Max Mutzke: „Rassismus und Toleranz waren in meiner Kindheit Thema“

Soul-Sänger Max Mutzke hat sein neues Album „Colors“ genannt. Was es damit auf sich hat und warum ihn der ursprüngliche Titel in grosse Erklärungsnot gebracht hätte, verrät er im Interview.

Soul-Sänger Max Mutzke (37, „Can’t Wait Until Tonight“) wurde vom Morgenmagazin zu einem der „wenigen grossen weissen Männer der Black Music in Deutschland“ gekürt. Nun meldet sich Mutzke mit seinem neuen Album „Colors“ zurück und huldigt damit über den Soul dem Hip-Hop. Warum der ursprüngliche Titel dazu zu grossen Problemen geführt hätte, vor welche Herausforderungen ihn das Konzept des Albums gestellt hat und warum er momentan lieber nach Italien reist, anstatt (wie einst geplant) auf Weltreise zu gehen, hat er im Interview verraten.

Herr Mutzke, bevor wir über Ihr neues Album sprechen: Sie haben zum Bundesliga Auftakt die deutsche National-Hymne gesungen. Wie kam es dazu?

Max Mutzke: Ich wurde ganz offiziell vom DFL angefragt. Ob ich mir vorstellen kann, die Nationalhymne zu singen und das konnte ich mir sofort vorstellen. Das war ein sehr ehrenhafter Moment. Ich habe dann jedoch vorgeschlagen, dass ich gerne eine eigene Version singen würde. Das wurde uns gestattet und wir durften unser eigenes Playback machen. Das war natürlich grossartig. Ich bin nicht direkt der grösste Fussballfan, aber das war für mich auch gar nicht so wichtig, denn die Tatsache war klar: Der Bundesligastart ist für sehr, sehr viele Menschen ein unfassbar wichtiges Ereignis und alle erwarten dies mit Spannung.

Egal ob Helene Fischer beim DFB-Pokal oder Anastacia bei Bayern gegen Freiburg. Diese Showeinlagen haben viel Kritik einstecken müssen. Was halten Sie von dieser Kritik und von der „Ver-Amerikanisierung“ des Sports?

Mutzke: Die Amerikaner – und da ist Ver-Amerikanisierung genau das richtige Wort – feiern das total ab, wenn zum Beispiel Beyoncé auftritt. Aber das ist in Deutschland nicht so einfach. Die Fussball-Puristen in Deutschland wollen Fussball sehen. Und die Kommerzialisierung im Fussball ist weltweit so weit fortgeschritten, dass man sich wirklich fragen muss, ob die Basis des Ganzen vergessen wird. Also der Fussball ist ja nur so gross und so erfolgreich und so unfassbar voller Geld und mit Reichtum gesegnet, weil es Fans gibt. Gibt es keine Fans, hast du auch keine Kohle. Und jetzt den Fans immer mehr vor die Nase zu setzen, um das alles noch kommerzieller zu machen, da finde ich diese Kritik total berechtigt. Aber ich muss auch sagen: Die Nationalhymne zu singen, da sehe ich jetzt keinen kommerziellen Gedanken.

Das Motto Ihres neuen Albums „Colors“ ist „Back to Soul“. Woher stammte die Idee, sich alte Hits vorzunehmen?

Mutzke: Das ist eine lustige Story. Wir hatten ein Meeting, wo es darum ging, wie wir das nächste Album gestalten wollen. Wir haben uns da lange den Kopf drüber zerbrochen, aber dann auch irgendwann konkrete Ideen gehabt, wie wir die Songs angehen wollen. Und dann, beim Aufstehen und Jacke anziehen, kamen wir auf die Idee: Wir könnten mal darüber nachdenken, ob man alte Hip-Hop-Tracks nimmt und die zurück zum Soul bringt. So wie der Hip-Hop aus der Zeit des Soul inspiriert ist, könnten wir uns als Soul-Musiker doch mal vom Hip-Hop inspirieren lassen. In dem Moment, als die Idee dann ausgesprochen war, fanden wir sie so stark, dass wir, auch wenn schon ein paar Leute gehen mussten, innerhalb von fünf Minuten Ideen hin und her geworfen haben. Und in diesen fünf Minuten kam mehr bei rum, als im Meeting davor. Und dann habe ich auf dem Weg nach Hause gedacht: „Ey Leute, ihr habt doch selber gemerkt, dass die Idee so gebrannt hat. Lass uns das zuerst machen“.

Dann haben wir viele Brainstormings gemacht und überlegt, welche Songs man aus dem Hip-Hop nehmen kann. Und wir sind ziemlich schnell darauf gekommen, dass nicht nur die Top „fetten“ Songs wie „Das Haus am See“ von Peter Fox, sondern auch „Underground Songs“ und vor allem auch Songs, die eine grosse Bedeutung in der Historie des Hip-Hop haben, eine Rolle spielen müssen. Dann kam jedoch das nächste Problem: Hip-Hop ist sehr textreich. Wenn ich Melodien singen will, dann brauche ich wesentlich weniger Text. Was kann man also rausnehmen ohne die Message kaputt zu machen oder der Sinn verloren geht? Der Twist aus dem Song weg ist. Das war also die nächste wichtige Aufgabe, so dass ich mich dann täglich mit Julie Silvera, eine Musikprofessorin, die ursprünglich aus Florida kommt und seit ein paar Jahren in Deutschland lebt, zusammengesetzt habe. Sie ist Afroamerikanerin und mit dem Hip-Hip und der Subkultur total vertraut. Mit ihr haben wir dann die Texte komplett übersetzt, damit man wirklich versteht, worum es geht, die politische Motivation versteht. Gibt es überhaupt eine politische Message dahinter? Und dann haben wir überlegt: Welche Passagen kann man vielleicht rausnehmen, damit ich das alles in einen Song bekomme. Es war erstaunlich zu sehen, aus welchen Songs man wirklich was rausnehmen konnte und wo sich nicht viel am Sinn geändert hat. Und bei welchem Song man wirklich tunlichst überhaupt nichts in die Hand nehmen sollte.

Die nächste Aufgabe war dann, Dinge, die ich als Weisser aus Deutschland nicht sagen darf, zu eliminieren. Da gibt es schon ganz schön viel zu beachten. Eigentlich wollte ich das Album „Colored“ nennen, das heisst ja bunt. Und mit bunt meinte ich ja die bunten Farben auf dem Album. Bunt als Anspruch an die Gesellschaft und an unsere Ordnung wie sie eben mit bunten Menschen viel, viel schöner ist und sowieso immer bunter wird. Das Albumcover ist auch bunt. Ich dachte „colored“ ist ein super Titel für das Album. Aber als wir uns dann mit Afroamerikanern unterhalten haben, haben die gesagt: „Wenn ihr das macht, bekommt ihr richtig auf die Schnauze“. „Colored“ heisst natürlich „farbig“ und bunt im Sinne von „Afroamerikaner“ in Amerika. Und wenn man als Weisser in einem weissen Outfit Soulmusik macht und dieses dann „Colored“ nennt… Daran denkst du nicht. Das sind so Dinge, da musste man extrem aufpassen, dass man da keine Fehler macht, die ganz gravierend sein können und die ganz falsch verstanden werden können. Es ist ja so, dass Hip-Hop eine Bewegung in Amerika ist, eine Bewegung der Afroamerikaner, die sich daraus motiviert, ganz viel Kultur aus Blues und Jazz, RnB und Hip-Hop zu schaffen. Und jetzt kommen die ganzen „white kids“ und verdienen damit Geld und bedienen sich aber deren Kultur. Elvis Presley ist da eines der besten Beispiele. Der Rock’n’roll mit all den Bewegungen und der Art es zu singen kam nicht von Elvis Presley, sondern von einem Typen, der Afroamerikaner war. Und dann kam halt Elvis Presley, der da super reingepasst hat bei den Weissen, dass man den auf einem Empfang spielen konnte und als Superstar behandeln konnte. Die Jungs, die das entwickelt haben, sind untergangen und Elvis hat Milliarden verdient. Das sind alles Dinge, da kann man gut ins Fettnäpfchen treten und Fehler machen.

Mit „Everyday People“ von Sly & the Family Stone ist auch ein klassischer Protestsong auf dem Album. Warum haben Sie genau diesen Song ausgewählt?

Mutzke: Das ist ein Thema, was mich in meinem Privatleben und meiner Karriere schon immer interessiert und beschäftigt hat. Rassismus, Ausgrenzung und Toleranz waren in meiner Kindheit schon immer Thema. Mein Vater war Arzt, Gynäkologe. Wir haben auf dem Land gelebt und er hat sich um alle Notfälle gekümmert. Man sollte schon aus egoistischen Gründen jedem sein Haus und sein Herz öffnen. Ich selbst habe vier Kinder mit einer Frau, die aus Afrika kommt. Auch da ist Rassismus immer wieder Thema. Genauso stehen auf der Bühne viele Leute mit mir, die nicht aus Deutschland kommen. Das macht das Ganze viel bunter und schöner. Man profitiert davon und bereichert uns. Selbst kulinarisch ist unser Leben abwechslungsreicher.

Sie sind auch viel unterwegs. Wenn Sie auf Tour sind, wie sehr fehlt Ihnen Ihre Familie? Wie halten Sie Kontakt oder kommen Frau und Kinder einfach mit auf Tour?

Mutzke: Das klappt oft nicht. Aber wenn man ein Konzert mit Hotel spielt, bleibt man auch mal drei Tage länger. Dann kommen die Kleinen schon mal mit. Sonst im Alltagsgeschäft funktioniert das leider nicht, dafür ist man zu viel unterwegs oder sitzt auch viel rum. Wir telefonieren natürlich. Aber skypen fange ich nicht an. Ich bin zwar viel unterwegs, aber die Hälfte der Woche bin ich doch zu Hause. Auch mal eine Woche am Stück. Dann mache ich nichts, was mit dem Beruf zu tun hat. Neben E-Mails checken oder mal einem Telefoninterview, mache ich nichts und bin für die Familie da. Da bin ich wie ein Papa, der Urlaub hat.

Sie sind auch passionierter Oldtimer-Restaurator. Sind Sie Ihrem grossen Traum, einmal mit Ihrer Familie auf Weltreise zu gehen, schon etwas nähergekommen?

Mutzke: Diesem Traum bin ich tatsächlich schon ein bisschen näher gekommen. Aber der LKW, den ich umbaue, steht immer noch in einer Scheune. Ich komme so unglaublich schlecht und wenig dazu und ich bin jetzt kurz davor, das „Ding“ zu verbrennen, um mir einen fertigen LKW zu kaufen. Aber irgendwann wird er fertig sein. Manchmal konnte ich ganz viel am Stück an dem Auto arbeiten und es ging voran und dann ist wieder wenig Zeit. Man muss ja nicht gleich mit einer Weltreise anfangen. Da ich an der Schweizer Grenze wohne, habe ich es ja nicht weit bis Österreich, Lichtenstein, Frankreich oder Italien.

Vorheriger ArtikelUdo Lindenberg: Er überlebte eine tödliche Alkoholdosis
Nächster ArtikelDakota Johnson spricht zum ersten Mal über ihre Beziehung