Wie Angehörige von Demenz-Erkrankten Hilfe bekommen können

Wenn ein Familienmitglied an Demenz erkrankt, ist das erstmal ein Schock. Wo sich Angehörige Hilfe suchen können und welche Betreuungsformen es gibt.

Dia Diagnose Demenz stellt das Leben von Betroffenen und Angehörigen auf den Kopf. Wenn ein geliebter Mensch an Demenz erkrankt, kann das auch für Familienmitglieder zur enormen Belastung werden. Denn die Pflege und Betreuung eines Demenzerkrankten erfordert Geduld, Zeit und Energie. Vor allem aber kommen mit der Demenz viele Fragen auf: Wie entwickelt sich die Demenz und was bedeutet das für das künftige Miteinander? Wo erhalte ich Hilfe? Welche Betreuungsformen gibt es? Susanna Saxl-Reisen von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft gibt im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news einen Überblick.

Die Diagnose Demenz ist für Betroffene und Angehörige erstmal ein Schock. Was hilft, sie besser akzeptieren zu können?

Susanna Saxl-Reisen: Zuerst einmal ist es wichtig, sich klarzumachen, dass Demenzerkrankungen in den meisten Fällen recht langsam voranschreiten. Die aktuell vorhandenen Fähigkeiten bleiben vermutlich noch längere Zeit erhalten, auch wenn es im Verlauf natürlich nach und nach zu Einschränkungen kommt.

Was sollten die ersten Schritte nach der Diagnose sein?

Saxl-Reisen: Zunächst sollte man sich über die Krankheit informieren. Dann sollte man sich Gedanken darüber machen, welche Vorkehrungen man für die Zukunft treffen möchte. Zum Beispiel sollte man einer Person des Vertrauens eine Vorsorgevollmacht ausstellen. Dort können nicht nur formal Vertretungsrechte festgelegt sein, es gibt auch die Möglichkeit, eigene Wünsche und Vorstellungen für die Zukunft zu formulieren, ob man beispielsweise möglichst lange zu Hause versorgt werden oder eher frühzeitig in eine Demenz-WG umziehen möchte. Eine Patientenverfügung kann sinnvoll sein, dazu sollte man sich aber gut beraten lassen. Wer ein Testament verfassen möchte, sollte dies auch möglichst rasch nach der Diagnose machen.

Wo können Erkrankte und Angehörige Hilfe finden?

Saxl-Reisen: Es gibt eine ganze Reihe von Beratungsstellen, die in dieser Situation unterstützen. Hilfe findet man bei den örtlichen Alzheimer-Gesellschaften, bei Pflegestützpunkten, bei Fachstellen für pflegende Angehörige oder auch am Alzheimer-Telefon der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, wo eine kostenlose und auf Wunsch anonyme Beratung rund um das Thema Demenz angeboten wird. (Tel: 030 – 259 37 95 14, Montag bis Donnerstag von 9 bis 18 Uhr, Freitag von 9 bis 15 Uhr)

Auf welche geistigen und körperlichen Veränderungen müssen sich Angehörige einstellen?

Saxl-Reisen: Zunächst stehen bei einer Demenz die Veränderungen der kognitiven bzw. geistigen Fähigkeiten im Vordergrund. Kurzzeit- und später auch Langzeitgedächtnis nehmen ab, die Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit sowie das Verständnis für komplexe Zusammenhänge verschlechtern sich. Es kann zu Wortfindungsstörungen und weiteren Sprachproblemen kommen, die Orientierungsfähigkeit nimmt ab – zunächst vor allem an neuen Orten, im Verlauf dann auch in der vertrauten Umgebung bis hin zur eigenen Wohnung. Auch die zeitliche Orientierung wird schwieriger. Daneben kann es Veränderungen im Verhalten geben, wie Antriebsarmut, Depressionen oder starke Stimmungsschwankungen. Zu körperlichen Veränderungen kommt es meist erst im späteren Verlauf der Krankheit, dann kann Inkontinenz eintreten, später auch Probleme mit der Fortbewegung.

Wie verändert die Erkrankung das Miteinander?

Saxl-Reisen: Durch eine Demenz-Erkrankung wird die Selbstständigkeit zunehmend eingeschränkt. Dadurch verändern sich die Rollen in Partnerschaft und Familie. Ehepartner erleben den Verlust des (Gesprächs-)Partners auf Augenhöhe, Kinder kommen in die Situation, Entscheidungen für einen Elternteil treffen zu müssen. Vor allem ist es aber wichtig, dass Angehörige sich auf die Veränderungen einstellen und akzeptieren, dass die oder der Erkrankte bestimmte Dinge einfach nicht mehr wie früher kann. Dabei sollten sie möglichst nicht auf die Defizite hinweisen, sondern die Betroffenen nach deren Möglichkeiten weiterhin in den Alltag einbeziehen. Wichtig ist, immer wieder die Fähigkeiten zu bestärken, die noch vorhanden sind, und so den Erkrankten auch weiterhin Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Auch Entscheidungen sollten nach Möglichkeit zusammen mit den Betroffenen getroffen werden.

Welche Betreuungsformen gibt es?

Saxl-Reisen: Es gibt eine ganze Reihe von Unterstützungs- und Betreuungsangeboten. Ambulante Pflegedienste helfen in erster Linie bei der Körperpflege und im Haushalt. (Ehrenamtliche) Einzelbetreuung findet meist für einige Stunden pro Monat in der eigenen Wohnung oder auch als Begleitung zu Freizeitaktivitäten statt. Betreuungsgruppen werden in der Regel an einem oder mehreren Tagen pro Woche für drei bis vier Stunden angeboten; dort finden gemeinschaftliche Aktivitäten statt. In Tagespflegeeinrichtungen können Pflegebedürftige mehrere Tage pro Woche ganztägig betreut werden, in der Regel gehört ein Fahrdienst zum Angebot. Demenz-WGs sind ein Angebot zum dauerhaften Wohnen, wo bis zu zwölf Personen zusammenleben und – meist mit Einbindung von Angehörigen – betreut und gepflegt werden. Unter stationärer Pflege versteht man das dauerhafte Leben in einer Pflegeeinrichtung.

Wann ist eine Betreuung in einer Pflegeeinrichtung sinnvoll und wie macht man das dem Erkrankten begreiflich?

Saxl-Reisen: Zu einem bestimmten Zeitpunkt ist die Betreuung zu Hause meist nicht mehr möglich. Bei Menschen mit Demenz, die alleine leben, ist dies oft früher der Fall, wenn sie sich selbst gefährden oder auch die Gefahr besteht, dass sie sich ausser Haus verlaufen. Angehörige, die mit einer demenzerkrankten Person zusammenleben, gelangen häufig an ihre Grenzen, wenn beispielsweise der Tag-Nacht-Rhythmus gestört ist und sie entsprechend selbst nicht mehr ausreichend Schlaf bekommen, oder wenn zum Beispiel aggressive Verhaltensweisen auftreten. Meistens ist es nicht leicht, den Betroffenen die Entscheidung für den Umzug ins Pflegeheim zu erklären. Manche erkennen durchaus selbst, dass sie für ihre Angehörigen eine Belastung sind und erklären sich mit dem Umzug einverstanden, oftmals ist es aber notwendig, dass die Angehörigen diese Entscheidung selbst treffen, ohne ein Einverständnis von den Betroffenen bekommen zu können. Meistens wird das Leben in der Pflegeeinrichtung nach einer gewissen Eingewöhnungszeit aber akzeptiert – sofern die Bedingungen und der Umgang in der Einrichtung stimmen.

Gibt es bestimmte Voraussetzungen für die Pflege zu Hause?

Saxl-Reisen: Wer die Pflege eines Menschen mit Demenz zu Hause übernimmt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass das eine langfristige Aufgabe ist – kein Sprint, sondern ein Marathon. Deshalb ist es wichtig, so früh wie möglich weitere Unterstützung einzubeziehen. Das können weitere Familienmitglieder oder Menschen aus dem Freundeskreis sowie professionelle Unterstützungsangebote sein. Ausserdem sollte man sich frühzeitig überlegen, ob die Wohnung bereits an einen späteren, höheren Pflegebedarf angepasst ist, ob vielleicht Stolperfallen entfernt oder eine bodengleiche Dusche eingebaut werden sollte. Dazu kann man sich Tipps bei Wohnberatungsstellen und auch bei Pflegestützpunkten holen.

Haben pflegende Angehörige Anspruch auf finanzielle Unterstützung?

Saxl-Reisen: Die Pflegeversicherung stellt Pflegebedürftigen je nach Pflegegrad verschiedene Leistungen in unterschiedlicher Höhe zur Verfügung. Dazu gehört das Pflegegeld, das frei genutzt werden kann, Sachleistungen für die Nutzung ambulanter Pflegedienste, Leistungen für die Tagespflege und auch Leistungen für die so genannte Verhinderungspflege, wenn die pflegenden Angehörigen zum Beispiel aufgrund von Urlaub oder eigener Krankheit vorübergehend ausfallen. Kosten für die Wohnraumanpassung werden bis zu 4.000 Euro übernommen. Auch für das Leben in einer Pflegeeinrichtung stellt die Pflegeversicherung Zuschüsse zur Verfügung.

Finanzielle Unterstützung für die pflegenden Angehörigen selbst gibt es nur sehr begrenzt. Wer berufstätig ist, kann in Krisensituationen für zehn Tage pro Jahr Pflegeunterstützungsgeld erhalten, um die Pflegesituation neu zu organisieren (das ist etwa analog zur Lohnersatzleistung, wenn ein Kind krank ist). Ausserdem gibt es Möglichkeiten der befristeten Freistellung von der Arbeit oder Reduzierung der Arbeitszeit nach dem Pflegezeit- bzw. dem Familienpflegezeitgesetz. Ausserdem werden für pflegende Angehörige, die noch nicht selbst eine reguläre Altersrente beziehen, Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt.

Gibt es Schulungsangebote und wenn ja, was beinhalten sie?

Saxl-Reisen: Es gibt verschiedene Schulungsangebote. Viele Alzheimer-Gesellschaften, aber auch andere Träger, bieten die Schulungsreihe „Hilfe beim Helfen“ an. Dort erfährt man alles Wichtige über Demenzerkrankungen, den Umgang mit den Erkrankten, die Anpassung des Alltags, Entlastungsmöglichkeiten, aber auch über rechtliche Fragen und Leistungen der Pflegeversicherung und Ähnliches. Darüber hinaus gibt es Pflegekurse, die über die Pflegekassen angeboten werden und auch zu Hause stattfinden können.

Haben Sie konkrete Tipps, wie Angehörige den Alltag mit Demenzpatienten meistern können?

Saxl-Reisen: Da die Erinnerungsfähigkeit nachlässt, ist es sehr hilfreich, feste Plätze für wichtige Dinge, wie Brille, Portemonnaie oder Haustürschlüssel, einzurichten und die Nutzung auch zu trainieren. Auch ein elektronischer Schlüsselfinder kann ggf. die Suche nach solchen Gegenständen erleichtern. Erinnerungsstützen wie Notizzettel oder auch die Erinnerungsfunktion des Smartphones sind nützlich. Auch eine feste Tages- und Wochenstruktur kann helfen, die Selbstständigkeit der Betroffenen länger aufrechtzuerhalten. Insgesamt sollte man versuchen, den Alltag zu vereinfachen, eigene Ansprüche, zum Beispiel an aufwendiges Kochen, zurückzuschrauben, um dort keine zusätzliche Energie zu binden.

Für den Umgang mit schwierigen Situationen in der Öffentlichkeit, bietet es sich manchmal an, ein sogenanntes Verständniskärtchen dabei zu haben. Auf dem Kärtchen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft steht „Ich bitte um Verständnis. Mein/e Angehörige/r hat Demenz.“ So kann man an der Supermarktkasse oder im Restaurant ohne viele Erklärungen deutlich machen, warum jemand sich ungewohnt verhält.

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