Vision Pro: Gelingt Apples Offensive auf dem VR-Markt?

Die Vision Pro braucht keinen anderen Input als die Augen und Hände ihres Trägers.

Quelle: Ringo Chiu/Shutterstock.com

Apples lang erwartetes Headset ist endlich auf dem Markt. Was die Brille wirklich kann und ob andere Hersteller sich vor ihr fürchten müssen.

In den USA ist Apples „Vision Pro“ seit wenigen Wochen auf dem Markt. Das Interesse an dem ersten VR-Headset des Konzerns ist riesig. Review-Videos auf YouTube hamstern binnen weniger Stunden nach Veröffentlichung Millionen von Klicks, denn von den Tech-Pionieren aus Cupertino, Kalifornien, erwarten die Menschen Produkte der ersten Güteklasse. Und die liefert Apple auch – allerdings mit Abstrichen. Kann der Angriff auf Meta, Sony, Valve und Co. gelingen?

Es ist eine ungewohnte Situation, vor der Apple mit dem Markteintritt der „Vision Pro“ steht: Normalerweise ist das Unternehmen von Tim Cook (63) selbst die Speerspitze der technischen Innovation, doch mit dem Konzept von VR-Brillen wurde man offenbar nie richtig warm. Das ist auch daran zu spüren, dass das Wort „Virtual Reality“ oder seine Abkürzung VR in den Produktpräsentationen praktisch nicht vorkommt, Apple seine Brille als AR-Headset vermarktet und lieber gleich von „Spacial Computing“ (zu Deutsch etwa: raumbezogene Datenverarbeitung) als von VR spricht.

Rein technisch ergibt das auch Sinn, weil Apple seine Brille nicht nur mit Kameras, sondern auch mit Lidar-Scannern ausstattet. Letztere können Objekte im Raum physisch erfassen und sind seit mehreren Generationen auch standardmässig in allen iPhones verbaut. Daran wird deutlich, wie sehr Apple auf „Augmented Reality“ (AR) hinarbeitet, also die Integration digitaler Inhalte in der echten physischen Welt. Dementsprechend gestaltet der Konzern auch sein Marketing: Auf den ersten Präsentationsvideos zur „Vision Pro“ liegt der Fokus eindeutig darauf, dass Menschen Blickkontakt halten und gesehen werden können, während sie die Brille tragen. Es soll das Bild vermittelt werden, dass Nutzerinnen und Nutzer nicht von der Aussenwelt abgeschnitten sind, sondern mit ihr interagieren können.

Marketing vs. Realität: Die „Vision Pro“ ist nicht wirklich blickdurchlässig

De facto bleibt es aber dabei, dass Kameras und Sensoren die Umgebung erfassen, das Signal verarbeiten und dann auf einem Display darstellen müssen. Zwar geschieht das mit nur zwölf Millisekunden in unglaublicher Geschwindigkeit und die verbauten Displays sind derart hochwertig, dass unsere Augen keine einzelnen Pixel mehr sehen können – technisch aber handelt es sich durch diesen Aufbau um eine VR-Brille. Das wäre eigentlich nicht weiter tragisch, denn Apple liefert ein Gerät der ersten Güteklasse. Weil man aber offenbar VR-Anwendungen bewusst vernachlässigt und die „See-Through“-Augen des Trägers alles andere als überzeugend wirken, bleibt die „Vision Pro“ bis zu den ersten grossen Updates zunächst eine ausgesprochene Solo-Erfahrung.

Denn selbst wenn eine andere Person ebenfalls eine „Vision Pro“ trägt, kann man das, was man unter der Brille sieht, nur teilen, indem man ein Video davon aufzeichnet. Apple wirbt zwar damit, dass man per Rädchen an der Brille den Grad zwischen VR und AR regulieren kann, doch wenn sich ein User beispielsweise an den Grand Canyon setzen möchte, um einen Film in Überlebensgrösse zu sehen, kann er oder sie das nur allein tun. Es ist derzeit nicht möglich, zwei Brillen miteinander zu synchronisieren und die virtuelle Umgebung gemeinsam zu erleben.

Hard- und Software-Ausstattung teils mit Frage-, teils mit Ausrufezeichen

Dazu kommt der Umstand, dass Apple beim Design der Brille offenbar mit First-Generation-Problemen zu kämpfen hat. Zwar setzt der Konzern auf hochwertige und bequeme Materialien, stellt aber ein wichtiges Grundproblem hinten an: Das Gewicht der Brille (immerhin 650 Gramm) sollte nicht auf der Nase und den Wangenknochen ruhen oder sich danach anfühlen, dass man ständig etwas auf dem Gesicht hat. Meta beispielsweise löst dieses Problem in der dritten „Quest“-Generation (515 Gramm) damit, das Gewicht auf die Stirn zu verlagern. Dies bedeutet jedoch einen Design-Kompromiss, denn die Brille wird dadurch grösser. Dass Apple sich für die von aussen betrachtete Optik entschieden hat statt für den von innen empfundenen Komfort, zählt zu den am häufigsten genannten Kritikpunkten der „Vision Pro“.

Obendrein hat Apple zum Launch seines Headsets mit der Verfügbarkeit von Software zu kämpfen. Eigene Apps von Netflix, TikTok oder YouTube gibt es für die Brille erst einmal nicht, denn Apple befindet sich wegen Lizenzstreitigkeiten im Clinch mit mehreren grossen Entwicklern. So liegt der Fokus bislang auf der eigenen Software und ihrer Integration ins Apple-Ökosystem, in das die meisten der „Vision Pro“-Kunden bereits eingebunden sein dürften. Tatsächlich kann die Brille ihre Stärke dort gekonnt ausspielen, etwa wenn sie das Display eines MacBooks ad hoc übernimmt und in beliebiger Grösse gestochen scharf darstellt.

Auch der konsequente Fokus auf Augmented Reality ist erfrischend anders, ebenso der Verzicht auf physische Controller und die technisch hochwertige Umsetzung des Augentrackings. Die Brille nutzt die verbauten Sensoren hervorragend, Menüs und einzelne Fenster bleiben mit ungeheurer Präzision dort in der echten physischen Umgebung verankert, wo man sie platziert und skaliert. Selbst, wenn man einen Raum verlässt und zurückkehrt, findet man die digitalen Objekte dort wieder, wo man sie hinterlassen hat. Wünschenswert wäre dabei jedoch, dass man mehrere Ortsprofile anlegen kann, „zu Hause“ und „Arbeit“ beispielsweise. Derzeit müssen Userinnen und User bei einem Ortswechsel ihre Fenster und Ordner nämlich jedes Mal neu platzieren. Hier ist davon auszugehen, dass Apple solcherlei Funktionen per Update nachreichen wird.

Fazit: Ordnet Apple mit der Vision Pro den Markt der smarten Brillen neu?

Apple betritt mit der „Vision Pro“ einen Markt, auf dem sich mehrere Hersteller seit rund einem Jahrzehnt tummeln. Die meisten von ihnen bieten inzwischen weitreichende Ökosysteme für ihre Plattformen an – und das zu deutlich niedrigeren Preisen. So ist Meta mit der „Quest 3“ in der dritten Generation und verlangt für sein in manchen Belangen über-, in anderen unterlegenes Headset zwischen 600 und 1.000 Euro. Sonys zweite VR-Brillen-Generation für die Playstation 5 bewegt sich preislich in einem ähnlichen Rahmen. Das ist eine enorme Diskrepanz zu den 3.500 Dollar, die die Vision Pro kostet. Auch die in Sachen Gaming überlegene „Index“ von Spiele-Riese Valve kostet nur rund ein Drittel davon.

Zwar lässt sich argumentieren, dass der Fokus der „Vision Pro“ mit Augmented Reality ein anderer sei. Doch zu ihrem Marktstart gibt Apple der „Vision Pro“ hierfür wenig spezifische Software mit auf den Weg. Eine „Must-have“-Anwendung, die den Kauf der Brille quasi von allein rechtfertigt, ist derzeit nicht in Sicht. Unterm Strich ist die „Vision Pro“ also kein Frontalangriff auf die Konkurrenz, sondern eher ein vorsichtiges Herantasten. Den Markt belebt sie dank der medialen Zugkraft von Apple aber dennoch, was der Weiterentwicklung smarter Brillen und ihrer Software einen erneuten Schub verleihen dürfte.

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