nicht ähnlich sein müssen. Das ist ein Irrtum, dem die Fiktion oft erliegt: Ich sehe meinem Bruder zum Beispiel überhaupt nicht ähnlich. Man erwartet von der Fiktion eine völlig andere Logik als vom realen Leben. In meinem Leben ist wahnsinnig vieles unlogisch.

Wie meinen Sie das?

Eidinger: Um wieder aus Hamlet zu zitieren: „Einen anderen Menschen zu kennen, hiesse sich selbst zu kennen“. Ich kann viele Fragen über mich nicht beantworten, wie soll ich das dann über eine Filmfigur können. Wenn ich jetzt gefragt werde: „Was wollen Sie denn in Ihrem Leben und wer sind Sie?“ – bin ich überfragt.

Was bedeutet für Sie Glück?

Eidinger: Es gibt ein Zitat von Homer Simpson: Menschen machen Fehler, sonst wäre am Bleistift kein Radiergummi. Ich habe erkannt, dass Niederlagen menschlich sind. Diese Dynamik zwischen Hoch und Tief ist das, was das Leben ausmacht. Stillstand in der Perfektion, nach dem man sich so sehnt, das ist eigentlich der Tod. Und das andere ist das, was das Leben ausmacht. Damit habe ich meinen Frieden geschlossen und ich bilde mir ein, dass ich seitdem glücklicher bin.

Wie intensiv haben Sie sich mit dem Tod auseinandergesetzt?

Eidinger: Nicht intensiver als jeder andere. Das ist auch Thema des Films, dass jemand in der Midlife-Crisis merkt, dass es auf den Tod zugeht. Die Falten werden mehr und die Haare lichter. Eigentlich guckt man jeden Morgen dem Tod ins Gesicht.

Hatten Sie in Ihrem Leben schon einen solchen Moment?

Eidinger: Ich hatte das schon ganz früh. Als Zehnjähriger habe ich mir ausgerechnet: Wenn ich jetzt zehn Jahre alt bin, dann habe ich, wenn alles gut läuft, nur noch achtmal so lange. Und das fand ich extrem wenig. Ich habe aber meinen Frieden damit gemacht, weil ich verstanden habe, dass der Reiz des Lebens genau darin besteht, dass es endlich ist.

Sind Sie schockiert, wenn ikonenhafte Menschen wie Karl Lagerfeld sterben?

Eidinger: Der Tod von Karl Lagerfeld hat mich eher hoffnungsvoll gestimmt. Ich hatte das Gefühl, er war mit sich und dem Leben im Reinen. Ich würde behaupten, er hatte ein sehr erfülltes Leben. Unter diesem Gesichtspunkt wurde auch die letzte Modenschau gefeiert. Er hat ja auch gesagt, dass er verbrannt werden möchte, weil er spurlos verschwinden will. Da hat jemand gelernt, loszulassen. Das finde ich bewundernswert.

Loslassen scheint ein ziemlich wichtiger Aspekt des Lebens zu sein.

Eidinger: Deswegen mag ich Theater auch eigentlich mehr als Film. Im Theater wird nichts festgehalten, man lässt los. Das hat für mich mehr mit dem Leben zu tun. So verstehe ich das Zitat von Karl Lagerfeld. Es muss nichts bleiben. Wenn ich gehe, bin ich weg.

Wünschen Sie sich das auch für sich?

Eidinger: Ich will auf keinen Fall verbrannt werden! Ich weiss doch gar nicht, was danach kommt. Am Ende muss ich im Jenseits als Häufchen Asche weiterleben. Ich möchte bitte so eingegraben werden, wie ich sterbe.

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