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Zum Start des fünffach Oscar-nominierten Holocaust-Dramas „The Zone of Interest“ teilt Hauptdarstellerin Sandra Hüller ihre Gedanken zur bevorstehenden Verleihung der Academy-Awards – und verrät, warum sie während der Dreharbeiten in Auschwitz abends nicht als Hedwig Höss ins Bett gegangen ist.
Der umjubelte britische Kult-Regisseur Jonathan Glazer („Under the Skin“, 58) inszeniert in seinem neuen Film „The Zone of Interest“ die deutsche Oscar-Hoffnung Sandra Hüller (45) als Hedwig Höss (1908-1989), Ehefrau des Lagerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Höss (1901-1947), der im Film von „Babylon Berlin“-Star Christian Friedel (44) verkörpert wird.
In dem ungewöhnlichen, für fünf Oscars nominierten Holocaust-Drama versucht das Nazi-Ehepaar Höss, ein möglichst normales Familienleben zu führen – obwohl das Grundstück, auf dem ihr luxuriöses Einfamilienhaus steht, an die Aussenmauer des Konzentrationslagers Auschwitz grenzt. Tag und Nacht hört die Familie Höss von jenseits der Mauer Schreie, Schüsse und die Geräusche der industriellen Menschenvernichtung der Nazis. Regisseur Glazer und sein Team haben für „The Zone of Interest“, der bei der kommenden Oscarverleihung auch für den „Besten Ton“ nominiert ist, eine Soundkulisse geschaffen, die wahrlich unter die Haut geht.
Sandra Hüller, die für ihr Spiel im französischen Gerichtsfilm „Anatomie eines Falls“ bei der 96. Verleihung der Academy-Awards am 10. März als „Beste Hauptdarstellerin“ nominiert ist, spricht im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news über ihre Oscarnominierung, gibt Einblicke in die ungewöhnliche Produktionsweise von „The Zone of Interest“ und verrät, warum sie während der Dreharbeiten am Rande des Konzentrationslagers Auschwitz abends nicht als Hedwig Höss ins Bett gegangen ist.
Wie gehen Sie mit der derzeit gesteigerten Aufmerksamkeit für ihre Person um?
Sandra Hüller: Ich kann das nur akzeptieren, nicht ändern. Mir ist total bewusst, dass das alles Zuschreibungen sind. Es hat wenig mit mir zu tun. Auch die Erwartungen haben nichts mit mir zu tun.
Ich kann jetzt nichts mehr machen. Alles, was jetzt passiert, habe ich im Grunde nicht in der Hand. Einzig wie ich darauf reagiere und damit umgehe, liegt in meiner Hand.
Mit meinem Privatleben hat das im Grunde gar nichts zu tun. Ich fühl‘ mich genauso wie vorher auch. Alles andere ist aussen.
Aber wehren Sie sich gelegentlich auch ein wenig dagegen, gegen die Aufmerksamkeit, gegen die Zuschreibungen, wie Sie sagen? Man hat so ein bisschen das Gefühl – einige Menschen würden mit Sicherheit vor Freude herumspringen?
Hüller: Das habe ich auch gemacht. Aber das kann ich ja nicht jeden Tag machen. Ich habe mich total gefreut, als ich das erfahren habe, sehr sogar. Aber man kann ja nicht jeden Tag mit diesem Gefühl herumlaufen, das ist unmöglich.
Haben Sie für den Fall der Fälle auch schon eine Dankesrede vorbereitet – oder sagen Sie sich: Wenn, dann spontan?
Hüller: Das habe ich noch nicht entschieden. Ich muss immer kurz vorher schauen, wie ich mich fühle…
Was hat es denn mit Ihnen gemacht, in „The Zone of Interest“ diese Frau Hedwig Höss zu spielen? Der Dreh fand ja sogar neben dem ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz statt.
Hüller: Persönlich habe ich mich nicht so richtig involviert in diese Figur. Es war nicht unser Ansinnen, biografisch zu erzählen. Wir wollten tatsächlich dieses Phänomen beleuchten und uns fragen, wie es möglich ist, so zu leben, und was das mit uns zu tun hat. Ob wir das im übertragenen Sinne eigentlich nicht auch machen, dass wir alle für unsere eigene Bequemlichkeit sehr viel Leid anderer Leute in Kauf nehmen.
Darum ging es eher, nicht so sehr um diese Frau Hedwig Höss. Die ist mir relativ egal, muss ich sagen.
Wo würden Sie das für unsere heutige Gesellschaft sehen?
Hüller: Ich glaube, das ist ziemlich offensichtlich. Die Kleidung, die wir tragen, wird von Menschen genäht und verschifft, die mit einem Bruchteil dessen leben müssen, mit dem wir hier leben. An jedem Tag beuten wir Menschen und Tiere aus, um uns zu ernähren. Wir akzeptieren Tode an den Aussengrenzen Europas. Das findet jeden Tag und überall statt.
Sie haben gesagt, dass sie die Rolle der Hedwig zuerst nicht spielen wollten. Stimmt das? Und wenn ja, warum?
Hüller: Ja, es hat mich einfach nicht interessiert, faschistisch denkende Menschen zu verkörpern. Die Arbeit des Schauspielenden hat ja schliesslich auch immer irgendwie damit zu tun, Sachen verstehen zu wollen, empathisch zu sein und vielleicht sogar zu entschuldigen, nachvollziehbar zu machen. Dafür habe ich aber nicht so richtig einen Grund gesehen.
Für mich gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, so zu handeln, und ich will das auch nicht verstehen. Es ist eine Entscheidung, die Leute treffen, die für ihr eigenes schönes Leben den Tod von Millionen Menschen in Kauf nehmen. Das ist indiskutabel.
Konnten Sie die Rollen nach dem Drehtag dann leicht wieder ablegen?
Hüller: Wie gesagt, ich bin da nie richtig reingegangen in diese Rolle. Mich selbst habe ich tatsächlich eher als Element des Films, dieses Versuchsaufbaus von Jonathan Glazer, wahrgenommen. Mit dieser Figur habe ich tatsächlich keine psychologische Arbeit gemacht. Habe nicht versucht, irgendeine Art von Empathie zu finden oder mich in irgendeiner Art und Weise emotional zu involvieren. Deswegen gab es da auch nichts abzulegen. Ich bin nicht als Hedwig Höss abends ins Bett gegangen.
Also haben Sie sich im Grunde als Instrument in diesem Film bewegt?
Hüller: Es war wirklich nicht intendiert, dass man sich als zuschauender Mensch identifizieren möchte. Keiner wollte während dieser Arbeit, dass irgendjemand irgendein Verständnis für irgendjemanden aufbringt. Es ging um eine Beobachtung dieses Lebens, die so neutral wie möglich stattfindet.
Diese Geräuschkulisse war im Grunde nicht zu ignorieren, und trotzdem haben sie das gemacht.
Wie haben Sie die Soundebene beim ersten Schauen des Films wahrgenommen? Was waren da Ihre Gefühle?
Hüller: Ich hatte gar nicht so viele Gefühle, als ich das zum ersten Mal gesehen habe. Das erste Schauen ist immer ein technisches. Wir hatten ja 800 Stunden Material durch die permanent laufenden zehn Kameras. Da fragte man sich: Was von dem, was wir wollten, ist da wirklich drin? Welche Szenen sind drin, wie wurde geschnitten?
Ich wusste vorher nicht, was für eine Bildqualität das ist, welche Farben das sind. Diese Geräuschkulisse, die Musik von Mica Levi, die ich wirklich fantastisch finde, zum ersten Mal zu hören, dass alles im Zusammenspiel zu sehen, war sehr aufregend und interessant. Jonathan Glazer nennt den Soundfilm, den Johnnie Burn und sein Team dort erschaffen haben, den „Film zwei“. Und beim ersten Schauen habe ich gemerkt, dass es funktioniert.
Können Sie diese Art zu arbeiten bitte noch ein wenig beschreiben? Sie erwähnten ja gerade, dass Kameras in dem Haus gleichzeitig liefen?
Hüller: Es haben alle Kameras permanent etwas aufgenommen. Wir wussten nur nicht, was oder was der Ausschnitt ist. Manche waren auch gar nicht sichtbar. Gerade bei der Arbeit mit Kindern ist es wichtig, dass die Kamera auf keinen Fall angespielt wird und diese Präsenz nicht so da ist.
Das macht etwas mit einem. Es zwingt einen permanent dazu, sich wieder zu zentrieren, weil es eben keine Richtung gibt, in die man spielt. Es gibt nichts, wohin man irgendetwas präsentieren kann. Deshalb ging alle Konzentration immer zu den Partnern oder blieb bei sich selbst. Es ging nie darum, irgendetwas irgendwohin zu transportieren.