Jimi Hendrix: Ein Mann, eine Gitarre, eine Legende

Er ist eine echte Legende: Jimi Hendrix. Am 27. November wäre der Rockvirtuose 75 Jahre alt geworden. So besessen er von seiner Musik war, so besessen war er auch vom Leben.

Er spielt die Gitarre nicht, er begattet sie. Entlockt ihr schrille archaische Töne, wälzt sich mit ihr auf dem Boden, bringt mit Zähnen und Zunge die Saiten in dröhnende Schwingungen. Am Ende, als das Publikum längst nicht mehr weiss, ob es einem Konzert beiwohnt oder einem Voodoo-Zauber, zündet er das Instrument an… Es war sein erster grosser Auftritt bei einem Open Air. Im Rückblick sagte Jimi Hendrix: „Als ich meine Gitarre verbrannte, war das wie ein Opfer. Man opfert die Dinge, die man liebt. Ich liebe meine Gitarre.“

Liebesakt mit der Gitarre

Michael Jeismann, Autor der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, war 40 Jahre nach der ekstatischen Nummer immer noch völlig ausser Atem, als er schrieb: „Auf dem Monterey Pop Festival 1967 hatte Jimi Hendrix einem völlig in seinen Bann geschlagenen Publikum vorgeführt, was Intensität bedeutet. Seine Interpretation des Hits ‚Wild Thing‘ war ungeheuerlich. Während die Originalversion der Troggs aus dem Vorjahr sich eigentlich wie ein Dementi ihres Titels anhörte, führte Hendrix einen Liebesakt zwischen Musiker und Gitarre auf offener Bühne vor.“

Noch immer schwingt bei den Beschreibungen dieses Künstlers Unfassbarkeit mit. Sein Talent, seine Spontaneität und Intensität überwältigen die Zuhörer. Dabei ist der grösste Rockgitarrist aller Zeiten seit über 45 Jahren tot. Am 18. September 1970 starb Jimi Hendrix mit 27 in einem Londoner Hotel. In nicht einmal vier Jahren hatte er sich musikalische Unsterblichkeit erspielt. Am heutigen 27. November wäre er 75 Jahre alt geworden.

Army oder Knast!

Was für ein Irrer! Die Vorgesetzten in der 101. Luftlandedivision in Fort Campbell im US-Bundesstaat Kentucky haben mehr als einmal aufgestöhnt, wenn sie es mit dem Freiwilligen James Marshall Hendrix zu tun hatten. Na ja, so ganz freiwillig war der 18-Jährige aus Seattle, Sohn eines Afroamerikaners und einer irischstämmigen Halbindianerin, nicht zur Army gekommen. Nachdem er von der Highschool geflogen und bei einem Autodiebstahl erwischt worden war, hatte er die Wahl: Gefängnis oder freiwillig zum Militär!

James Marshall Hendrix, genannt Jimi, wählte den Barras und wurde Fallschirmjäger. Eine idiotische Berufswahl, denn eigentlich war er Gitarrist. Einer von Haus aus, seit er mit dreizehn vom Vater eine Gitarre geschenkt bekam. Auch als Soldat hatte er nichts als das Instrument im Kopf. Er spielte bei jeder Gelegenheit und nahm die Gitarre sogar mit ins Bett. Sie war sein Gewehr, seine Geliebte, sein Ein und Alles.

Sein Spiess wollte ihn in den Bau stecken, als er ihm erzählte, er könne auf der Gitarre die Bläser einer Swingband und das Zischen des Windes imitieren. Doch dann hat er es ihm gezeigt. Da war auch dem strammsten Unteroffizier klar: Aus diesem Hendrix wird nie ein vernünftiger Soldat.

Als er sich bei einem Absprung am Fuss verletzt hatte, wurde Jimi Hendrix 1962 nach 13 Monaten aus der Army entlassen. Der Weg für ein Musikerleben war frei. Beim Militär hatte er den ein Jahr älteren Bassisten Billy Cox kennengelernt, der 1969 in die reformierte Band Jimi Hendrix Experience eintrat und mit dem er nach der Army-Entlassung durch New York, später durch die USA tourte (u.a. auch mit Little Richard). Wo auch immer Jimi auftrat – er brachte sein Publikum zur Raserei.

Ein Genie, das atemlos macht

„Jimi Hendrix hob das Spiel auf der E-Gitarre auf ein völlig neues Level. Wo zuvor fast jede Gitarrenband zwei Gitarristen beschäftigte, spielte Hendrix immer als einziger Gitarrist im Trio, lediglich mit einem Bassisten und einem Schlagzeuger. Er spielte Melodie und Akkordbegleitung gleichzeitig“, schreibt Michael Dorka, Musikredakteur des Radiosenders SWR 1.

1966 vermittelte ihn Chas Chandler, ehemals Bassist bei Eric Burdon und seiner weltberühmten Band The Animals, nach London. Jimi spielte vor Gitarrenstars wie Eric Clapton, Jeff Beck, Jimmy Page, Pete Townshend und Keith Richards auf, und denen verschlug es die Sprache, als sie zum ersten Mal diesen Hendrix hörten.

Wie ein Orkan eroberte der Mann, den sie mal Gitarren-Satan, mal Gottvater der Gitarre nannten, mit seiner weissen Fender Stratocaster die internationale Musikwelt und die Herzen vieler Millionen Fans mit seinem ersten Hit „Hey Joe“, mit dem er im November 1966 auch im Big Apple das Münchner Publikum von den Stühlen riss. Jimi-Hendrix-Stücke wie „Stone Free“, „Red House“, „Purple Haze“, „The Wind Cries Merry“, „Voodoo Child“, „Foxy Lady“ und „All Along The Watchtower“, die Coverversion eines Bob-Dylan-Songs, sind heute noch Klassiker.

Politisches Bekenntnis

Nach dem Triumph auf dem Monterey Festival, vermittelt von Paul McCartney, folgte 1969 der legendäre Hendrix-Auftritt in Woodstock. Der Höhepunkt: Jimi spielte die US-Nationalhymne „Star Spangled Banner“, aber nicht so wie sich das stramme Patrioten vorgestellt hatten. Er gab der ganzen Wut seiner Generation über den Vietnamkrieg eine mächtige, kraftvolle Stimme. Mit seiner Gitarre inszenierte er das Donnern der Phantom-Jagdbomber, pfeifende Raketen, explodierende Napalmbomben. Die feierliche Melodie wurde zu einem martialischen Fanal, zum wüsten Schlachtengetümmel – eine Kriegserklärung an den American Way of Life. Spätestens seit diesem Auftritt hasste das rechte und reaktionäre Amerika seinen grössten Rockgitarristen.

Man sollte sich von seinem optischen Auftritt nicht täuschen lassen. Jimi Hendrix war kein Hippie, trotz seiner blumigen Klamotten, trotz der Stirnbänder, hochtoupierten Haare und dem ganzen Kettenklimbim, das an ihm hing. „Diese Massenbewegung mit ihren Love-Sprüchen kann man vergessen“, sagte er im April 1969. Er war kein Blumenkind, sondern ein musikalischer Brandstifter, der gegen den Rassismus seiner Heimat und ihre Verstrickung in den Vietnamkrieg spielte und sich für die Black Panther engagierte.

Love, Drugs & Rock’n’Roll

So besessen Jimi Hendrix von seiner Musik war, so besessen war er auch vom Leben. Curtis Knight, der einst in New York sein Gesangspartner war, beschrieb in seinem Buch „Jimi“ die Exzesse, die er bis zur totalen Erschöpfung betrieb: Jam Sessions bis weit nach Sonnenaufgang, Sex mit vier Groupies zugleich, Genuss aller Drogen, „die eine Junkie-Apotheke hergab“.

Von den zahllosen Frauen, die eine Affäre mit ihm hatten, tauchen aus dem Wust der Geschichten und Gerüchte nur einige mit Namen auf, unter anderem waren da eine gewisse Alvinia Bridges aus London, das deutsche Model Uschi Obermaier, Kathy Etchingham, ebenfalls London, die dänische Schauspielerin Kirsten Nefer, die Engländerin Devon Wilson, der er seinen letzten Song „Dolly Dagger“ widmete, weil sie ihn wegen seines Abenteuers mit Kirsten Hefer zur Rede gestellt hatte. Die Amerikanerin Cynthia „Plaster“ Caster machte sogar einen Abguss von Jimis Penis – und stellte ihn nach seinem Tod aus. In einem Interview mit „Vice“ schilderte sie die Prozedur nach einem Konzert in Chicago: „Die ganze Band war dabei. Wir Mädchen rasteten natürlich völlig aus: Er war wirklich in seinem Element.“

Von allen Groupies und Verehrerinnen liebte ihn die Deutsche Monika Dannemann wohl am meisten. Die ehemalige Eiskunstlauftrainerin aus Düsseldorf wollte ihn heiraten und verbrachte auch seine letzte Nacht mit ihm. Dannemann schrieb ein Buch über Jimi – und prozessierte jahrzehntelang gegen die Ex-Rivalin Kathy Etchingham, die ihr eine Mitschuld am Tod von Jimi Hendrix vorwarf. Beide bezichtigten sich der Lüge. Zwei Tage nach dem letzten Prozess, den Monika Dannemann wegen Missachtung des Gerichts verloren hatte, nahm sie sich am 5. April 1996 das Leben.

Die letzten Tage

Der Musiker und Autor Alan Tapper hat für das Musik-Magazin „Good Times“ Jimi Hendrix‘ letzte Tage in London recherchiert. Demnach ist am 16. September 1970 sein Rechtsanwalt Henry Steingarten in London angekommen, es geht um eine Vaterschaftsklage gegen ihn. Auch Manager Ed Chaplin will einen Termin. Hendrix ignoriert beide und besucht lieber mit seiner Freundin Monika Dannemann die Geburtstagsparty von Judy Wong, eine weitere Freundin des Gitarristen. Später trifft er in Ronnie Scott’s Jazzclub Eric Burdon und seine neue Formation War und spielt mit ihnen. Es ist sein allerletzter Auftritt.

17. September: Jimi hat die Nacht bei irgendwelchen Mädchen verbracht und ist fix und fertig. Angeblich telefoniert er noch mit einem Freund und sagt: „Mann, ich brauche Hilfe!“ Dann geht er ins Samarkand-Hotel, wo seine Freundin Monika Dannemann ein Apartment gemietet hat. Im Garten macht sie Fotoaufnahmen von ihm, für ein Plattencover. Dann fahren sie in die Stadt, treffen zwei Mädchen, die Jimi kennt. Dannemann macht ihm eine Eifersuchtsszene. Dann fahren sie ins Samarkand-Hotel zurück.

Gegen 23 Uhr kocht ihm Monika noch etwas zu Essen. Jimi sitzt am Schreibtisch und textet einen Song, dem er den Titel „The Story of Life“ geben will. Die letzten Zeilen wirken wie eine dunkle Vorahnung; Eric Burdon wird später von einem Abschiedsbrief sprechen: „The story of life is quicker than the wink of an eye / The story of love is hello and goodbye / Until we meet again.“ Dann trinken Monika und Jimi Rotwein bis zum Morgengrauen und schlafen ein.

Am Morgen des 18. September wird Monika gegen 10.20 Uhr wach. Jimi scheint noch zu schlafen. Sie geht Zigaretten kaufen, kommt zurück und ruft Eric Burdon an. Sagt ihm, dass Jimi noch schlafe, aber etwas Erbrochenes an den Mundwinkeln habe. Burdon meint, sie solle einen starken Kaffee kochen und Jimi mit leichten Klapsen ins Gesicht wecken. Gegen 11.18 Uhr ruft Monika den Notarzt an, der bringt den leblosen Hendrix ins Hospital St. Mary Abbots, wo um 12.45 Uhr sein Tod festgestellt wird. Sofort wird weltweit verbreitet, Jimi Hendrix sei an einer Überdosis Heroin gestorben.

Grosse Rätsel um die Todesursache

Bei der Obduktion am 28. September kann der renommierte Gerichtsmediziner Prof. Donald Teare weder Einstiche von Spritzen noch Anzeichen von Drogenmissbrauch (Heroin, Kokain, Cannabis) feststellen, wohl aber verschiedene Barbiturate (u.a. das Schlafmittel Vesparax) sowie das Aufputschmittel Black Bomber und 400 ml Flüssigkeit in den Lungen des Toten nachweisen. Der offizielle Befund des Pathologen: „Tod durch Ersticken am eigenen Erbrochenen. Und Barbituratvergiftung. Unzureichende Indizien für die Umstände. Kein abschliessendes Urteil.“

Daran hat sich bis heute nichts geändert, die Rätsel um den Tod von Jimi Hendrix bestehen weiterhin. Der Verschwörungstheoretiker Alex Constantine hat daraus einen abenteuerlichen Spekulationswust um ein Mordkomplott gestrickt. Offen liess er nur, wer daran beteiligt war: Die Mafia, die CIA und das FBI, das tatsächlich eine Akte über Jimi Hendrix angelegt hatte?

Legendenbildung

Die Tragödie um Jimi Hendrix war ein schicksalhafter Auftakt zum frühen Ende von zwei weiteren Weltstars der Rockmusik, die zu Legenden wurden. Am 4. Oktober 1070 starb die Sängerin Janis Joplin (27) in ihrem Hotelzimmer in Hollywood an einer Überdosis Heroin. Und am 3. Juli 1971 erlag Jim Morrison, der Frontmann der Kultband The Doors, in Paris einem Herzanfall, auch hier soll Heroin im Spiel gewesen sein. Und auch er wurde nur 27 Jahre alt. Alle drei sind mit ihrer Musik unsterblich geworden. Doch der Zeus im Olymp des Rock’n’Roll ist und bleibt Jimi Hendrix.

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