Enigma-Mastermind Michael Cretu: «Ich tauge nicht zum Rentner»

Michael Cretu ist das Mastermind hinter Enigma. Warum er nie wollte, dass das bekannt wird, und welche Pläner er noch hat, verriet er im Interview zu seinem 60. Geburtstag.

Mit Enigma („MCMXC A.D.“) hat er sich ein musikalisches Denkmal geschaffen. Mit seiner ehemaligen Frau Sandra und dem Österreicher Peter Cornelius stürmte er erfolgreich die Charts. Am heutigen Donnerstag feiert mit Michael Cretu einer der erfolgreichsten Produzenten Deutschlands seinen 60. Geburtstag. Die SpotOn-Redaktion hat mit dem gebürtigen Rumänen über einen Schicksalsschlag in seiner Kindheit gesprochen und erfahren, warum für Cretu ein baldiges Karriereende gar nicht in Frage kommt.

Herr Cretu, herzlichen Glückwunsch zum 60. Geburtstag. Wie wird gefeiert?

Michael Cretu: So wie ich immer meine Geburtstage verbringe. Ohne grosses Trara im kleinen Kreis mit ein paar sehr guten Freunden.

Fühlen Sie sich denn schon wie ein 60-Jähriger?

Cretu: Ich weiss nicht, wie man sich mit 60 fühlt? Es klingt immer so alt. Aber bis auf etwas weniger Haare oder einem grauen Bart fühle ich mich topfit.

Denken Sie so langsam über den Ruhestand nach?

Cretu: Das geht bei mir gar nicht. So lange ich meine Finger bewegen kann, werde ich Musik machen. Ich tauge nicht zum Rentner. Ausserdem betrachte ich das, was ich mache, nicht als Arbeit. Das ist eine Leidenschaft. Deshalb brauche ich auch keine grossartigen Hobbys nebenbei. Das Alter ist ohnehin nur eine statistische Zahl.

Was treibt Sie eigentlich an?

Cretu: Der Motor meiner Arbeit war immer, so gut wie möglich zu versuchen, anders zu sein als die anderen. Aber nicht auf Biegen und Brechen, sondern mit Sinn und Verstand.

Was für Visionen haben Sie noch für die Zukunft?

Cretu: Ich arbeite jeden Tag daran, dass ich irgendwann nochmal etwas finde, das für die Leute überraschend ist und anders klingt als die aktuelle Musik. Da bin ich wie ein Alchemist auf der Suche nach dem Stein der Weisen. Enigma war sicher nicht das Letzte, was ich in meinem Leben gemacht habe.

Mit Enigma ist Ihnen damals wirklich etwas komplett Neues gelungen. Gibt es in der heutigen Musik noch ähnliche Überraschungen?

Cretu: Enigma war schon wirklich sehr anders als die Musik, die damals lief. Etwas Vergleichbares fällt mir da heute nicht ein. Aber „Human“ von Rag’n’Bone Man hat mir beispielsweise schon sehr gut gefallen, bevor es überhaupt zum Hit wurde. Der Song hat den Blues wieder zurück in die Charts gebracht, was ich schon sehr erfreulich finde.

Warum wollten Sie ursprünglich eigentlich nie, dass bekannt wird, dass Sie hinter Enigma stecken?

Cretu: Mir war immer nur wichtig, dass meine Musik gemocht wird. Wer dahinter steckt, ist für mich eigentlich irrelevant. Ich pflege auch keinen Starkult oder ähnliches. Aber nach dem immensen Erfolg war mir klar, dass das früher oder später rauskommt. Es wäre ja dann albern gewesen, es nicht zuzugeben. Aber zuvor führte das zu lustigen Situationen. Als Enigma gerade überall auf der Eins war, sagten Bekannte, die wussten, dass ich Klassik studiert hatte, zu mir: „Siehst du, sowas wie Enigma hätte dir einfallen müssen.“

War Enigma eigentlich nicht auch ein grosses Risiko? Das Projekt hätte auch floppen können und dann hätten Sie damit kein Geld verdient.

Cretu: Ich befand mich bereits vor Enigma in der glücklichen Lage nicht wegen des Geldes Musik machen zu müssen. Bis dahin hatte ich genug Geld verdient. Aber ich habe grundsätzlich nie Musik gemacht, um Geld zu verdienen. Ich habe Musik der Musik zur Liebe gemacht.

Gibt es rückblickend irgendeinen Moment in Ihrer Karriere, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Cretu: Es wäre ungerecht, jetzt alles auf einen Moment zu beschränken. Aber mein erster Hit als Produzent mit „Du entschuldige, i kenn di“ von Peter Cornelius war natürlich schon etwas Besonderes. Genauso wie „Maria Magdalena“ von Sandra, der Song ging auf Platz eins der Charts. Und zu guter Letzt Enigma. Das war damals etwas völlig Neues und dadurch auch etwas Besonderes.

Wenn Sie das Rad der Zeit zurückdrehen könnten, gäbe es etwas, das sie anders machen würden?

Cretu: Diese Frage stelle ich mir nach 40 Jahren in diesem Geschäft häufig. Ich bin ein selbstkritischer Mensch und hinterfrage mich sehr oft, aber die wesentlichen Sachen in meiner musikalischen Laufbahn habe ich richtig gemacht. Deshalb würde ich nichts anders machen.

Als kleines Kind hatten Sie eine lebensgefährliche Ohren-OP und wären beinahe taub gewesen. Hat sich das auf Ihre musikalische Karriere irgendwie ausgewirkt?

Cretu: Nein. Aber vielleicht war ich dazu bestimmt, Musik zu machen. Es klingt ja schon nahezu paradox, dass ich heute Musiker bin und auch noch exzellent höre. Damals hatte man mir attestiert, dass ich nur knapp dem Tode entkommen bin. Ausserdem hiess es, dass ich mit höchster Wahrscheinlichkeit auf einem Ohr taub bleibe und auf dem anderen maximal 60 Prozent werde hören könne. Der liebe Gott wollte wohl, dass ich Musik mache.

Relativ früh in Ihrer Karriere hatten Sie ein Burnout. Wie konnten Sie sich anschliessend motivieren, wieder so fokussiert weiterzuarbeiten?

Cretu: Dieses Burnout bezog sich darauf, dass ich mich in den späten 80er Jahren und nach zig Produktionen für andere Künstler immer mehr als eine Art Produktionsmaschine fühlte. Ich war einfach leer. Mir fiel nichts mehr ein. Mein künstlerischerer Antrieb war dahin. Daraufhin habe ich mich fast ein halbes Jahr zurückgezogen, auf das Dach meines damaligen Hauses in Ibiza gesetzt und einfach nur in die Ferne geblickt. Als ich dann wieder anfing zu arbeiten, entstand Enigma.

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