„Ma“: Rache wird ziemlich blutig im Partykeller serviert

Nach Hits wie „The Help“ und „Girl on the Train“ wagt sich Regisseur Tate Taylor mit „Ma“ an das Horror-Genre. Oscar-Preisträgerin Octavia Spencer brilliert darin als Frau mit zwei Gesichtern. So ganz packt einen der Horror aber nicht.

Die einstigen Streber wurden faul, frühere Ballköniginnen haben ihre Modelkarriere nach zwei Kindern an den Nagel gehängt und der ehemalige Loser fristet als gelangweilter Lehrer sein Dasein: Nach dem Abschluss gibt es immer einige, die den Absprung von Schulzeiten nie geschafft haben. Man trifft sie nach einigen Jahren auf einem Klassentreffen wieder und merkt, wie sie melancholisch den Geistern der Vergangenheit nachjagen. Genauso ein Mensch ist die vereinsamte Sue Ann (Octavia Spencer) in „Ma“. Doch anders als im echten Leben lenkt sie die Sehnsucht nach Akzeptanz ab 30. Mai in den Kinos in ganz andere Bahnen – und zwar in ziemlich blutige.

Einsame Mutti trifft aktive Teenies

Bei Sue Ann (Octavia Spencer) sind alle willkommen. Sie lebt ziemlich vereinsamt in einem Kaff in Ohio und vegetiert als Tierarzthelferin unterjocht von ihrer herrischen Chefin (Allison Janney) unauffällig vor sich hin. Eines Tages wird sie allerdings von Teenie Maggie (Diana Silvers) gebeten, für sie und ihre Freunde Alkohol zu kaufen, weil sie selbst nicht alt genug sind. Sue Ann besorgt ihnen den Stoff, freut sich, gebraucht zu werden – und bietet ihren neuen „Freunden“ auch gleich noch ihren Keller als zukünftige Party-Location an.

Doch es herrschen klare Regeln in Sue Anns Haus: Wer fährt, bleibt nüchtern. Keine Kraftausdrücke. Die oberen Stockwerke sind tabu. Und Sue Ann wird fortan „Ma“ genannt. Die Teenies können ihr Glück kaum fassen und zuerst funktioniert die ungewöhnliche Konstellation mit Ma als nach wie vor coole Party-Lady ganz wunderbar. Doch schon bald wird die anfängliche Gastfreundlichkeit immer mehr zur Besessenheit und der einstige Party-Hotspot der Stadt zur Hölle auf Erden…

Beste Voraussetzungen für Tate Taylors Horror-Debüt

Die Grundlagen für „Ma“ sind rundum gelungen: Regisseur Tate Taylor (49, „The Help“) scharte neben Erfolgsproduzent Jason Blum (50, „Get Out“) und seiner langjährigen Freundin Octavia Spencer (47, „Hidden Figures“) eine ganze Reihe weiterer hochkarätiger Stars um sich. Mit von der Partie sind unter anderem Oscar-Preisträgerin Allison Janney („I, Tonya“), Juliette Lewis („Nerve“), Missi Pyle („Gone Girl“) und Luke Evans („Dracula Untold“).

Viele Stars kannten sich bereits aus früheren Produktionen und einige Teile des Films wurden sogar auf Taylors Ranch in Mississippi gedreht. Wenn es schon blutige Drehtage werden sollten, dann sollte zumindest am Abend ein gutes Essen als Abschluss dienen – wie im Schullandheim. Dass die Chemie zwischen allen Beteiligten stimmt, ist von der ersten Minute an zu spüren, auch wenn der Film etwas schwer in die Gänge kommt und generell lieber auf Storytelling als auf erschaudernde Elemente setzt.

Glanzstück für Octavia Spencer

Spencers Verkörperung der ambivalenten Hauptrolle Sue Ann kann als eine ihrer bisher besten Performances bezeichnet werden. Denn obgleich Octavia Spencer eher in Nebenrollen erfolgreich unter Beweis stellte, wie viele Facetten sie hat, ist der komplexe Charakter von „Ma“ wie geschaffen für die gebürtige Südstaatlerin. Ihre Sue Ann ist die reizende und aufmerksame Frau von Nebenan, die einen dreibeinigen Hund Gassi führt und Teenager in ihrem Partykeller trinken lässt, aus Angst, dass sie betrunken Auto fahren, aber vor allem auch, um sich wieder jung und beliebt zu fühlen.

In nächsten Augenblick hält sie Teenie Chaz (Gianni Paolo) plötzlich im Keller eine Waffe unter die Nase und zwingt ihn, sich splitterfasernackt vor ihr auszuziehen – um im Anschluss herzlich darüber zu lachen. Was ist Sein? Was Schein? Ist sie die coole ältere Partymaus? Oder doch eine grausame Soziopathin? Und was steckt eigentlich dahinter? Lange Zeit bleiben die tatsächlichen Motive für Sue Anns spätere Taten im Dunkeln – nur um dann umso überraschender mittels Zeitsprüngen ans Tageslicht zu kommen.

Mobbing und tödliche Rache

Der junge Part des Films mit der Clique um Maggie (Diana Silvers) ist ebenso spritzig inszeniert, auch wenn das klassische Horror-Motiv „Teenager fahren mit dem Auto zu einem abgelegenen Keller“ sicher keinen Innovationspreis gewinnen wird. Äusserst angenehm ist auch, dass obwohl der Horrorfilm nach einem gewohnten Schema abläuft, die Sympathien doch relativ lange bei „Bösewichtin“ Sue Ann bleiben. Zu viel kann hier nicht verraten werden, doch Spencer ist es gelungen, eine nicht durch und durch boshafte Kreatur zu erschaffen, weil ihre Motive (Rache wegen früherem Mobbing) zwar etwas übertrieben, aber durchaus nachvollziehbar scheinen.

Die Krux mit dem Ambiente

Das Setting ist stimmungsvoll inszeniert, die Handlung durchdacht und die typischen Jump-Scares sind dosiert eingesetzt. Allerdings geht der Spannungsbogen immer wieder verloren, was auch den vielen Nebenschauplätzen geschuldet ist. Ob Regisseur Tate Taylor wegen der wohligen Rahmenbedingungen beim Dreh etwas am Thema vorbei geschrammt ist? Vielleicht verspürte er auch – ganz wie bei einem Klassentreffen – die Sehnsucht nach Akzeptanz. Jedenfalls kommt eines erst viel zu spät auf: Das Gefühl, auch wirklich in einem Horrorfilm zu sitzen.

Fazit

„Ma“ ist in allen Rollen hochkarätig besetzt und vor allem Octavia Spencer überzeugt auf ganzer Linie. Wer den Film als grundsoliden Psycho-Streifen mit einem Klecks Teenie-Kitsch und nur einem Hauch Horror zum Schluss sieht, wird mit Genuss aus dem Kino spazieren. Slasher-Filmfans könnten dagegen enttäuscht sein. Für seinen nächsten Horrorfilm sollte Tate Taylor besser am Konzept feilen.

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