Kevin Spacey: Vom Präsidenten zur Persona non grata

Der Sturz von Kevin Spacey ging schnell und schonungslos über die Bühne. Wie konnte es in so kurzer Zeit dazu kommen und wohin führt der weitere Weg des Schauspielers?

„So umfangreich wie nötig, so schonend wie möglich“ – so lautet das medizinische Kredo, nach dem Ärzte eine Krebserkrankung behandeln. Die Traumfabrik Hollywood hat mit ihrem ganz eigenen Krebsgeschwür zu kämpfen. Es hört auf den Namen Sex-Skandal, wurde erstmals in Form von Harvey Weinstein (65) entdeckt und scheint, das ist die traurigste Erkenntnis, bereits überall Metastasen gebildet zu haben. In keinem der anderen Fälle jedoch setzt Hollywood auf eine derartig radikale Behandlung, wie in der Causa Kevin Spacey (58) – und schickt sich an, ihn grossräumig (und wortwörtlich) herausschneiden zu lassen.

Es ist schon erstaunlich: Lieber wird ein Film wie Ridley Scotts (79) „Alles Geld der Welt“ zu weiten Teilen und für viel Geld neu gedreht, als den bereits fertiggestellten Thriller mit Spacey ins Kino zu bringen. Doch der Aufwand, jede Szene mit der Persona non grata Spacey aus dem Film zu schneiden und stattdessen mit Christopher Plummer (87) neu zu drehen, wird sich wohl rechnen. Sonst würde das Filmstudio Sony diese ungewöhnliche Kosten/Nutzen-Rechnung kaum aufstellen, von der „The Hollywood Reporter“ berichtet.

Doch wie konnte der zweifache Oscar-Gewinner innerhalb einer einzigen Woche zum Aussätzigen der Filmindustrie werden? Ist die Art und Weise überhaupt rechtens oder dient sie in erster Linie dem Versuch des scheinheiligen Show-Business‘, sich selbst rein zu waschen? Und wird Spacey jemals wieder einen Film drehen? Ein Versuch, Antworten zu liefern.

Einer nach dem anderen

Gerne wird das Sinnbild von Dominosteinen herangezogen, um Kettenreaktionen zu veranschaulichen. Im (buchstäblichen) Fall von Spacey war Schauspieler Anthony Rapp (46) jener Stein des Anstosses. Der 46-Jährige, der aktuell in der neuen Serie „Star Trek: Discovery“ zu sehen ist, traute sich in einem Interview mit „BuzzFeed News“ an die Öffentlichkeit, nachdem mehrere Frauen schwere Vorwürfe gegen Filmproduzent Harvey Weinstein erhoben hatten. Nur ein Strohfeuer im Dunstkreis des Weinstein-Skandals, werden viele Film- und alle Spacey-Fans zu diesem Zeitpunkt noch gedacht haben. Wie man sich doch irren kann.

Denn statt alleine und ungehört zu bleiben, regte Rapp immer mehr Männer dazu an, ihre eigenen und auf schreckliche Weise doch so gleichen Erfahrungen zu teilen. „Ich denke, dass viele von uns eine ‚Kevin Spacey Story‘ zu erzählen haben. Es brauchte nur einen jungen Mann um die 30 und Herr Spacey fühlte sich frei, uns anzufassen. Es war so üblich, dass es sogar ein Witz wurde (von sehr schlechtem Geschmack)“, schrieb etwa der mexikanische Schauspieler Roberto Cavazos (35) auf seiner Facebook-Seite.

Spaceys Masche wird von ihnen allen ähnlich geschildert. Nach mal mehr, mal weniger zur Schau gestellten Nettigkeiten im Vorfeld, soll der gefallene Stern ohne Skrupel vorgegangen sein und sie gegen ihren Willen unsittlich berührt haben. Den vielleicht dreistesten Übergriff schilderte unlängst der Sohn von Schauspieler Richard Dreyfuss (70), der von Spacey belästigt worden sein soll, während sein berühmter Vater im selben Raum war. „Im Verlauf von etwa 20 Sekunden, Zentimeter für Zentimeter, bewegte Kevin seine Hand von meiner Hüfte in Richtung meines Schritts. Mein Kopf war wie leer gefegt“, so Harry Dreyfuss (27) ebenfalls zu „BuzzFeed News“.

Und weiter: „Was mich so sehr an Kevin anwidert, ist, wie sicher er sich fühlte. Er wusste, dass er mich in einem Raum befummeln konnte, in dem auch mein Vater war und ich kein Wort darüber verlieren würde. Er wusste, dass ich nicht den Mut dazu hatte.“

Vergessen wir nicht etwas?

Auf die Anschuldigungen reagierten die Köpfe der Traumfabrik umgehend und ohne Zweifel. Die Serie „House of Cards“ sollte ohnehin nach der sechsten Staffel eingestellt werden, zur Sicherheit gab man aus Richtung von Netflix aber auch noch bekannt, dass Spacey mit sofortiger Wirkung entlassen sei – trotz der noch anstehenden sechsten Staffel.

Ein hehres, in seiner Konsequenz noch nie dagewesenes und unter Umständen voreiliges Exempel, das die US-Filmindustrie da an ihrem einstigen Lieblingssohn a.D. statuierte. Die Beweislage gegen den Mimen ist erdrückend, das steht ausser Frage, und es stehen sehr viele Worte gegen das seine. Nur wurde gegen Spacey noch keine offizielle Klage eingereicht und ebenso wenig wurde er von einem Gericht verurteilt. Im Gegensatz zu einem gewissen Herren namens Roman Polanski (84)…

And the Oscar goes to…

Der wurde 1977 in Los Angeles wegen „Vergewaltigung unter Verwendung betäubender Mittel“ der damals erst 13 Jahre alten Samantha Jane Gailey angeklagt. In einem Deal bekannte er sich des „ausserehelichen Geschlechtsverkehrs mit einer Minderjährigen“ für schuldig. Vor einer etwaigen Gefängnisstrafe floh Polanski nach Europa. Er lebt derzeit in Frankreich. Seine Exilheimat lehnte von Anfang an ein Auslieferungsgesuch der USA ab. Zuletzt scheiterten die Amerikaner im Jahr 2015 in Polen damit.

Einen verurteilten Sex-Verbrecher wird die Traumfabrik seither doch sicherlich gemieden haben, wie der Teufel das Weihwasser, oder? Nur wenige Jahre später, 1981, erhielt Polanski eine Oscar-Nominierung für seinen Film „Tess“, 2003 wurde ihm der Goldjunge für seine Regie beim Kriegsdrama „Der Pianist“ verliehen. Er nahm den Preis aber nicht persönlich entgegen.

Rückkehr nicht ausgeschlossen?

Vor einer Flucht in ein anderes Land scheint Spacey noch weit entfernt. Ironischer Weise aber genau so weit wie von einer Rückkehr ins Showgeschäft. Finanziell muss er sich wohl keine Sorgen um die Zukunft machen. Pro Folge „House of Cards“ soll er knapp eine halbe Million Dollar kassiert haben. Bei bislang 65 Folgen spuckt der Taschenrechner eine Gesamtgage von rund 30 Millionen Dollar aus. Über 50 Filmstationen als Schauspieler und 15 als Produzent werden noch die eine oder andere Million dazu gespült haben.

Dass eine Hollywood-Ächtung lange dauern kann, wird indes Mel Gibson (61) bestätigen können. Der manövrierte sich 2006 mit antisemitischen Äusserungen im Grunde für zehn Jahre gänzlich aus dem Geschäft. Die wenigen Comeback-Versuche scheiterten. Erst 2016 gelang ihm mit seiner Regie-Arbeit zu „Hacksaw Ridge“ die Rehabilitation – und eine Oscar-Nominierung für die „Beste Regie“. Dass Kevin Spacey jemals wieder einen US-Kinofilm drehen wird, ist in seiner momentanen Situation schwer vorstellbar. Klar dürfte sein: Sein Weg der Läuterung wird lang und steinig, und ob er ihn jemals wieder nach Hollywood führt, steht – wie so vieles in der Traumfabrik – in den Sternen.

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