Marius Müller-Westernhagen wird 70: Und ewig motzt der alte Rocker

Er ist einer der erfolgreichsten deutschen Künstler überhaupt. Am Donnerstag, am Nikolaustag, wird Marius Müller-Westernhagen 70 Jahre alt.

Wenn grosse, sehr schlanke Männer in die Jahre kommen, gibt ihr Körper oft ein seltsames Bild ab: Er bewegt sich noch mit jugendlicher Schlaksigkeit, während das Gesicht schon von den Spuren des Lebens gezeichnet ist. Jung und Alt in einem. Marius Müller-Westernhagen (70, „Sexy“) ist so ein Typ.

Man kann nicht sagen, dass man ihm das Alter nicht ansieht. Dafür sind die Falten am Hals und in den Augenwinkeln zu widerspenstig. Aber das macht überhaupt nichts, denn sein Habitus und seine Ausstrahlung sind alterslos. Marius Müller-Westernhagen meint damit: Haltung. Seine Einstellung zum Leben. Da werden die Falten zum ungebändigten Koordinationsnetz des Charakters. Am heutigen Nikolaustag wird er 70 Jahre alt.

Er geht seinen Weg

Der ewige Schlaks nun auch schon 70 – in den Augen vieler (weiblicher) Fans ein Unding. Sie haben ihn immer noch in Erinnerung als prolligen, aber unwiderstehlichen Ruhrgebiets-Trucker Theo, der mit seinem Lastwagen durch halb Europa hetzt. Da war er noch Schauspieler. Oder als Sänger, der dem Publikum in einem seiner grössten Hits „Ich bin wieder hier, in meinem Revier“ entgegenröhrt. Da war er noch Rockstar.

Egal, ob Musiker oder Schauspieler – Marius Müller-Westernhagen hat immer den geradlinigen Typen geliefert. Er war stets unbeirrbar auf Kurs. In der Branche sagt man dann, halb respektvoll, halb resignierend: Er geht seinen Weg.

Westernhagen hat oft gegen die „Unterhaltungsindustrie“ gekeilt – „Da wäscht eine Hand die andere“ – und seine eigene Position 2010 in einem Beitrag für die „Zeit“ so beschrieben: „Der Künstler tritt mit dem Wunsch an, etwas zu vermitteln. Etwas, was ihm am Herzen liegt, an das er glaubt. Gelingt ihm das nicht, wird er das als Scheitern empfinden und seine Form der Vermittlung vielleicht überdenken. Besitzt er Haltung, wird er weiter an seiner Botschaft festhalten und umso mehr versuchen, sein Publikum zu überzeugen.“

Mainstream war und ist ihm ein Gräuel, deshalb fühlt er sich pudelwohl, wenn er provozieren kann. 1978 wollte er mit dem Song „Dicke“ zeigen, wie sich Menschen diskriminiert fühlen können, wenn sie nach ihren Körpermassen beurteilt werden. Das Dumme war nur, dass die Kritik Müller-Westernhagens vermeintliche Schmähungen als seine eigene Ansicht ernst nahm, vermutlich weil das Publikum so begeistert war. Einige Radiostationen weigerten sich gar, den Song zu spielen.

Westernhagen privat

Eigentlich wollte er ja Profi-Fussballer werden, wie so viele kleine Jungs. Er hatte sogar einen Sichtungslehrgang der Jugendnationalmannschaft absolviert. Position: offensives Mittelfeld. „Damals wurde man nicht nach Talent ausgesucht, sondern nach Entwicklungsstand“, sagte er einst der „Frankfurter Rundschau“. „Ich war klein und schmächtig. Ich erinnere mich an einen anderen Jungen in meinem Lehrgang: Kein guter Fussballer, aber doppelt so gross wie alle anderen. Der hat es dann geschafft.“

Er ist dann lieber doch Schauspieler geworden, das liegt ihm wohl in den Genen, denn sein Vater Hans Müller-Westernhagen (1918-1963) war ein bekannter Bühnenstar und Ensemble-Mitglied des Düsseldorfer Schauspielhauses, als ihm der legendäre Gustaf Gründgens (1899-1963) noch als Intendant vorstand. Sein 14-jähriger Sohn Marius hatte seinen ersten Auftritt als Schauspieler in dem TV-Film „Die höhere Schule“ nach einer Vorlage des jüdischen Dichters Scholem Alejchem (1859-1916). Das war 1963.

Im gleichen Jahr starb der Vater mit nur 44 Jahren. Er hatte die Kriegserlebnisse nie verwunden und sich zu Tode getrunken. Als Hans Müller-Westernhagen seinen Sohn in seiner ersten Fernsehrolle sah, lag er schon todkrank im Krankenhaus. Er schickte dem Jungen ein Telegramm mit drei Worten: „Demut und Bescheidenheit.“ Das Telegramm hat Marius Müller-Westernhagen heute noch.

Zu seiner Mutter Liselotte hatte der junge Marius ein schwieriges Verhältnis, das sich erst in den 90er-Jahren besserte. Über die Eltern hat er später gesungen, was wiederum andere in den falschen Hals bekamen und despektierlich fanden: „Ich habe keine Mutter mehr / kann sein, dass sie mir fehlt. / Als sie noch lebte, hasste ich sie, / möglich, dass mich dass quält. / Ich hab‘ auch keinen Vater mehr / er soff sich in sein Grab. / Als er noch lebte, liebte ich ihn, / das ist glaub‘ ich normal. / Was du fühlst, ist nicht immer was du fühlst, / was immer du auch fühlst.“

Die Faszination für die Musik

Obwohl sich Marius Müller-Westernhagen als Schauspieler durchaus berufen fühlte, faszinierte und lockte ihn die Musik. Er brachte sich selbst das Gitarre spielen bei, absolvierte eine klassische Gesangsausbildung – und landete beim „Shouting“, jener Tonlage, bei der die Stimme heiser, doch gut verständlich rüberkommt.

Es scheint Ende der 1960er, als habe der Schauspieler Westernhagen Oberhand gewonnen. Er dreht einen Film nach dem anderen – und zieht dann Anfang der 70er mit seiner 17 Jahre älteren Freundin, der Schauspielerin Katrin Schaake (87), nach Hamburg. Da hat sich wohl sein künftiger Lebensweg entschieden. Er lernt hochtalentierte junge Musiker kennen und zieht in eine Kommune in die Winterhuder „Villa Kunterbunt“. Seine Mitbewohner: Udo Lindenberg (72), Otto Waalkes (70).

Parallel zu seiner Schauspiel-Karriere nimmt er immer wieder Platten auf. Für die Satiresendung „Express“ (ZDF) macht er 1972 den Song „Gebt Bayern zurück an die Bayern“, in Anlehnung an Paul McCartneys (76) Hit „Give Ireland Back to the Irish“. Eine bitterböse Kampfansage an Franz Josef Strauss (1915-1988) und den Freistaat. Wieder hagelt es Proteste. Nach Bombendrohungen wird die Single vom Markt genommen. Aber: Marius Müller-Westernhagen ist nun bekannt, zumindest als Enfant terrible.

Zum Star wird er aber wiederum durch den Film. 1977 kommt „Aufforderung zum Tanz“ in die Kinos. Da spielt Westernhagen erstmals den Fernfahrer Theo, die Fortsetzung „Theo gegen den Rest der Welt“ (1980) hat fast drei Millionen Zuschauer. Er ist auf der Höhe seines schauspielerischen Ruhms und erhält den renommierten Ernst-Lubitsch-Preis. Gleichzeitig gilt er auch als Superstar der Musik. Sein viertes Album „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ (1978) ist ein Granatenerfolg und verkauft sich über eine Million Mal.

An der Spitze

Er ist nun oben an der Spitze angelangt. Mit der Musik von Super-Alben wie „Halleluja“ (1989), „Westernhagen live“ (1990), „Jaja“ (1992) und „Affentheater“ (1994) rockt er die Sport-Arenen, wie es sonst nur Bayern München oder Borussia Dortmund vermögen. Nahezu jeder Deutsche kann zu dieser Zeit klassische Westernhagen-Titel wie „Sexy“, „Wieder hier“ oder „Weil ich dich liebe“ mitsingen – und natürlich auch die grosse Hymne „Freiheit“.

Nicht zuletzt für dieses Lied und sein „gesellschaftspolitisches Engagement“ bekommt Westernhagen 2001 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Nach der Zeremonie ätzte der „Spiegel“ damals: „Einst zog er über Dicke her, jetzt wird ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen – von seinem Busenfreund, dem Bundeskanzler, höchstpersönlich. Marius Müller-Westernhagen ist endgültig im Establishment angekommen.“

Damit ist wohl das Establishment der Showbranche gemeint – mit allen Zutaten wie Schlagzeilen über Scheidung, neue Frau und so weiter. 2013 ging seine Ehe mit dem amerikanischen Model Romney Williams in die Brüche. Die beiden waren 25 Jahre verheiratet, was selbst die „Süddeutsche Zeitung“ erstaunlich fand: „Das Paar galt als Ausnahme im an Scheidungen nicht armen Showbusiness.“

In Sommer 2017 dann erneut News aus dem privaten Bereich. Marius Müller-Westernhagen hat wieder geheiratet – die südafrikanische Sängerin Lindiwe Suttle. Im Juli veröffentlichte Westernhagen ein Bild der beiden bei Facebook – er im Anzug, sie im weissen Kleid. Dazu schrieb er nur: „Yes, we did!“

Yes we did!!!Photo: (c) Olaf Heine

Gepostet von Westernhagen am Freitag, 21. Juli 2017

 

Und dann ist da noch die Tochter Sarah Müller-Westernhagen (33), genannt Mimi. Sie ist Britin und wurde 1985 in England geboren. Ihre Eltern, Westernhagen und die Sängerin und Schauspielerin Polly Eltes, hatten sich bei den Dreharbeiten zu dem Kinofilm „Der Schneemann“ (1985) kennen und lieben gelernt. Das Paar trennte sich, als ihre Tochter drei Jahre alt war, sie ist bei der Mutter aufgewachsen. Sarah lebt mittlerweile in Berlin und ist eine respektable Sängerin.

Auch er wird ruhiger

Ihr Vater ist mittlerweile ruhiger geworden, aber keinesfalls leise. Zuletzt sorgte er in diesem Jahr mit der Rückgabe seiner sieben Echos nach der umstrittenen Auszeichnung für die beiden Rapper Farid Bang (32) und Kollegah (34) für Aufsehen. Dazu teilte Westernhagen auf seiner Facebook-Seite mit: „Eine Industrie, die ohne moralische und ethische Bedenken Menschen mit rassistischen, sexistischen und Gewalt verherrlichenden Positionen nicht nur toleriert, sondern unter Vertrag nimmt und auch noch auszeichnet, ist skrupellos und korrupt.“

Westernhagen wird sicher auch jenseits der 70 immer mal wieder auftreten. Dann werden sie ihm wieder zujubeln, und gut möglich, dass ihn dann die gleichen Gefühle packen, die er vor zwei Jahren dem „Spiegel“ so beschrieb: „Natürlich machst du das alles in erster Linie für dich, sonst wäre es nicht ehrlich. Aber im tiefsten Herzen hat jeder von uns doch den Wunsch, was zu verändern, mit der Kunst ein Spiegelbild der Gesellschaft zu sein. Das beinhaltet aber immer auch die Frustration, die du hast, wenn du vor Hunderttausenden Menschen singst, und ein Publikum siehst, in dem viele verschiedene soziale Schichten, Generationen und Religionen zusammenkommen. Auf einmal ist da eine Solidarität, alle schwingen auf einem Level. Und dann gehen die raus… und am nächsten Tag hast du gar nichts geändert. Alles geht weiter wie vorher.“

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