Robert F. Kennedy: Von ihm träumt Amerika noch heute

Heute vor genau 50 Jahren starb der Bruder von US-Präsident John F. Kennedy nach einem Mordanschlag. Auch Robert Kennedy wurde erschossen.

Am frühen Morgen des 6. Juni 1968 erschütterten schwere Schockwellen die gesamten USA. Der Senator von New York, Robert Francis Kennedy (RFK), den die meisten Amerikaner nur liebevoll „Bobby“ nannten, war im Alter von 42 Jahren seinen Schussverletzungen erlegen. 25 Stunden zuvor war auf ihn ein Anschlag verübt worden.

Der bessere Kennedy?

Das ganze Land war wie gelähmt. „Das Attentat auf den demokratischen Präsidentschaftskandidaten und Bruder des fünf Jahre zuvor ermordeten Präsidenten John F. Kennedy gab vielen Amerikanern das Gefühl, dass ihrem Land eine einmalige Chance gewaltsam genommen wurde. An der Bewunderung für Robert Kennedy hat sich bis heute wenig geändert“, schreibt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Manche sahen in ihm einen mystischen Führer, der die USA zum Besseren verändert hätte. War er auch der bessere Kennedy?

Bobby hatte nicht Johns legendären Charme, sondern vielmehr eine verbissene Intensität und einen oft rüden Ton. Mitarbeiter wie politische Gegner bezeichneten ihn als „Bluthund“, selbst gemessen an der für die Kennedys typischen, unerbittlichen Siegermentalität. Sogar sein Bruder soll über ihn gesagt haben, Bobby käme ihm vor wie ein Polizist, der am Ende des Tages immer jemand verhaften möchte.

Seine zwei Gesichter

Nach seiner Wahl zum amerikanischen Präsidenten im November 1960 machte John F. Kennedy seinen Bruder Bobby zum Justizminister. Ein Amt, dass Bobby mit der ihm eigenen Verbissenheit anging. Dabei zeigte sich, dass der dynamische und zielstrebige junge Mann durchaus zwei Gesichter zeigen kann. Einerseits gab er sich streng katholisch, einen Ehemann, der mit seiner Frau Ethel (heute 90) elf Kinder hatte und stets bemüht war, ein vorbildliches Familienleben zu demonstrieren. Andererseits hatte er – wie auch sein Bruder Jack – eine leidenschaftliche Affäre mit der Schauspielerin Marilyn Monroe.

Es war bei einem Cocktail-Empfang nach einem Marilyn-Konzert im New Yorker Madison Square Garden im Mai 1962. Die Schauspielerin hatte zuvor mit einem lasziven Ständchen „Happy Birthday, Mr. President“ John F. Kennedy zum Geburtstag gratuliert. Da hatte sie bereits eine Affäre mit ihm.

Bei der Aftershow-Party waren auch Justizminister Bobby Kennedy und seine Frau Ethel anwesend. Die Monroe habe keine Hemmungen gehabt, heisst es in dem Buch „Vendetta: Bobby Kennedy Versus Jimmy Hoffa“ von James Neff. Sie habe RFK regelrecht festgenagelt. Ein anderer Zeuge erinnert sich: „Sie hatte es ganz eindeutig auf Bobby abgesehen. Sie und Bobby legten da so richtig los.“ Ehefrau Ethel soll geschäumt haben: „Das ist das Widerlichste, das ich jemals gesehen habe.“

Drei Monate dauerte die Beziehung. Freunde von Bobby sprachen von einer „Sexsucht“ des Präsidentenbruders. Am 5. August 1962 war die Schauspielerin im Alter von 36 Jahren in ihrem Haus in Brentwood (L.A.) tot aufgefunden worden. Todesursache: ein Medikamenten-Cocktail. Noch heute ranken sich zahlreiche Gerüchte um ihren Tod. Von einer Überdosis bis zum Mord im Auftrag der Kennedys, der Mafia oder der CIA ist unter anderem immer wieder zu lesen.

Erbitterter Kampf gegen die Korruption

Nach Monroes Tod konzentrierte Bobby seine ganze Energie auf seinen Kampf gegen den Gewerkschaftsführer Jimmy Hoffa. Er wurde verdächtigt, seine Macht innerhalb der Arbeiterbewegung der „Teamster“-Gewerkschaft durch enge Verbindungen zur Mafia zementiert zu haben. Bobby bezeichnete den korrupten Hoffa als „destruktives Element“ für die amerikanische Wirtschaft. Er hielt ihn für „den gefährlichsten Mann Amerikas“ und rief eine Sonderabteilung innerhalb des Justizapparats, Spitzname „Get Hoffa Squad“, ins Leben. Zeitweise wurden 20 Staatsanwälte auf Hoffa angesetzt. RFK selbst nahm an nächtlichen Razzien teil.

Selbst Bobbys Vater Joseph P. Kennedy Sr. riet dem Justizminister die Finger von der Jagd auf korrupte Gewerkschafter zu lassen. Das Familienoberhaupt der Kennedys hielt den Feldzug seines Sohnes für „hochgefährlich“, Bobby wisse gar nicht, „welche Leute er sich hier zu Feinden mache“, erinnert sich Bobbys Freund LeMoyne Billings.

Umgekehrt hasste der skrupellose Hoffa den Justizminister bis aufs Blut. Laut Buchautor James Neff. So soll der Gewerkschaftsführer nach einer weiteren Anklage vor Zeugen in einem Teamster-Büro geschäumt haben: „Dieser verdammte Hurensohn Kennedy, der muss weg…“ Theatralisch nahm er dabei ein Gewehr in die Hand, legte an und erklärte, dass er sich einen Schalldämpfer besorgen wollte. RFK selbst vertraute Freunden an, dass er Gefahr für seine gesamte Familie heraufbeschworen habe.

Als sein Bruder JFK im November ermordet wurde, sagte Bobby: „Ich befürchtete, dass sie einen von uns kriegen, ich dachte nur, dass ich es sein werde…“

Wie ihn der Mord an seinem Bruder veränderte

Der Tod des Bruders führte bei Bobby zu einem tiefgreifenden Wandel seiner Persönlichkeit. Für Monate zog er sich zurück, der Kummer frass ihn regelrecht auf. Er magerte stark ab, die Anzüge hingen an ihm herunter. Als er wieder ins öffentliche Leben als Senator von New York zurückkehrte, hatte er eine Sensibilität für menschliches Leid entwickelt, die ihn nicht mehr zur Ruhe kommen liess.

„Er begann, sich mit neuem Furor in die Themen zu vertiefen, die unter JFK liegengeblieben waren: Soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Ausgleich zwischen den Rassen“, so schildert der „Spiegel“ Bobbys Arbeit. Er sah die Auswüchse der Apartheid in Südafrika und fragte 1966 bei einem Besuch weisse Studenten einer südafrikanischen Universität: „Was macht Ihr, wenn Ihr herausfindet, dass Gott schwarz ist?“

Am schlimmsten war für ihn das Elend im eigenen Land. Er sah Kinder in Harlem, die Spuren von Rattenbissen im Gesicht trugen, und andere im Mississippidelta, die vom Hunger inmitten einer reichen Nation gezeichnet waren: „Mein Gott, ich wusste nicht, dass es so etwas gibt. Wie kann ein Land so etwas zulassen?“ Der Mann, dem bis dahin das Attribut „ruthless“ (rücksichtslos, mitleidlos) anhing, wurde nun mit einem anderen Adjektiv beschrieben: als mitfühlend.

Er wird umjubelt

Am Abend nach der Ermordung Martin Luther Kings trat Bobby ganz alleine in einem Schwarzenviertel in Indianapolis auf und verkündete der Menge die Nachricht von Kings Tod. „Ich weiss in meinem Herzen, was Ihr fühlen müsst“, sagte Kennedy. „Ein Mitglied meiner Familie ist ermordet worden, von einem weissen Mann. Wir müssen uns in den USA bemühen, einander zu verstehen… Was wir brauchen, ist nicht mehr Spaltung, Hass oder Gewalt – sondern Liebe, Weisheit und Zuwendung.“ Dafür wurde er umjubelt wie noch kein anderer weisser Politiker vor ihm.

Mit grosser Vehemenz und dem Charisma eines leidgeprüften Politikers, der keine unbequemen Wahrheiten scheut, kämpfte er gegen den eskalierenden Krieg in Vietnam. Am 16. März 1968 erklärte er eine Kandidatur für die Präsidentschaft, gegen den amtierenden Präsidenten der eigenen Partei, Lyndon B. Johnson. Der gab kurz darauf überraschend bekannt, auf eine Wiederwahl zu verzichten. Was folgte, war der Wahlkampf von 80 Tagen, der zum amerikanischen Mythos wurde.

„Ob in den Dörfern Indianas oder in den Metropolen: Wo immer er aus dem Flugzeug stieg oder ein Podium (oft das Dach eines Autos) betrat, kam es zu Szenen, wie sie keiner der den Tross begleitenden Journalisten je erlebt hatte. Er war eine Kultfigur für die Leute, die ihn mehr als einmal fast zu erdrücken schienen, die ihn betasten, über sein Haar streichen, seine Stimme hören wollten“, so die „Neue Zürcher Zeitung“.

Im konservativen Herzland jubelten ihm Leute ebenso zu wie im Schwarzenghetto Watts in Los Angeles. Dort hatten sich bei einem Besuch Kennedys Tausende versammelt, die jeden anderen weissen Politiker mit Steinen beworfen hätten. Für seine Sicherheit sorgte nicht die Polizei, sondern eine Gruppe Jugendlicher, die „Sons of Watts“.

Kennedy hatte bei den Vorwahlen zur amerikanischen Präsidentschaft die Staaten Indiana, Nebraska, South Dakota und Kalifornien gewonnen. Angesichts der Begeisterungsstürme, die er zu entfesseln vermochte, schien sich seine Position innerhalb der demokratischen Partei immer stärker zu verfestigen – und ein weiterer Kennedy im Weissen Haus unausweichlich.

Als die Hoffnung starb

Am Abend des 4. Juni 1968 hielt er nach seinen politischen Siegen bei der Vorwahl eine Dankesrede im Ballsaal des Hotels Ambassador in Los Angeles. Kurz nach Mitternacht wurde er durch die Küche geleitet, um das Haus besser verlassen zu können. Da trat ihm der angetrunkene Palästinenser Sirhan Bishara Sirhan (24) entgegen. Er rief laut Zeugenaussagen „Du verdammter Hurensohn“ und begann mit einer Iver-Johnson-Schusswaffe, Kaliber 22, zu schiessen.

Zwar hatte ein Hotelmitarbeiter den Schützen schon nach dem zweiten Schuss zu fassen bekommen und drückte ihm den Arm mit der Pistole weg. Doch Sirhan feuerte weiter. Der erste Schuss traf den lokalen Gewerkschaftsführer Paul Schrade (43), der Kennedy massgeblich geholfen hatte, die Vorwahl in Kalifornien zu gewinnen. Schrade überlebte den Kopfschuss und ist heute 93 Jahre alt.

Vier Kugeln trafen Robert F. Kennedy, zwei in den Rücken, eine durchschlug eine Schulter, die vierte (und tödliche) ging von hinten in den Nacken und Kopf. 25 Stunden später erlag er seinen schweren Verletzungen.

Bei einer ersten Durchsuchung der Täter-Wohnung fanden die Polizisten eindeutige Aufzeichnungen von Sirhans Hand: „RFK muss vernichtet werden wie sein Bruder“, stand auf einem Zettel. Oder, teils auf Englisch, teils auf Arabisch: „RFK muss vernichtet vernichtet vernichtet werden, gründlich. Robert Kennedy muss bald sterben sterben sterben.“ Weitere Ermittlungen ergaben, dass Sirhan fast den ganzen 4. Juni 1968 über in einem Schiessklub mit seiner Pistole geübt hatte. 300 bis 400 Patronen verschoss er binnen sechs Stunden. Als Motiv für den Mord wird Sirhans Empörung über betont israelfreundliche Äusserungen Kennedys im Vorwahlkampf angenommen.

Sirhans Sirhan wurde 1969 zum Tod in der Gaskammer verurteilt. Diese Strafe wurde nach der Änderung der Gesetzeslage in eine lebenslange Haft umgewandelt. Er sitzt noch heute im Staatsgefängnis Coalinga in der kalifornischen Wüste.

Warum musste Bobby Kennedy sterben?

Dennoch wirft Bobby Kennedys Tod viele unbeantwortete Fragen auf. Angeblich sind in der Mordnacht 12 oder 13 Schüsse gefallen. Sirhans Magazin hatte aber nur acht Kugeln und nachladen konnte der Schütze nicht. Das tödliche Geschoss traf Kennedys von hinten in den Nacken – und zwar aus kürzester Distanz, wie anhand der Schmauchspuren an seinem Hemdkragen nachzuweisen sind. Doch Sirhan sei Kennedy von vorne entgegengetreten und ihm dabei nie auf Körpernähe herangekommen.

Tatzeuge Robert Schrade hält bis heute nicht Sirhan Sirhan für den wahren Mörder, er glaubt, dass mindestens zwei verschiedene Waffen im Einsatz waren. Nicht nur er glaubt an eine Verschwörung. Auch Robert F. Kennedy Junior, Bobbys Sohn, nimmt das an. Er hat im Dezember 2017 Sirhan im Gefängnis besucht und sagte dazu der „Washington Post“: „Ich bin davon überzeugt, dass er meinen Vater nicht getötet hat.“ Er sei in den Knast gefahren, weil er beunruhigt war, „dass die falsche Person für den Mord an meinem Vater verurteilt wurde.“ Gleichzeitig hat Robert F. Kennedy Junior eine neue Beweisaufnahme gefordert.

Übrigens hat auch Bobby Kennedy nie daran geglaubt, dass am Tod seines Bruders John F. Kennedy nur Lee Harvey Oswald als Einzeltäter schuld war.

Lastet ein Fluch auf den Kennedys?

Angesichts der aufwühlenden Morde an Jack und Bobby Kennedy sind viele Amerikaner davon überzeugt, dass ein Fluch an der Familie liege. In der Tat gibt es bei den Kennedys auffällige tragische Todesfälle: 1984 starb Bobbys Sohn David A. Kennedy (28) an einer Überdosis von Kokain, Demerol und Mellaril. 1997 kam Bobbys Sohn Michael Kennedy (39) bei einem Skiunfall in Aspen ums Leben. Und 1997 stürzte John F. Kennedy Junior (38), der Sohn des ermordeten Präsidenten, mit einem von ihm gesteuertem Flugzeug ab. In der Maschine starben auch seine Frau Carolyn (33) und deren Schwester Laura Bessette.

Der charismatische Bobby Kennedy, der „die moralische Führung der USA auf diesem Planeten“ wiederherstellen wollte, ist den Amerikanern als die grosse Hoffnung des Landes in Erinnerung geblieben. Der 17-jährige Juan Romero, eine illegale mexikanische Hotelhilfskraft, kniete verzweifelt neben dem angeschossenen Senator. 50 Jahre später sagt er: „Es war, als würde mit ihm alle Hoffnung sterben. Sein Erbe ist heute aktueller denn je.“

Mit Bobby Kennedys Tod ist für den Historiker Ross Baker eine Saat aufgegangen, die bis heute dunkle Früchte trägt. „Viele dachten, dass Veränderungen wohl nie innerhalb einer „normalen“ Politik möglich wären. Was begann, ist eine tiefe Radikalisierung und die Akzeptanz von Gewalt.“ Eine Entwicklung von Watergate bis zu Donald Trump.

Für die britische Regisseurin Dawn Porter, die für Netflix eine Doku-Serie über Robert F. Kennedy drehte, sind Parallelen zu Trumps Amerika zwingend. „Die Leute müssen daran erinnert werden, dass das Amt des Präsidenten grösser ist als jedes Individuum.“

Und die „Neue Züricher Zeitung“ schreibt: „Die Zahl der Dokumentationen, Neuerscheinungen und Ausstellungen über Robert Kennedy im Amerika des Frühsommers 2018 zeigt, dass der Schmerz um den Verlust dieses charismatischen Politikers anhält und der Ermordete unvergessen bleibt. Das Ambassador Hotel, der Ort des grausigen Geschehens vor 50 Jahren, ist längst verschwunden. Man könnte sagen, dass dasselbe auch mit der Vision Kennedys geschehen ist – der Vision von einem sozial gerechten, brüderlichen, Frieden stiftenden Amerika.“

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