Martin Wehrle im Interview: Darum geht den Grossmäulern die Luft aus

Donald Trump entzaubert gerade alle Grossmäuler dieser Welt. Warum das so ist und wieso Angela Merkels ruhige Art auf lange Sicht besser ankommt, erklärt Karriereberater und Erfolgsautor Martin Wehrle. Zudem gibt er Tipps, wie sich ruhige Menschen gegen die Schwätzer im Büro behaupten können.

Mit seinem neuen Buch „Der Klügere denkt nach“ (Mosaik) will Bestsellerautor Martin Wehrle (47) zeigen, wie zurückhaltende Menschen unter Schwätzern glänzen können – ohne selbst ein Grossmaul zu werden. Haben ruhigere Menschen, was die Karriere angeht, also noch immer die schlechteren Karten? „Das kommt drauf an“, erklärt der Karriereberater der Redaktion. „Auf der einen Seite werden Menschen immer noch für versprochene Leistung von den Firmen eingestellt, nicht für erbrachte. In der Gehaltsverhandlung setzt sich oft die beste Rhetorik durch, nicht die beste Arbeit übers Jahr. Und in den Meetings üben die Lautsprecher oft viel zu viel Einfluss aus und die leiseren Menschen viel zu wenig.“

Aber er beobachte eine Gegenbewegung, so Wehrle weiter: „Viele Schwätzer hinterlassen an ihren alten Arbeitsplätzen grosse Scherbenhaufen. Durch das Internet wird ihre Spur nachvollziehbar. Firmen sind mittlerweile skeptischer, wenn einer allzu viel verspricht. Sie prüfen das ‚digitale Führungszeugnis‘. Immer öfter bekommen Leisere, die einen guten Leumund haben, mittlerweile den Vorzug.“

Donald Trump entlarvt die Grossmäuler

Entzaubert ein Donald Trump nicht gerade alle Grossmäuler dieser Welt? „Absolut!“, meint der Autor. „Das ist ja die Besonderheit der Grossmäuler: dass sie blitzschnell Eindruck schinden und aufsteigen können – aber dann auch blitzschnell fallen. Grosse Sprüche sind immer nur ein Strohfeuer, dessen Aufflammen die Menschen für kurze Zeit blendet. Aber wenn der Rauch sich legt, wird die Asche sichtbar.“

Und weiter sagt Wehrle: „Schauen Sie mal, wer auf lange Frist die beste Arbeit leistet: Das sind stille Menschen, die sich in erster Linie ihrer Sachaufgabe widmen – Menschen, die wenig versprechen, aber viel halten. Genau für sie breche ich in meinem Buch ‚Der Klügere denkt nach‘ eine Lanze. Ich finde es lächerlich, dass die Lauten den Leisen immer als Vorbilder unter die Nase gerieben werden. Wir brauchen keine Kurse im Reden, sondern im Zuhören! Wir brauchen nicht mehr Lautstärke, sondern mehr Lauterkeit! Und wir müssen endlich die mündlichen Noten in der Schule abschaffen. Leises lernen ist nicht schlechter als lautes. Nur das Ergebnis zählt.“

Was macht Merkel in diesem Fall richtig?

„Man muss die Politik von Angela Merkel nicht mögen, um neidlos anzuerkennen: Sie hat sich nicht verstellt! Glauben Sie, diese Frau hat ein halbes Dutzend Rhetorikkurse besucht, um eine bessere Rednerin zu werden? Ganz sicher nicht“, sagt Wehrle. „Und die Leute mögen es gerade, dass sie so bodenständig wirkt. Ausserdem zeigt Merkel typische Stärken einer Introvertierten: Sie gewinnt Menschen in Vier-Augen-Gesprächen für sich, bleibt einer eingeschlagenen Linie treu und strömt Verlässlichkeit aus.“

Aber nicht nur Merkel kann hier als positives Beispiel dienen: „In meinem Buch kommen viele prominente Introvertierte vor, unter anderem Reinhard Mey, Joachim Löw, Warren Buffett, Theo Albrecht und Mark Zuckerberg“, so Wehrle. „Ich möchte den Lesern zeigen: So weit kann man es bringen, nicht obwohl, sondern weil man zurückhaltend oder hochsensibel ist. Mir persönlich imponiert Bruce Springsteen sehr. Privat ist er ein sehr scheuer und zurückhaltender Mensch. Ich beschreibe, wie er früher oft wortlos an der Bar stand, während seine Freunde sich ins Gewühl gestürzt haben. Aber sobald er eine Bühne betritt, wird er zum Magier: Er verzaubert sein Publikum durch seine Präsenz. Das ist auch eine wichtige Botschaft meines Buches: Kein Mensch ‚ist‘ immer nur introvertiert – jeder hat auch eine extrovertierte Seite.“

Drei Tipps von Martin Wehrle für sensible Menschen im Job-Alltag

Erstens: Erkennen Sie, dass beim Meeting oft keine Beschlüsse getroffen, sondern nur verkündet werden. Sorgen Sie vorher durch Vier-Augen-Gespräche dafür, dass Ihr Standpunkt Unterstützung findet.

Zweitens: Wenn es Ihnen schwerfällt, unter vielen Menschen das Wort zu ergreifen: Schauen Sie einen davon an, den Sie besonders mögen – und stellen Sie sich vor, es wäre ein Vier-Augen-Gespräch. Dann fällt Ihnen das Reden deutlich leichter.

Drittens: Bereiten Sie gerne eine schriftliche Unterlage vor, zum Beispiel ein Thesenpapier – und teilen Sie diese im Laufe des Meetings aus. So hinterlassen Sie im wahrsten Sinne Eindruck – erst recht, wenn Ihr Name auf dem Papier vermerkt ist.

Keine Angst vor Flirts

Auch Flirts oder Smalltalk sind unter introvertierten Menschen gefürchtet. Warum ist das unbegründet? „Zum einen wird eine leichte Schüchternheit, bei Frauen und bei Männern, vom anderen Geschlecht oft als höchst attraktiv erlebt“, erklärt Martin Wehrle. „Ausserdem bringen zurückhaltende Menschen eine hervorragende Qualität für Beziehungen mit: Sie können mit sich allein sein! Das klingt jetzt wie ein Widerspruch, aber in meinem Buch zeige ich auf: Die meisten Beziehungen allzu extrovertierter Menschen scheitern, weil sie sich ziemlich achtlos von einer Beziehung in die nächste stürzen, nur um nicht allein sein zu müssen.“

Dagegen wählen introvertierte Menschen laut Wehrle ihre Partner meist mit viel Bedacht. „Deshalb halten ihre Beziehungen lange und führen oft zu einer grossen Tiefe. Ausserdem: Jeder Flirt ist ein Vier-Augen-Gespräch – und das besteht nicht nur aus Reden, sondern auch aus Zuhören. Und im Zuhören sind die Zurückhaltenden so richtig gut!“

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