Akzeptanz statt Verehrung: Wie wir mit Michael Jackson umgehen können

Auf den Tag genau vor zehn Jahren starb Michael Jackson. Der „King of Pop“ hinterliess fantastische Songs und ein skandalumwittertes Andenken.

Der König ist tot, es lebe der König? So oder so ähnlich lässt sich das Verhältnis der Weltöffentlichkeit zum selbsternannten „King of Pop“ Michael Jackson (1958-2009) beschreiben. Denn die auf den Tag genau vor zehn Jahren verstorbene Pop-Majestät hat ihren Fans nicht nur einige der grössten Songs des 20. Jahrhunderts hinterlassen – sondern auch ein von Missbrauchsvorwürfen und Gerichtsprozessen zertrümmertes Andenken, das sich nicht ohne weiteres fortführen lässt.

Zu schwer wiegen die Vorwürfe, die die beiden ehemaligen Kinderfreunde Jacksons im April 2019 in der HBO-Doku „Leaving Neverland“ gegen den Jahrhundertmusiker erhoben haben. Zu übereinstimmend sind die Erzählungen von Wade Robson und James Safechuck und vieler weiterer Zeugen, die in dem Film systematischen, planvollen Missbrauch schildern und sich teils in schwer erträglichen Details ergehen. Radiosender nahmen Jacksons Songs nach der Doku aus ihrem Programm, die legendären „Simpsons“ verbannten gar eine Folge mit Jacko ins Archiv.

Zwar kann ein Dokumentarfilm, egal welcher Länge, kein Urteil im Namen des Volkes sprechen. Juristisch gesehen ist, und bleibt, Michael Jackson von den Kindesmissbrauchsvorwürfen freigesprochen. Vor dem Gesetz ist er unschuldig. Dennoch bleibt in der Post-„Leaving Neverland“-Ära ein mehr als schaler Beigeschmack und die Frage: Lässt sich die Kunst wirklich vom Künstler trennen?

Ungebrochene Verehrung

Denn auch das gehört zum Jahr zehn nach Michael Jackson: Die Liebe seiner Fans zu ihm und seiner Musik ist ungebrochen. Das Michael-Jackson-Musical „Beat it!“ etwa lockte laut Veranstalter in seinem Premierenjahr allein im deutschsprachigen Raum rund 180.000 Zuschauer in die Konzerthallen. Für das Jahr 2020 sind dutzende weitere Vorstellungen geplant.

Die Fans des Pop-Königs halten zu ihrem Idol. Sie verweisen auf den Freispruch aus dem Jahr 2005 und darauf, dass Robson und Safechuck 1993 noch beide zu Gunsten ihres mutmasslichen Peinigers aussagten, Robson 2005 sogar erneut. Das sei unglaubwürdig, den beiden Männern ginge es um Aufmerksamkeit, um Geld, so die Vorwürfe. Mancher Fan geht offenbar sogar noch weiter. Wade Robson will Todesdrohungen erhalten haben wegen seiner Aussagen in „Leaving Neverland“.

Kunst und Künstler trennen

Für diejenigen, die Jackson verehren, ist die Frage also leicht zu beantworten: Ja, Kunst und Künstler lassen sich trennen, beziehungsweise müssen in diesem Fall nicht getrennt werden. Ganz egal, wie schwer die Vorwürfe auch wiegen mögen. Und es stimmt ja auch: Würden sämtliche Künstler, Autoren und Musiker, die sich zu ihren Lebzeiten oder posthum als ungemütliche Zeitgenossen herausstellten oder tatsächlich Verbrechen begingen, verbannt, die Bibliotheken, Konzertsäle und Galerien der Welt wären ein ganzes Stück leerer.

Der 1991 verstorbene Klaus Kinski (1926-1991) etwa war ein exzentrischer Choleriker, der Journalisten Schläge androhte und seine eigene Tochter missbraucht haben soll – der Abenteuerfilm „Fitzcarraldo“ geniesst mit 8,1 trotzdem eine recht hohe Wertung bei IMDB. Schriftstellerin Thea Dorn (48, „deutsch, nicht dumpf“) spitzte die Debatte noch etwas weiter zu, als sie im Interview mit „Deutschlandfunk Kultur“ fragte, seit wann Kunst eine Benimmschule sei.

Das Gespräch war im Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen gegen Schauspieler Kevin Spacey (59) geführt worden. Der muss sich gerade vor Gericht in den USA gegen Vorwürfe wehren, während sich die Serie „House of Cards“ nach wie vor grosser Beliebtheit erfreut. Warum sollten für Michael Jackson andere Regeln gelten? Bewiesen sind die Vorwürfe gegen den Sänger nicht, im Gegenteil. Also einfach „Thriller“ einlegen und zur Tagesordnung übergehen? Schliesslich kann das Lied ja herzlich wenig für die Machenschaften, die seinem Komponisten angehängt werden.

Die Kunst gehört zum Künstler

Wer so denkt, muss sich zumindest den Vorwurf gefallen lassen, dass er oder sie es sich arg einfach macht mit dem Vermächtnis des „King of Pop“. Denn Kunst und Künstler gehören – gerade in der Pop-Musik – zusammen. Wer wollte etwa argumentieren, Pop-Star Miley Cyrus (26, „She Is Coming“) inszeniere sich in ihren Liedern, in ihrem Auftreten und ihren Rollen, nicht als Rebellin, die mit voller Absicht gegen die Erwartungen verstösst, die die Gesellschaft an sie (und Frauen ganz generell) richtet? Miley, ihre Musik und die damit transportierte Haltung gehören zusammen – und ihre Fans lieben sie dafür.

Das gilt auch für Michael Jackson, dessen Musik geradezu untrennbar mit dem Interpreten vereint ist: „Billy Jean“ etwa ist ein Gesamtkunstwerk aus Jackson, seinen Erfahrungen als Superstar, der Musik (und später dem Moonwalk). Das eine ist ohne die jeweils anderen nicht vorstellbar. Schliesslich könnte Michael Jackson nicht so eindringlich von einer Frau singen, die ihm ein Kind anhängen will, hätten er und seine Brüder mit der Band Jackson 5 dies nicht selbst erlebt.

Peter Pan auf dem Kinderspielplatz

Besser wäre es da wohl, zu akzeptieren, dass Michael Jackson möglicherweise etwas mehr als nur ein Mann war, der niemals erwachsen werden wollte, deswegen kleine Kinder als seine besten Freunde betrachtete und Peter Pan verehrte. Würde uns ein fremder Mann in grünen Strumpfhosen so etwas auf einem Spielplatz erzählen, wir würden aus Angst um unsere Kinder vermutlich die Polizei rufen. Selbst wenn dieser Fremde sich ganz fantastisch bewegen könnte und dazu vom „Man In The Mirror“ sänge.

Der Vorteil dieser Akzeptanz ist, dass sie Raum schafft, in dem ein würdevolles Erinnern an einen ganz besonderen Musiker möglich ist. Ein Erinnern, bei dem das Gesamtkunstwerk Michael Jackson im Mittelpunkt steht, und nicht nur das, was seine Fans oder Kritiker jeweils als den einen Aspekt herausstellen, der das Jackson-Gedenken dominieren soll. Im aktuellen Zustand pendelt die Jackson-Erinnerung hin und her zwischen dem möglichen Monster, dem Opfer, und, davon wundersam losgelöst, seiner Musik.

In einer akzeptierenden Erinnerung hingegen müssten Kunst und Künstler nicht voneinander getrennt werden, sie stünden vielmehr gleichberechtigt nebeneinander, und alle könnten sich ihr eigenes Bild machen – und mit „Heal The World“ im Ohr an einer besseren Welt arbeiten.

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