„Sei ein Mensch“: Bewegende Rede von Marcel Reif im Bundestag

Marcel Reif während der Gedenkstunde des Bundestags für die Opfer des Nationalsozialismus.

Quelle: imago images/epd

Im Rahmen einer Gedenkveranstaltung im Bundestag für die Opfer des Nationalsozialismus hat Sportkommentator Marcel Reif eine emotionale Rede gehalten. Dabei erinnerte er sich unter anderem an seinen Vater.

Marcel Reif (74) hat am 31. Januar neben der Holocaust-Überlebenden Eva Szepesi (91) bei einer Gedenkveranstaltung im Bundestag für die Opfer des Nationalsozialismus gesprochen. Der Sportkommentator und -journalist wurde 1949 als Sohn eines polnischen Juden geboren und erinnerte sich in seiner Rede nicht nur an seinen Vater. Er ging unter anderem auch auf die Geschehnisse der letzten Monate in Deutschland ein, nachdem die Terrormiliz Hamas Israel angegriffen hatte.

Er wolle sich bei Szepesi bedanken, dass sie im Bundestag gesprochen habe, „nicht um Sühne oder gar Rache einzuklagen, sondern um zu erinnern und zu wecken, wo nötig.“ Sie gebe „diesem neuen, anderen Deutschland mit unfassbar grossem Herzen eine zweite Chance“. Diese zweite Chance dürfe „niemals und nirgends vertan werden. Ich mag das Wort Mahnung in diesem Zusammenhang nicht. Es lässt mir zu viel vermeintlichen Spielraum. Nie wieder ist mitnichten ein Appell. Nie wieder kann nur sein, darf nur sein, nie wieder muss sein: gelebte, unverrückbare Wirklichkeit.“

Marcel Reif zwischen Entsetzen und Hoffnung

„Manches, was ich nach dem 7. Oktober – nach dem Hamas-Massaker an Israelis – auf Deutschlands Strassen und Plätzen hören und sehen musste, das hat mich entsetzt und mein Vater muss sich im Grab herumgedreht haben. Aber was da zuletzt zu sehen und zu hören war, die grossen Demonstrationen der Aufrechten, das macht mir Hoffnung.“

Reif erinnerte sich unter anderem zurück an die 1950er-Jahre in Polen. Als sich dort „wieder antisemitische Strömungen breit machten, beschlossen meine Eltern, beschloss vor allem mein Vater: ‚Einmal ist genug.‘ Er hatte den Holocaust überlebt, die meisten aus seiner Familie nicht.“ Über Israel sei die Familie nach Deutschland gezogen, „in das Land der Täter“. Dort habe es Freunde und Verwandte gegeben, „die helfen konnten. Hier fanden wir ein Dach über dem Kopf, hier fand mein Vater Arbeit, um die Familie durchzubringen. Das neue, das andere Deutschland bot ihm jetzt eine zweite Chance auf anständiges, würdevolles Leben.“

Zusammen mit seiner Schwester sei er hier behütet aufgewachsen, „fröhlich und sorgenfrei, nicht zuletzt, das weiss ich heute, weil mein Vater schwieg. Kein Wort über all das, was er erlebt, was er überlebt hatte. […] Die Wahrheit war doch eindeutig genug. Ich hatte keine Grosseltern, und ich wusste warum. Ein Onkel, eine Tante, eine Cousine waren geblieben, alle anderen ermordet.“

Zum Ende der Rede erklärte Reif, dass er sich täglich mehr daran erinnere, „wie oft er mir diesen Satz geschenkt hat. Mal als Mahnung, mal als Warnung, als Ratschlag oder auch als Tadel. Drei Worte nur, in dem warmen Jiddisch, das ich so vermisse: ‚Sei a Mensch.‘ Sei ein Mensch! Dein Schweigen, deine Lebensfreude trotz allem, deine ungebrochene Fähigkeit uns so viel Liebe und Fürsorge zu geben und dieser Satz ‚Sei ein Mensch‘ – dafür danke, Papa. Und ich bin stolz, dass ich meinen Söhnen und Enkeln, die da oben sitzen, dieses Vermächtnis ihres Gross- und Urgrossvaters habe offensichtlich weitergeben können.“ Gerade heute und hier wolle er diesen Satz seines Vaters dalassen: „‚Sei a Mensch.‘ Sei ein Mensch!“

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