„Brecht“: Ein ganzer Abend für Heinrich Breloers Filmbiografie

In drei Stunden das Leben von Bertolt Brecht nacherzählen – Heinrich Breloer gelingt das in seinem Dokudrama „Brecht“. Eine Figur fällt dabei aus dem dramaturgischen Rahmen.

Der Mann war – was soll man sagen? – ziemlich umtriebig. Eine Jugendliebe, und noch eine, eine Opernsängerin, eine Sekretärin, eine Fotografin, eine Elisabeth, eine Ruth, eine Isot, eine Käthe. Eine Ehefrau, dann noch eine. Manche seiner Beziehungen verliefen parallel, und der Mann hatte damit scheinbar keinerlei Probleme. War er, wie es sein grosser Förderer, der Schriftsteller Lion Feuchtwanger (1884-1958), einmal formulierte, „ein Menschenfresser“?

Szenen aus dem Leben des Dichters Bertold Brecht (1898-1956). Heute Abend im Fernsehen. Drei Stunden Brecht. Das turbulente Leben und 40-jährige Wirken des bedeutendsten und einflussreichsten deutschen Dramatikers und Lyrikers des 20. Jahrhunderts, gepresst in 180 TV-Minuten. „Was für eine Aufgabe!“, schreibt der Fernsehkritiker Hans Hoff. „Das Leben des grossen Bertolt Brecht in zweimal 90 Minuten auszuloten, seinem Genie, seinem Werk und auch seinen Abgründen gerecht zu werden, an solch einer Aufgabe kann man wegen ihrer Unfasslichkeit eigentlich nur scheitern…“

Es gelingt aber, wenn der Regisseur Heinrich Breloer (77) heisst. Der renommierte Filmemacher hat zahlreiche politische wie kulturelle Geschichtsstoffe äusserst erfolgreich für das Fernsehen inszeniert, unter anderem die Dokudramen „Wehner – die unerzählte Geschichte“ (1992), „Die Manns – Ein Jahrhundertroman“ (2001), „Speer und Er“ (2004) und „Buddenbrooks“ (2008).

Nun also „Brecht“, eine Filmbiografie in zwei Teilen (das Erste, 20:15 und 21:45 Uhr) und die Doku „Brecht und das Berliner Ensemble“ (23:45 Uhr). Der erste Teil zeigt das Leben des jungen Dichters bis zu seiner Flucht aus Nazi-Deutschland, der zweite setzt bei seiner Rückkehr an und begleitet ihn bis zu seinem Tod in der DDR im Jahr 1956. Im ersten Teil spielt Tom Schilling (37) den jungen Brecht, im zweiten Teil wird der Autor von Burghart Klaussner (69) dargestellt.

Es ist nicht die erste Brecht-Doku von Breloer

Heinrich Breloer hat bereits 1978 seinen ersten Dokumentarfilm über Brecht gedreht. „Bi und Bidi in Augsburg“ hiess das Werk, das vom jungen Brecht und der Augsburger Arzttochter Paula Banholzer, einer seiner ersten Geliebten, handelte. Bidi war der Spitzname von Brecht, und Bi war Paula. In seinem aktuellen Zweiteiler zeigt Breloer den privaten und politischen Brecht. Den manischen Autor und Frauenverführer, den ehrgeizigen Theatermacher und überzeugten Kommunisten, einen egozentrischen Mann, der unfassbar schöne Liebesgedichte schreibt und unfassbar rüde mit Frauen umspringt.

Eine Figur fällt dabei aus dem dramaturgischen Rahmen: Brechts zweite Ehefrau Helene Weigel (1900-1971). Die Wiener Schauspielerin lernte Brecht 1923 in Berlin kennen. Da war er noch mit der Sängerin Marianne Zoff (1893-1984) verheiratet, gleichwohl brachte Weigel 1924 den Brecht-Sohn Stefan zur Welt. Erst 1929 heiratete sie, nach Brechts Scheidung von Zoff, den Schriftsteller.

Sie blieben bis zu seinem Herztod 1956 zusammen. Eine schwierige Ehe, die von Brechts Affären immer wieder überschattet wurde. Breloer spielt in seinem Dokudrama einen Weigel-O-Ton aus dem Jahr 1969 ein, in dem sie „über diese unertragbaren Weibergeschichten mit diesen blöden Frauenzimmern“ spricht.

Nicht nur den Geburtsort haben Adele Neuhauser und Helene Weigel gemeinsam

Schauspielerin Adele Neuhauser (60) verkörpert im zweiten Teil die ältere Helene Weigel. Ein brillanter Auftritt der Künstlerin, die im Ersten mit der Wiener Polizistin Bibi Fellner eine beliebte „Tatort“-Ermittlerin darstellt. In „Brecht“ zeigt sie die grossartigsten Spielszenen. Es gibt durchaus Parallelen zwischen Adele Neuhauser und der Theaterlegende Helene Weigel. Beide kommen aus Wien, beide haben eine ähnlich eindrucksvolle Stimme. Und beide ähneln sich auch äusserlich.

In einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sagt Adele Neuhauser, dass ihr diese Ähnlichkeit erst bewusst wurde, „als Heinrich Breloer mich darauf aufmerksam machte und ich mich in meiner Rolle sah… Das hat mich richtig verblüfft. Ich glaube ja auch an magische Momente, ich denke, dass da noch etwas anderes am Werk war… Ich bin überzeugt, dass man als Schauspieler in gewissen Momenten zum Medium wird. Ich habe mich freigemacht von mir und habe Platz gemacht für Helene Weigel“.

Helene Weigel habe Brechts „Geist geliebt, seinen Mut, seine Poesie, auch ihn als politisch denkenden Menschen. Sie hat geliebt, was er den Menschen zugetraut hat, nämlich eigenständige, mündige, denkende Wesen zu sein. Dennoch gibt sie irgendwann zu, dass Brecht sie Kraft gekostet hat und dass er ihr sehr wehgetan hat“.

„Gegen so eine Liebe ist man machtlos“

Brecht und Weigel sind nach den Jahren des Exils in Dänemark, Schweden, Finnland und den USA 1948 nach Ostberlin übergesiedelt und haben gemeinsam ihren Traum vom eigenen Theater am Schiffbauerdamm realisiert. 1949 wurde sie Generalintendantin der Bühne. „Die Weigel hat das Berliner Ensemble gemacht, sie hat Brecht gemacht“, erinnerte sich vor Jahren der Schauspieler Erwin Geschonneck (1906-2008). Sie sei der „Pfeiler“ gewesen, „auf dem das ganze Theater ruhte“.

Das sieht Breloers Weigel-Darstellerin Adele Neuhauser etwas anders: „Ich würde sagen: Sie hat Brecht ermöglicht. Sie hat Brecht die Freiheit gegeben, das zu sein, was er ist: der emotionale, leidenschaftliche, aufrührerische Geist. Er konnte diesen Impulsen einfach nachgeben und musste sich um nichts anderes kümmern. Sie hat ihn nie gegängelt, sondern höchstens leise protestiert. Aber sie ist ihm nie im Weg gestanden. Sie hat ihn einfach sehr, sehr geliebt. Tja. Gegen so eine Liebe ist man machtlos“.

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