Klaus Kinski: „Ich habe nicht mal richtig angefangen zu leben“

Klaus Kinski in Werner Herzogs Film

Quelle: imago images/Everett Collection

Genie und Wahnsinn, Abscheu und Anziehungskraft sind Gegensätze, die wenige so vereinen wie Klaus Kinski. Ein Rückblick zum 30. Todestag.

65 Jahre kämpfte Klaus Kinski (1926-1991) mit sich selbst und dem Rest der Welt, bevor er am 23. November 1991 in Kalifornien das Zeitliche segnete – und das vermutlich ziemlich lautstark. Kann man sich doch förmlich vorstellen wie Kinski mit Petrus am Himmelstor in Streit gerät, weil erster zu wissen glaubt, dass Jesus „eine Peitsche genommen“ und einem Kritiker damit „in die Fresse gehauen“ hätte. Wer sich dieses Bild nicht vorzustellen vermag, wechselt besser vom Himmel ins Theater. Dort erlitt Kinski einen Tobsuchtsanfall, als er das Neue Testament auf die Bühne brachte und dem „Scheiss Gesindel“ entgegenschleuderte: „Das hat er gemacht, du dumme Sau!“

Da drängt sich schnell die Vorstellung des Irren vom Dienst auf, als der er in den Edgar-Wallace-Filmen mit gläsernem Blick durch die Nebel Londons wabert und plötzlich schreit: „Ich bin unschuldig!“ Ebendas war der Choleriker aber wohl nicht. So schockte Tochter Pola (69) 2013 mit Missbrauchsvorwürfen gegen ihren Vater. Auch Nastassja Kinski (60) erklärte, er habe sie als Kind mit Annäherungsversuchen belästigt.

Klaus Kinski kämpft im und mit dem Dschungel

Gefürchtet war Kinski auch am Filmset, ein zutiefst launenhaftes Geschöpf, das einmal erklärte: „Schlechtes Benehmen halten die Leute doch nur deswegen für eine Art Vorrecht, weil keiner ihnen aufs Maul haut.“ So geschehen beinahe im peruanischen Urwald, als Kinski 1982 „Fitzcarraldo“ drehte und dabei des Öfteren mit seinem „liebsten Feind“ und Regisseur Werner Herzog (79) aneinandergeriet. Dabei drohte nicht nur Kinski seine Wünsche nach Änderungen im Drehbuch mit Backpfeifen zu untermauern. Nach Angaben von Herzog boten die Ureinwohner an, Kinski zu töten. Wie passend da das Bild, das der Wüterich einst über seine Gefühle malte: „Meine Empfindungen sind ein einziges Chaos. Schlingpflanzen, die mich zu ersticken drohen. Dschungel, aus dem ich mich herauskämpfen muss.“

Ein ums andere Mal verhedderte er sich, krakeelte und kehrte für diverse Filmprojekte doch wieder zum herzöglichen Stoiker zurück. Was will man von einem Mann auch erwarten, der seelenruhig seine eigenen Schuhe kocht, um sie dann zu verspeisen – also Herzog, nicht Kinski. Der verspeiste ohne zu zögern andere Filmschaffende schon zum Frühstück und den Moderator der WDR-Talkshow „Je später der Abend“, Reinhard Münchenhagen (80), sprichwörtlich zum Abendbrot. So ging er auf viele Fragen des Moderators überhaupt nicht ein, redete ihn aber immer wieder mit „Herr Münchhausen“ an.

Münchhausen war eine der wenigen Rollen, in die Kinski nicht schlüpfte. Schliesslich passt die Figur des Lügenbarons nicht auf einen Mann, der immer frei von der Leber weg herausposaunte, was er dachte. Das Monster (Nosferatu), den Killer (Jack the Ripper) und den Einzelkämpfer (Fitzcarraldo) mimte Kinski mit grosser Überzeugung. Die Darstellung von getriebenen Figuren war sein Steckenpferd, nie kam er an, nie war es genug. Das mag einer der Gründe sein, warum Kinski nie an den Tod denken wollte: „Ich habe nicht mal richtig angefangen zu leben.“

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