Stephen Hawking: Genie, Haustyrann, Verkehrsrüpel und weiser Prophet

Stephen Hawking ist im Alter von 76 Jahren gestorben. Der geniale Physiker hat nicht nur die Welt der Wissenschaft geprägt. Er bleibt unvergessen.

Er war einer der klügsten Köpfe unserer Zeit. Ein Mann, der in einem Rollstuhl sitzt und nicht sprechen kann, dessen brillanter Geist jedoch unentwegt auf Hochtouren läuft. Nun ist der britische Physiker Stephen Hawking, der so vielen Menschen ein Rätsel war, gestorben. Er wurde 76 Jahre alt.

Dass ein so kranker Mensch wie Hawking dieses relativ hohe Alter erreicht hat, grenzt an ein medizinisches Wunder. Bereits Anfang der 60er-Jahre wurde bei dem Sohn eines Tropenmediziners und einer Wirtschaftswissenschaftlerin die ersten Anzeichen von ALS festgestellt, eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems. Die Ärzte prophezeiten ihm eine kurze Lebenserwartung. Da war Hawking Anfang 20 und Physikstudent an der Universität von Oxford.

Brian Dickie, einer der weltweit führenden ALS-Experten, schrieb vor Jahren zum Thema Hawking: „90 Prozent der Menschen mit ALS sterben innerhalb von zwei bis fünf Jahren, nachdem die Symptome zum ersten Mal auftauchen. Nur fünf Prozent leben länger als zehn, 15 oder 20 Jahre. Wir wissen nicht, warum Stephen solch eine Ausnahme ist.“

ALS als Motor für eine wissenschaftliche Karriere

Für Hawking selbst war die Krankheit der entscheidende Motor zu seiner wissenschaftlichen Karriere. Er sagte einmal, dass er früher ein zwar talentierter, aber sehr fauler Schüler gewesen sei, erst ALS habe in ihm das Bewusstsein und den Willen geschaffen, die ihm verbleibende Zeit konsequent zu nutzen. Das tat er auch.

Mit 20 machte er in Oxford seinen Bachelor-Abschluss, mit 24 wurde er an der Uni Cambridge mit einer Dissertation über theoretische Astronomie und Kosmologie zum Doktor der Physik promoviert. Zu diesem Zeitpunkt waren die Lähmungen bereits so weit fortgeschritten, dass seine Doktorarbeit von mehreren Helfern geschrieben werden musste. Ab 1968 war er auf den Rollstuhl angewiesen.

Stephen Hawking hatte einen eisernen Überlebenswillen: 1985 verlor er nach einer schweren Lungenentzündung und einem Luftröhrenschnitt sein Sprachvermögen. Für die verbale Verständigung benutzte er einen Sprachcomputer, den er alleine durch die Bewegung seiner Wangenmuskeln steuerte. Als das nicht mehr ging, teilte er sich nur noch mit Augenbewegungen mit, das heisst die Augen steuerten über ein Infrarotsignal seinen Sprachcomputer.

Seine Lehren

Stephen Hawking hatte der Welt viel mitzuteilen. Über 30 Jahre (1979-2009) unterrichtete er als Professor und Inhaber des Lucasischen Lehrstuhls für Mathematik an der Universität Cambridge Tausende von Studenten. Er stellte der Menschheit durch den von ihr erzeugten Klimawandel und die atomare Bedrohung düstere Prognosen. Niemand konnte die Grenzenlosigkeit des Universums so beschreiben wie er.

Und er widersprach dem grössten britischen Physiker – Isaac Newton (1643-1727). Der war der Ansicht gewesen, dass das Universum allein schon wegen bestehender Naturgesetze nicht aus dem Chaos entstanden sein könne. Newton vermutete hinter allem einen Gott.

Doch Hawking – „Isaac Newton war ein grosser Wissenschaftler, aber kein sehr netter Mensch“ – schaffte gewissermassen Gott ab, denn er erklärte spektakulär 1981 auf einer Kosmologie-Tagung ausgerechnet im Vatikan: „Wenn das Universum einen Anfang hatte, können wir von der Annahme ausgehen, dass es durch einen Schöpfer geschaffen worden sei. Doch wenn das Universum wirklich völlig in sich selbst abgeschlossen ist, wenn es wirklich keine Grenze und keinen Rand hat, dann hätte es auch weder einen Anfang noch ein Ende; es würde einfach sein. Wo wäre dann noch Raum für einen Schöpfer?“

Später sagte Hawking in einem Interview mit dem US-Sender „ABC“, dass Gott für ihn die Verkörperung der Naturgesetze sei: „Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen Religion, die auf Macht basiert, und Wissenschaft, die auf Beobachtung und Tatsachen beruht. Die Wissenschaft wird gewinnen, weil sie funktioniert“.

Ein grosser „Simpsons“-Fan

Er hatte eine grosse Leidenschaft für die US-Serie „Die Simpsons“ und die Science-Fiction-Produktionen von „Star Trek“, über die er einmal sagte: „Ich denke, dass wir erheblich intelligenter werden können, als die meisten Figuren in ‚Star Trek‘ – was ja auch nicht weiter schwierig ist.“ Und er war der Überzeugung, dass Menschen das All besiedeln müssten, weil „die Zukunft der menschlichen Rasse langfristig im Weltraum liegt“.

Ausserdem glaubte er, dass Aliens wie Nomaden durch das Weltall streifen, um andere Welten zu erobern und zu kolonisieren. „Wenn uns Ausserirdische jemals besuchen, wird der Ausgang, so denke ich, genauso sein wie die Landung von Christopher Columbus in Amerika, was für die Eingeborenen nicht sehr gut ausging.“

„Worüber denken Sie am Tag am meisten nach?“, fragte ihn ein Reporter des Wissenschaftsmagazins „New Scientist“. Seine Antwort: „An Frauen. Sie sind ein absolutes Mysterium.“ Sie müssen ihn dennoch fasziniert haben.

Die Frauen in seinem Leben

Von 1965 bis 1990 war er mit der Sprachwissenschaftlerin Jane Wilder verheiratet, in die er sich als junger Mann verliebt hatte. „RollingPlanet“, ein Online-Magazin für behinderte Menschen, beschreibt eine beinahe filmische Szene im Anfangsstadium des jungen Paares: „An seinem 21. Geburtstag, 1963, liegt der Physikstudent Stephen Hawking mit der Frau seines Herzens verliebt auf dem Rasen. Sie betrachten – die Sterne, die Hawking so viel bedeuten. Ausgerechnet in dieser Stunde gelingt es Hawking nicht mehr, aufzustehen…“

Zwar hatte ihr Hawkings Vater von der Heirat abgeraten, sein Sohn hätte einfach nicht die „Fähigkeit, eine eheliche Beziehung zu erfüllen“. Auch Janes Mutter versuchte, das vermeintliche Unglück zu verhindern. Doch die junge Frau liess sich nicht abschrecken. „Ich antwortete, ich würde es vorziehen, nicht die Einzelheiten der medizinischen Prognose zu wissen. Ich habe Stephen so sehr geliebt, dass mich nichts von dem Wunsch abhalten konnte, ihn zu heiraten. Ich würde kochen, waschen, einkaufen und ein Heim für uns aufbauen.“

Jane heiratete 1965 Stephen Hawking. 1967 kam der erste Sohn Robert zur Welt. 1970 folgte Tochter Lucy und 1979 Timothy. Die Ehe verlief jedoch nicht glücklich, denn 1990 erfolgte die Trennung. Jane veröffentlichte ein Buch über ihre Jahre mit dem brillanten Wissenschaftler. Bitter enttäuscht schrieb sie, ihre Rolle habe sich von der einer Ehefrau in die einer Krankenschwester gewandelt. Ihren Ex-Mann bezichtigte sie, ein Haustyrann zu sein: „Ich musste ihm sagen, dass er nicht Gott ist“.

Stephen Hawking blieb nicht lange allein. Nach der Trennung von Jane zog seine Pflegerin Elaine Mason bei ihm ein. Sie heirateten 1995. War da Liebe mit im Spiel? Oder war es vielmehr die hilflose Abhängigkeit und auch die Scham eines Abhängigen, der sich nicht wehren kann?

Schwere Vorwürfe gegen Elaine Mason

Laut „RollingPlanet“ begleitete „ein schwerer Verdacht“ die Beziehung: „Misshandelte Elaine Mason ihren Mann? Zwei Mal erschien die Polizei und befragte die Gattin nach ihrer Rolle bei ‚Unfällen‘, bei denen sich Hawking unter anderem die Knochen gebrochen hatte. Hawking verweigerte die Aussage, bestritt aber in der Öffentlichkeit, dass seine Frau etwas mit den Vorfällen zu tun hätte.

Hawkings Tochter Lucy soll unbeirrt behauptet haben, dass Elaine Mason für mehrere Krankenhaus-Aufenthalte des Physikers verantwortlich und nur an seinem Geld interessiert gewesen sei. Ein früherer Assistent Hawkings bezeichnete Elaine Mason als „Monster“. Ein weiteres unappetitliches Gerücht setzte ein Pfleger in die Welt, der behauptete, Elaine habe neu eingestellte Krankenschwestern gezwungen, zuzusehen, wie sie mit Stephen Hawking Sex hatte. Die Scheidung kam 2006.

Zahlreiche Cameo-Auftritte

Stephen Hawking liebte die Unterhaltung. Er hatte Gastauftritte bei den „Simpsons“ sowie in den TV-Serien „Cosmo und Wanda“, „Dilbert“ „The Big Bang Theory“ und bei der Show „Monty Python Live“. Auch bei der US-Serie „Raumschiff Enterprise – das nächste Jahrhundert“ wirkte er auf eigene Bitte als Schauspieler mit. Er stellte sich selbst dar, in einer Szene, in der er mit Data (Brent Spiner), Isaac Newton (John Neville) und Albert Einstein (Jim Norton) pokert – und gewinnt.

Sein rastloses Gehirn hat ihn zu einem wohlhabenden Mann gemacht. Das lag vor allem an seinem Büchern, die allesamt zu Bestsellern wurden und ihn zum Pop-Star unter den Wissenschaftlern machten. Allein von seinem 1988 erschienenen Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit“ über die Entstehung des Universums, die Quantenmechanik und Schwarze Löcher wurden in den ersten drei Jahren mehr als acht Millionen Exemplare verkauft.

Das Rezept für den Erfolg hatte er von den Verlagslektoren. „Man hat mir gesagt, dass jede Gleichung in dem Buch die Verkaufszahlen halbiert“. So entstand auch „Eine kurze Geschichte der Zeit“, eine Schrift ohne komplizierte mathematische Formeln.

Dem Buchautor Stephen Hawking, der übrigens mit seiner Tochter auch drei Kinderbücher heraus brachte, wurde bisweilen unterstellt, er baue mit dem Schreiben nur seinen unbeherrschbaren wissenschaftlichen Mitteilungsdrang ab. Die Wahrheit ist wie so oft viel banaler. Hawking schrieb anfangs aus purer Existenzangst. Nur aus Sorge, die Schulausbildung seiner Kinder nicht finanzieren zu können, hatte er beschlossen, sein erstes Buch zu schreiben. Dann kam das zweite, das dritte, und so weiter… So wurde er zum reichsten Physiker der Welt. Sein Vermögen wird auf 20 Millionen Dollar geschätzt.

Bei den Nobelpreisen ging er leer aus

Stephen Hawking hat nie den Nobelpreis bekommen. Das mag ihn enttäuscht, aber nie gekränkt haben. Er erreichte als Physiker eine weltweite Popularität, die vor ihm wohl nur der Nobelpreisträger Albert Einstein (1879-1955) hatte. „Der klügste Mensch der Welt“ wurde er oft genannt oder „Ein Jahrhundertgenie wie Albert Einstein“ („Spiegel“). Da stellt „RollingPlanet“ die Frage, ob diese Superlative „nur dem Umstand zu verdanken“ seien, „dass man einem behinderten Menschen insgeheim nicht zutraut, verdammt intelligent zu sein?“

Wie dem auch sei: Hawking nutzte seine Popularität als stetiger Mahner. Den Irakkrieg nannte er ein Kriegsverbrechen. Er warnte vor künstlicher Intelligenz, von der er befürchtete, dass sie schon in 100 Jahren nicht mehr kontrollierbar sein könnte. Er setzte sich für nukleare Abrüstung, Klimaschutz, Stammzellenforschung und umfassende Gesundheitsfürsorge für alle ein.

Einer seiner grössten Träume war eine Reise ins Weltall. 2007 konnte er zumindest einen Eindruck von der Schwerelosigkeit gewinnen. Hawking war Passagier bei einem Parabelflug. Dabei steigt das Flugzeug auf 10’000 Meter Höhe, anschliessend folgt ein Sturzflug auf etwa 2.600 Meter: Die Flugzeuginsassen sind etwa 25 Sekunden lang schwerelos. Der vollständig gelähmte Physiker erlebte dieses Manöver insgesamt achtmal.

Freunde und Kollegen beschreiben Stephen Hawking als charmanten und humorvollen Mann. „Er ist extrem freundlich und aufgeschlossen, obwohl er so berühmt ist“, sagte seine ehemalige Doktorandin Fay Dowker, die später Physikerin am Imperial College London wurde. „Und er liebt es, Scherze zu machen.“ Einmal, so erinnerte sich Fay Dowker, sei sie im Sommer mit neuer und gewagter Frisur im Institut aufgetaucht – mit kahl rasiertem Schädel. „Hawking hat mich einfach nur angegrinst und gefragt: ‚Fay, warum hast du gegen einen Rasenmäher gekämpft?'“

Er hat sich jahrzehntelang für Behinderte eingesetzt. Seine Lebenslust – und sicher auch seine Shownummern als Rollstuhl-Rock’n’Roller auf dem Tanzparkett – machten ihn zum Vorbild für Millionen von Behinderten. Er liess sich von nichts und niemanden bremsen und galt in Cambridge wegen seines rasanten Fahrstils mit dem E-Rollstuhl als der bekannteste (und liebenswürdigste) Verkehrsrüpel der Stadt. Alle – auch die Polizei – wussten: „Er hat immer Vorfahrt“.

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