„Atomic Blonde“: Charlize Theron legt die neue deutsche Welle trocken

Starke Frauen liegen endlich im Kino-Trend. In „Atomic Blonde“ darf das Charlize Theron eindrucksvoll beweisen – allerdings erst gegen Ende.

Verworrene Agenten-Komplotts, brachiale Verfolgungsjagden plus Actionszenen der Marke Jason Bourne und die mit Abstand coolste Killerblondine der Kinogeschichte: „Atomic Blonde“ mit Charlize Theron (42, „Monster“) ist wegen des Settings im Berlin kurz vor der Wende vor allem für den deutschen Markt interessant. Genialer Co-Star des Agenten-Thrillers: Nicht etwa James McAvoy (38, „Split“), sondern der Soundtrack.

Traue keiner Seele

Es sind unglaubliche Zeiten angebrochen. Nach über 28 Jahren steht jener bedeutsame Moment kurz bevor, an dem der Fall der Berliner Mauer David Hasselhoff (65, „Baywatch“) zum grossen Star macht – und ganz nebenbei die BRD und die DDR wiedervereint. Doch noch ist es bei „Atomic Blonde“ nicht so weit und Agenten, Doppelagenten und sonstige Spione aller Herrenländer sind in der geteilten Stadt zugegen, um noch die letzten wichtigen Intrigen zu spinnen.

Denn für die Beschäftigten der jeweiligen Geheimdienste steht einiges auf dem Spiel. Eine dubiose Liste ist aufgetaucht, welche die Identität sämtlicher anwesenden Agenten beinhalten soll. Wer auch immer in den Besitz besagter Liste kommt, wird als Gewinner aus dem Kalten Krieg hervorgehen – zumindest darüber sind sich sämtliche Parteien einig. Wie gut, dass der MI6 in Person von  Lorraine Broughton (Charlize Theron) das wohl schlagfertigste Schäflein in den eigenen Reihen weiss. Und die „Atomic Blonde“ hat zu allem Überfluss für den bemitleidenswerten KGB auch noch persönliche Gründe, um so richtig wütend zu sein…

Die Definition einer Powerfrau

Nicht immer war es in der Geschichte des Kinos glaubwürdig, wenn eine Frau mal eben einen männlichen Fiesling mit dem Bodymassindex eines ausgewachsenen Silberrückens vermöbelt. Doch wie Frau Theron ihren Feinden mit jedweden griffbereiten Gegenstand (ob Autoschlüssel, High-Heel oder Kochplatte!) das Agenten-Fressbrett poliert, ist durchweg glaubhaft inszeniert und macht bei aller Härte schlichtweg Spass, zuzusehen. Und es steht im Zeichen des so sträflich spät eingesetzten Trends: Gal Gadot (32) durfte sich unlängst als „Wonder Woman“ in einem Comic-Blockbuster als starke Frau bewähren, Theron selbst hat bei diesem wichtigen Emanzipations-Schritt Starthilfe gegeben. In „Mad Max“ machte sie dem Namen ihrer Rolle Furiosa alle Ehre und stellte selbst den Titelhelden (gespielt von Tom Hardy, 39) in den Schatten.

„Atomic Blonde“ tritt dabei die Nachfolge von Filmen wie der bereits erwähnten „Bourne“-Reihe an und schmeckt sie mit Elementen von „John Wick“ oder „Taken“ ab – nur eben mit einer „Eine-Frau-Armee“. Allerdings lässt sich der Film definitiv zu viel Zeit, diese auch gebührend zu zeigen. Mit Ausnahme eines schick inszenierten Scharmützels auf dem Rücksitz eines Autos ist über die erste Hälfte des Streifens jede Menge Intrige und von A (West-) nach B (Ost-Berlin) laufen angesagt. Spannend ist das aufgrund der verworrenen, achronlogischen Erzählweise leider überhaupt nicht.

Das Ende entschädigt

Nicht wenige Zuschauer werden sich nach knapp einer Stunde des Films dabei ertappen, gar nicht mehr zu versuchen, den neusten Schachzug im Intrigenspiel durchblicken zu wollen. Und auch die meisten Charaktere dürften selbst dem empathischsten Kinogänger herzlich egal sein, da der Film sich wenig bis gar keine Mühe gibt, sie einem ans Herz zu legen. Doch gerade, wenn man den Film mitunter als abendliche Fehlinvestition abheften will, setzt das Finale ein – und das ist schlichtweg beeindruckend.

In einer (augenscheinlich) ohne Schnitt gedrehten Sequenz über 10-15 Minuten schiesst, prügelt und schnetzelt sich Theron als Topagentin Lorraine Broughton durch eine Heerschar chancenloser Gegner. Und damit nicht genug. Die Szene geht nahtlos in eine nicht minder imposante Verfolgungsjagd über, in der die Kamera wie auf magische Weise durch den Innenraum des Flucht-Trabis schwebt. Die verantwortlichen Choreografen dieser Szene und auch die Kameramänner hätten sich eine Oscar-Nominierung verdient. Die Szene erinnert immerhin an die Eröffnungs-Sequenz von „The Revenant“. Genau, jener Film, der es selbst geschafft hat, Leonardo DiCaprio (42) einen Oscar einzubringen.

Der „geheime“ Co-Star

Zwar liefert James McAvoy als undurchsichtige Kontaktperson eine gewohnt gute Figur ab und auch die kleine Rolle von Til Schweiger (53) ist solide. Was ihnen allen und fast sogar Charlize Theron die Show stiehlt, ist der Soundtrack des Streifens. Denn passend zu Zeit und Ort darf sich die Agentin zu den Klängen der neuen deutschen Welle durch beide Berlin-Hälften prügeln, statt „99 Luftballons“ setzt es dabei (mindestens) 99 Backpfeifen. Ebenfalls mit dabei: „Major Tom (völlig losgelöst)“ von Peter Schilling, aber auch internationale Hits aus dem 80ern von David Bowie bis Falco. Der „Atomic Blonde“-Soundtrack könnte den Weg in viele deutsche Wohnzimmer finden – vielleicht öfter, als es die DVD dazu tun wird.

Fazit

„Atomic Blonde“ ist ähnlich geteilt, wie es das Berlin der 80er war. Die erste Hälfte besticht nicht gerade durch viel Action und ist aufgrund der verwirrenden Handlung eher ein Abtörner. Was sehr schade ist, denn die zweite Hälfte weiss vor allem durch das furiose Finale zu überzeugen. Wer Filme wie die „Bourne“-Reihe mochte und einer taffen Blondine dabei zusehen will, wie sie zu den Klängen der neuen deutschen Welle quasi im Alleingang den Kalten Krieg gewinnt, sollte „Atomic Blonde“ nicht verpassen.

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