Wie Keith Flint den Punk in den Rave brachte

Keith Flint war so kompromisslos, wie die Musik von The Prodigy: Auf der Bühne und im Leben ging es ihm vor allem darum, alles mitzunehmen und sich auszudrücken – egal was andere denken. Der perfekte Frontmann! Dass ihm dafür ein Mikrofon in die Hand gedrückt wurde, war eigentlich Nebensache.

Wer in den Neunzigern rebellieren und seinen Eltern Angst machten wollte, der brauchte ihnen nur diesen Mann zu zeigen. Keith Flint war die einfachste Möglichkeit, Mama einen Schock-Moment ins Gesicht zu meisseln und damit wieder für einen traditionellen „Was zur Hölle“-Moment zwischen den Generationen zu sorgen. Der Frontmann von The Prodigy war die konsequente Visualisierung der zu der Zeit wohl kompromisslosesten Band im britischen Rave-Zirkus.

Flint wollte jede mögliche Körperstelle durchlöchern oder tätowieren (oder beides). Die Haare färbte er lange Zeit grün und trimmte sie zur Dämonenfrisur. Die Augen umrandete er schwarz, trug schwere Nietengürtel zu nacktem Oberkörper und eine verzerrte Fratze, die auch Till Lindemann von Rammstein als Bühnen-Inspiration gedient haben könnte.

Dazu ein Zitat, das zu seinem Tod nun wieder viral geht: „Wenn Leute mich furchteinflössend finden, dann scheiss auf sie.“ Es war Flint völlig egal, was andere dachten, ihm ging es nur darum, sich selbst auszudrücken, auch wenn es weh tut, hässlich ist oder furchteinflössend. „Wenn du nicht ehrlich mit dir selbst bist, kannst du gleich aufgeben“, sagte er einst. Mit dieser Haltung brachte er den Punk in die Rave-Szene der Neunziger.

Das Mikrofon war eine weitere Waffe

Eigentlich wollte Flint zu den Liedern seines Bandkumpanen Liam Howlett auf der Bühne nur tanzen – doch dann sollte er auch singen. Plötzlich hatte er mit dem Mikrofon noch eine Waffe in der Hand, mit der er sich unzensiert nach aussen tragen konnte. Seinen ersten Auftritt als Prodigy-Sänger, bei dem er „Firestarter“ ins Mikro rief, verglich er in einem Interview mal mit einem Fallschirmsprung: „Als die ersten Worte aus mir kamen, war es dasselbe, wie aus dem Flugzeug zu springen. Wahnsinn. Das ist keine Kunstfigur, das bin ich, getrieben von Adrenalin und der grossartigen Musik. Ich geniesse es, mich selbst auszudrücken und die Band ist eine gute Entschuldigung dafür.“

Flint war auf der Bühne und in den Musikvideos so energetisch, furchtlos und expressiv, dass nach einem Auftritt der Band bei der britischen Musikshow „Top of the Pops“ die Telefone glühten aufgrund der Beschwerdeanrufe. Im Video zu „Firestarter“ tanzt, guckt und singt Flint so irre für damalige Verhältnisse, dass die BBC es aus dem Programm nahm, nachdem Eltern befürchteten, seine Verrenkungen würden ihren Kindern einen Schrecken einjagen. Dabei war das erst der Anfang: Der Text und das Video zu „Smack My Bitch Up“ waren so gewalt- und drogenverherrlichend, dass MTV es nur nachts sendete und teilweise ganz aus dem Programm nahm. Die Band war stolz drauf: „Keine Radiostation würde den Song spielen, deshalb dachten wir uns, machen wir ein Video, das auch kein Sender spielen wird“, erklärte Liam, der kreative Kopf hinter The Prodigy, einmal den progressiven Ansatz der Band.

Sex, Drugs & Rave

Bei der Kunst hörte diese Art zu leben natürlich nicht auf: Flint, der mit 15 von der Schule geschmissen wurde, lebte das ganze Programm: Sex, Drugs & Rave. Seinen kompromisslosen Lifestyle erklärte er einmal mit den Worten: „Wenn ich – wenn überhaupt – 65 werde, möchte ich sagen können, ich habe alles getan, und zwar richtig. Ich möchte wissen, dass ich mit jeder Menge Frauen geschlafen und meine ultimativen Sexfantasien ausgelebt habe. Ich möchte wissen, dass ich mein Haar in jeder Farbe gefärbt und mir alles an meinem Körper gepierct habe, was man piercen kann. Selbst wenn all meine geliebten Tattoos dann schlaff aussehen, kann ich sagen: Ich hab’s getan.“

Tatsächlich wurde selbst ein Keith Flint mit dem Alter etwas ruhiger. 2006 heiratete er die japanische DJane Mayumi Kai. In Interviews beschwerte er sich weiterhin lauthals darüber, dass die elektronische Musik mittlerweile weichgespült und kommerziell geworden sei. Und erklärte der „Berliner Zeitung“, dass er nicht mehr wirklich feiern gehen würde: „Es ist einfach nicht mehr mein Ding, auch wenn ich auf der Bühne immer noch so wild drauf bin wie früher. Ich finde, dass ich mittlerweile zu einem englischen Gentleman gereift bin.“

Nun ist Keith Flint im Alter von 49 Jahren gestorben. Gründungsmitglied Liam Howlett bestätigte am Montag auf Instagram den Tod des Frontmanns mit den Worten: „Die Nachrichten sind wahr, ich kann nicht glauben, dass ich das sagen muss, aber unser Bruder Keith hat sich am Wochenende das Leben genommen. Ich bin zutiefst schockiert, verdammt sauer, durcheinander und mein Herz ist gebrochen. R.I.P. Bruder“.

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