Tenno Naruhito und die geheimen Rätsel seines Palastes

Japans Kaiser Akihito dankt zugunsten seines Sohnes Naruhito ab. Die Bedeutung der ältesten Monarchen-Dynastie der Welt hat sich im Laufe der Jahrhunderte stark verändert.

Nein, der Tenno ist nicht tot. Er ist nur gegangen. Leicht wie ein welkes Blatt im Herbstwind, so entspräche es wohl auch sinnbildlich der japanischen Mythologie. Japans Kaiser Akihito (85), ein zierlicher alter Mann, hat sich vollends hinter die Palastmauern in den Ruhestand zurückgezogen, um sich nur noch dem Studium von Süsswasserfischen und der Natur, aus der alles kommt, zu widmen. Ihm folgt sein ältester Sohn Naruhito (59) auf den Thron. Es lebe der Tenno.

Es ist eine stille, unspektakuläre Amtsübergabe in der ältesten Monarchen-Dynastie der Welt. Der erste Tenno (jap. Kaiser) war Jimmu, der nach der religiösen Überlieferung des Shintoismus göttlichen Ursprungs war. Er wurde im Jahr 660 v. Chr. Herrscher und war der Legende nach ein Urenkel von Ningi, einem Enkel der Sonnengöttin Amaterasu, die Ningi vom Himmel herab auf die Erde geschickt hatte, um dort Reis zu pflanzen und zu regieren.

Alle japanischen Herrscher führen ihren Ursprung – und Autorität – auf Amaterasu zurück. Sie ist die personifizierte Sonne und Göttin des Lichts und gilt als Ahnherrin des Geschlechts, dem auch Akihito entstammt. Der war in der langen Reihe seiner Ahnen der 125. Tenno, sein Sohn wird zum 126. gekrönt.

Nur mehr „Symbol des Staates“

Die japanischen Kaiser haben kaum noch weltliche Macht. Sie sind nach der Verfassung von 1946 lediglich „Symbole des Staates und der Einheit des Volkes“. Der Tenno ist de jure noch nicht mal das Staatsoberhaupt. Er ernennt zwar die Premierminister und Präsidenten des obersten Gerichtshofes, er beruft das Parlament ein, verkündet neue Gesetze und nimmt die Akkreditierungsschreiben ausländischer Botschafter entgegen, aber er besitzt keine Entscheidungskompetenz.

Gleichwohl hat der Tenno eine hohe moralische und kulturelle Bedeutung als „himmlischer Herrscher“, er ist zugleich der oberste Shinto-Priester. Aber er ist kein göttliches Wesen mehr, wie die Japaner ihre Herrscher viele Jahrhunderte lang verehrten.

Das war noch bei Akihitos Vater Hirohito (1901 – 1989) anders. Er war bis zu seinem Tod Staatsoberhaupt und während des Zweiten Weltkriegs Oberbefehlshaber der japanischen Streitkräfte. Nach Kriegsende erkannten ihm die Siegermacht USA den gottgleichen Status ab und schränkten seine Macht stark ein, liessen ihn aber auf dem Thron und von der Verfolgung japanischer Kriegsverbrechen unbehelligt. Obwohl Hirohito „für jede militärische und politische Entscheidung, ebenso für alle Aktionen meiner Untertanen während des Kriegsverlaufs“ die Verantwortung übernommen hatte.

Die Verehrung im Volk für Tenno Hirohito war ungebrochen. Als ihm die Nachkriegsregierung sein Vermögen konfiszierte und er nicht mehr seine Gärtner bezahlen konnte, meldeten sich über 20’000 Frauen und Männer bei ihm zum kostenlosen Arbeitseinsatz. 1989 starb Hirohito – und die Sicherheitsbehörden befürchteten eine Selbstmordwelle im ganzen Land. Es schieden jedoch nur drei Japaner freiwillig aus dem Leben, um ihren Tenno ins Jenseits zu begleiten und ihm zu dienen.

Akihito sorgte für Unmut

Mit seinem ältesten Sohn Akihito als Nachfolger wurde das Amt des Tenno verweltlicht, obwohl auch er hinter den Palastmauern von Kokyo im Zentrum Tokios für die Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar blieb. Akihito wurde von 1946 bis 1951 von der amerikanischen Erzieherin Elizabeth Gray Vining erzogen und in Englisch unterrichtet. Sie übte grossen Einfluss auf ihn aus und lehrte ihn, sich innerlich zu befreien. Akihito hat seitdem selten auf diese Freiheiten verzichtet, wobei er ständig mit den konservativen Beamten des Kaiserlichen Hofamts kollidierte.

Er weigerte sich, eine Dame aus dem japanischen Hochadel zu heiraten, wie es das Protokoll vorsieht. Stattdessen ehelichte er die katholisch erzogene Michiko Shoda, Tochter eines reichen Getreidehändlers, die er auf dem Tennisplatz kennengelernt hatte. Kronprinz Naruhito liess er entgegen den Wünschen des Hofes in Oxford studieren. Er schrieb seine Reden selbst und liess die für ihn vorgefertigten Texte beiseite.

Bei einer Begegnung mit dem chinesischen Botschafter in Tokio „bedauerte“ er sogar das Vorgehen der Japaner in China während des Krieges – was sein Vater nie öffentlich getan hatte und was der Hof ganz und gar nicht billigte. Der „Spiegel“ schrieb dazu: „Der jetzige Kaiser soll von dem Internationalen Tribunal in Tokio, das den Kriegspremier General Tojo und sechs andere Japaner zum Tode durch den Strang verurteilt hatte, tief beeindruckt gewesen sein. Sie wurden an seinem 15. Geburtstag gehängt.“

Japanische Traditionalisten reagierten irritiert auf Akihitos weltoffene Art und seine unjapanische Erziehung. Schon früh habe seine amerikanische Lehrerin mit „ausländischen Gedanken und europäischen Vorstellungen von Monarchie“ Herz und Verstand des jungen Prinzen Akihito vergiftet, meinte der Historiker Yuji Aida von der Universität Kioto. Akihito nahm die Kritik gelassen auf. Auf die Frage, welche Art von Sou-verän er denn sein möchte, antwortete er: „Wie ein König von Dänemark.“

„Bete mit vollem Herzen“

Nun hat er nach 30 Jahren als Tenno aufgrund verschiedener Erkrankungen freiwillig abgedankt, wozu die Regierung ein neues Gesetz verabschieden musste. An seinem letzten Tag trug er bei der Zeremonie im Palast einen schwarzen Cut und sagte am Ende seiner kurzen Rede: „Ich bete mit vollem Herzen für den Frieden und das Glück der Menschen in Japan und auf der Welt.“ Dann verliess er den Saal mit einem „langen, nachdenklichen Blick auf die Anwesenden (FAZ).“

Er geht als Gefeierter, vom Volk verehrt, beliebt wie kein anderes Mitglied der Kaiserfamilie vor ihm. Er wird sich der Erforschung von Süsswasserfischen widmen, wobei er schon jetzt als international anerkannter Experte gilt. Er wird mit seiner Frau Cello spielen, während sie am Flügel sitzt. Schon bei der Inthronisierung seines Sohnes Naruhito ist er nicht mehr dabei.

Naruhito hat sich ganz im Sinne des Vaters auf seine Zeit als Tenno vorbereitet. Er weiss sehr wohl, dass er die Moderne mit einer uralten Tradition verbinden muss, wenn er erst mal auf dem Chrysanthementhron sitzt. Dieser Thron hat seinen Namen vom kreisrunden kaiserlichen Siegel, das 16 gelbe Blütenblätter aufweist. Es darf nur von Mitgliedern der kaiserlichen Familie verwendet werden, ziert u.a. aber auch die Hülle des japanischen Passes.

So läuft die Inthronisierung ab

Am Tag der Inthronisierung bekommt Naruhito die japanischen Throninsignien überreicht. Es sind die wertvollsten Schätze des Kaiserhauses, die weder der Wissenschaft noch der Öffentlichkeit zugänglich sind. Es gibt keine echten Abbildungen, auch vom Kaiserhaus selbst wurden sie nie beschrieben. Es handelt sich dabei um das Schwert Kusanagi no Tsurugi, den Edelstein Yasakani no Magatama und den Spiegel Yata no Kagami. Die drei Gegenstände sollen die drei höchsten Tugenden des Tenno verkörpern. Das Schwert steht für Tapferkeit, der Edelstein für den Willen zum rechten Handeln, der Spiegel für Weisheit. Der Legende nach sollen die Throninsignien von der Lichtgöttin Amaterasu dem ersten Tenno überlassen worden sein. Sie sind Erbstücke der Herrscherfamilie und stammen angeblich aus der Bronzezeit.

Vom neuen Tenno Naruhito nehmen politische Beobachter an, dass er in den meisten Angelegenheiten so aufgeschlossen denkt und handeln wird wie sein Vater, der ihn ent-sprechend geprägt hat. Er studierte an der Gakushuin-Universität in Tokio sowie in Oxford (England) Geisteswissenschaften und schloss mit einem Master-Titel ab.

Auch Naruhito kämpfte gegen die Traditionen

Wie sein Vater heiratete er gegen den Widerstand des Hofamtes als Kronprinz eine Bürgerliche, obendrein eine richtige Karrierefrau: Masako Owada entstammt zwar einer ehemaligen Samurai-Familie, ihr Vater war aber bürgerlicher Richter und Diplomat. Sie studierte in Harvard (USA) und Oxford (England) Wirtschaftswissenschaften und arbeitete danach im japanischen Aussenministerium als Diplomatin.

Dass sie mit ihrer Körpergrösse von 1,61 Meter ihren Mann zudem noch um ein paar Zentimeter überragt, ist den Traditionalisten ein weiterer Dorn im Auge. Doch Naruhito hat sich entschieden: Entweder die oder keine! Hochzeit 1993, 2001 wurde nach acht Jahren Ehe und einer Fehlgeburt (1999) Prinzessin Aiko geboren. Wieder kam es zu Querelen innerhalb des Hofstaates. Nach einem Gesetz über den kaiserlichen Haushalt ist es nur männlichen Erben gestattet, den Chrysanthementhron zu besteigen. Es folgte eine öffentliche Debatte, um auch Frauen das Amt des Kaisers zu ermöglichen.

Vermutlich waren diese Diskussionen der Anlass für Depressionen, an denen Masako erkrankte. Das Hofamt umschrieb das mit „Anpassungsstörungen“, worauf ihr Ehemann ungewöhnlich reagierte: Naruhito nahm seine Frau öffentlich in Schutz und sagte, sie habe „mit grosser Kraft versucht, sich der kaiserlichen Familie anzupassen.“ Doch das habe sie seiner Meinung nach völlig erschöpft. Er sprach auch von „Bestrebungen“, die es gegeben habe, um „Masakos Karriere und Persönlichkeit zu negieren.“

Die Debatte wurde beendet, als 2006 Prinz Hisahito zur Welt kam, der Sohn von Naruhitos jüngerem Bruder Prinz Fumihito. Endlich hatte die Kaiserfamilie wieder einen männlichen Thronerben. Das Kind nimmt nun in der Thronfolge Rang zwei ein, nach Fumihito, dem Bruder des Tenno. Naruhito ist nicht nur wie sein Vater ein glänzender Musiker (spielt Violine und Bratsche), sondern auch eng mit der Natur verwurzelt. Er setzt sich für den Gewässerschutz ein, liebt das Wandern und wird – eine heilige Pflicht des Tenno – im Palastgarten Reis nach uralten Riten anbauen.

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