Christopher Nolan: Der Meister des Gedankenspiels wird 50

Schindluder mit der Zeit, fantastische (Traum-)Welten und immer wieder Michael Caine: Zu Ehren von Christopher Nolans 50. Geburtstag hier die bisherigen Meilensteine seines Schaffens.

Nach einer ersten Verschiebung hätte am 30. Juli hierzulande eigentlich Christopher Nolans neuer Film „Tenet“ erscheinen sollen. Doch aus diesem Termin, der genau auf den 50. Geburtstag des Filmemachers gefallen wäre, wurde ebenfalls nichts – und auch der dritte angepeilte Kinostart am 12. August ist schon wieder Geschichte. Nun soll es der 27. August richten. Die Veröffentlichungsgeschichte des Streifens erinnert dabei selbst ein wenig an die Qualitäten, aber auch an die Kritikpunkte, die das heutige Geburtstagskind Zeit seines Schaffens begleiten: Einerseits hochgradig ambitioniert, richtungsweisend und heiss erwartet. Andererseits unnötig kompliziert, dezent grössenwahnsinnig – und mit offenem Ende.

Ein Nolan kommt selten allein

Die Filme des am 30. Juli 1970 in London geborenen Filmemachers können durchaus als Familienbetrieb bezeichnet werden – sowohl buchstäblich als auch im übertragenen Sinne. Bei allen Filmen fungierte bislang Ehefrau Emma Thomas (48) als Produzentin. Die meisten Drehbücher entstanden derweil in Co-Produktion mit seinem Bruder Jonathan Nolan (44), der das Faible, Geschichten auf (positiv) verschwurbelte Art und Weise zu erzählen, teilt. Das wird etwa bei der Serie „Westworld“ überdeutlich, für die Jonathan Nolan verantwortlich zeichnet.

Im übertragenen Sinne sind Nolan-Filme familiär angehaucht, weil er sich in seinen bisherigen Werken als höchst treue Seele entpuppt hat. Allen voran Sir Michael Caine (87) wirkte seit der „Dark Knight“-Trilogie in allen weiteren Filmen mit, von „Prestige“ über „Inception“ und „Interstellar“ bis hin zu „Dunkirk“. Und auch in „Tenet“ grüsst Caine schon wieder im Trailer. Ebenfalls gerne arbeitet Nolan mit Tom Hardy (42, „Dark Knight Rises“, „Inception“, „Dunkirk“) zusammen, Cillian Murphy (44, „Batman Begins“, „Inception“, „Dunkirk“) kann sich auch regelmässig auf einen Anruf gefasst machen. Von Komponisten-Legende Hans Zimmer (62) und Kamera-Spezialist Wally Pfister (59) ganz zu schweigen.

Ein Mann der alten Filmschule

Bleiben wir bei der Familien-Analogie: Als geistiger Vater von Nolans Schaffen gilt Regisseur Stanley Kubrick, der ihn ab frühester Kindheit faszinierte. Und auch im Privaten hält es Nolan wie das 1999 verstorbene, wenn auch als ungleich komplizierter verschrienes Genie: zurückgezogen und auf Privatsphäre bedacht.

Zuweilen erweckt Nolan den Eindruck, er hätte gerne zu den Zeiten von Kubrick und Co. Filme gemacht. Als Autorenfilmer der alten Schule hält er nichts von digitalen Aufnahmeverfahren, 3D ist ihm auch nicht geheuer. Und seit „The Dark Knight“ soll er sich von Warner vertraglich festschreiben haben lassen, stets den finalen Schnitt seiner Filme zu bestimmen. Er ist eben kein Mann für nachträglich veröffentlichte „Director’s Cuts“.

Ein Spiel auf und mit der Zeit

Sowohl stilistisch als auch erzählerisch jongliert Christopher Nolan liebend gerne mit der Zeit und existenzialistischen Fragen. Kaum ein Film kommt ohne Rückblenden aus, die in ihrer Bildsprache gerne an einen Terrence-Malick-Streifen erinnern. Narrativ eigentlich recht geradlinigen Filmen wie „Dunkirk“ oder – auf die Spitze getrieben – „Memento“ von 2000 verleiht er durch raffiniertes Editing Tiefgang. Als reines Gimmick sollte das nicht abgetan werden, auch wenn Nolan-Kritiker das vielleicht anders sehen. In „Memento“ etwa versetzt er die Zuschauer durch die Tatsache, viele Szenen des Films in umgekehrter Chronologie zu zeigen, in die missliche Lage der Hauptfigur – Leonard (Guy Pearce, 52) leidet an anterograder Amnesie, hat also die Fähigkeit verloren, neue Erinnerungen abzuspeichern.

In „Interstellar“ mit Matthew McConaughey (50) dreht sich wie im neuen „Tenet“ sogar alles um das Thema Zeit, Zeitreisen und die (ausgehebelten) Gesetze der Physik. So auch im herausragenden Film „Prestige“, in denen er nicht nur Hugh Jackman (51) und Christian Bale (46) aufeinanderhetzt – sondern auch Realität und Science-Fiction. Und in „Inception“ weiss Leonardo DiCaprio (45) nur per Kreisel besagte Realität von der Traumwelt zu unterscheiden.

Die Kritik

Das bietet selbstredend auch Raum für Kritik. Was Fans als deutliche Handschrift des Regisseurs werten, sieht die Gegenseite als mangelnde Varianz von seinem erzählerischen Mittelwert. Zudem wird Nolan gerne vorgehalten, seine Filme einerseits unnötig kompliziert aufzublasen, um die Handlung dann recht plump von den Figuren erklären zu lassen. Ganz von der Hand zu weisen mag dies nicht sein, wenn sich in „Interstellar“ Astronauten gegenseitig – und somit die Zuschauer – über die Gesetze von Schwarzen Löchern belehren.

Auch habe Nolan ein Problem damit, Frauenrollen zu schreiben. Deren Tod ist entweder die Motivation des Hauptdarstellers („Memento“, „Prestige“, „Inception“, „Interstellar“, „The Dark Knight“) – und bleiben sie am Leben, entpuppen sie sich gerne als durchtrieben und böse.

König der Nominierungsliste

Eines sollte aber nicht vergessen werden: Bei all dieser durchaus berechtigten Kritik ist Christopher Nolan der vielleicht einzige Regisseur, der spätestens seit der „Dark Knight“-Trilogie absolute Mainstream-Blockbuster dazu nutzt, um das Publikum geistig fordern zu wollen. Ein hehres Unterfangen, das schon zu unzähligen Nominierungen geführt hat, ihm den ganz grossen Wurf bislang aber verwehrte.

Fünf Oscar-Nominierungen, vier Golden-Globes-Nominierungen, fünf BAFTA-Nominierungen und vier weitere bei den Directors Guild of America Awards… nicht eine davon konnte er in einen Preis ummünzen. Aber dafür ist ja noch reichlich Zeit – auch wenn die bekanntlich relativ ist und bei Christopher Nolan selten linear verläuft.

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